Eine Rezension von Horst Wagner

Erschienen nach 34 Jahren

Stefan Heym: Die Architekten
C. Bertelsmann Verlag, München 2000, 383 S.

Wie schon in zahlreichen Romanen vorher, vor allem in Collin (1979) und Radek (1995), geht es Heym auch in seinem neuesten Buch um die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Wobei der Roman Die Architekten eigentlich gar nicht neu ist. Das Manuskript hat Heym in den Jahren 1963-1966 in Englisch geschrieben. Weil, wie er im Vorwort bemerkt, „die Veröffentlichung eines solchen Buches in der damaligen DDR ausgeschlossen“ war, hat er es durch Freunde einem englischen Verlag zukommen lassen, der allerdings - aus welchen Gründen auch immer - die Veröffentlichung ablehnte. Jetzt, nach seiner schweren, lebensbedrohenden Krankheit 1999, hat Heym das Manuskript wieder ausgegraben und The Architects ins Deutsche übersetzt, weil, so Heym, „es doch ratsam sein möchte, wenn ich vor meinem endgültigen Exitus mein Werk noch komplett vorlegte“. Das zu wissen ist wichtig für die Beurteilung des Buches, das ich, zugegebenermaßen, mit weniger Genuß und mit mehr innerem Widerspruch gelesen habe als andere Werke des Autors. Aus heutiger Sicht hätte Heym das Buch sicher anders geschrieben, differenzierter; hätte die handelnden Personen nicht so einschichtig angelegt, sie nicht immer wieder auf „Sprachröhren des Zeitgeistes“ reduziert, hätte sie ihre Auseinandersetzungen nicht so sehr nach einem Schwarz-Weiß-Schema führen lassen. Aber das Buch ist eben ein Zeitdokument. Man spürt in ihm die unmittelbare Erschütterung des Autors über die vor allem durch die „Geheimrede“ Chruschtschows auf dem XX. KPdSU- Parteitag bekannt gewordenen Verbrechen Stalins und seiner Henker - auch an deutschen Kommunisten. Man spürt die ganze Ablehnung, die ein so künstlerisch fühlender Mensch wie Heym gegen den Dogmatismus empfinden mußte, mit dem in den 50er Jahren die Diskussion über den sogenannten Formalismus in Kunst und Architektur geführt wurde. Der Zorn über diese Dinge hat die Feder des Autors offenbar besonders zugespitzt, hat bewirkt, daß sein Werk über Strecken eher einem Pamphlet (vielleicht auch einer Karikatur) gleicht als einem Roman.

Zentralfigur des Buches ist der mit allen Privilegien des ostdeutschen Staates ausgestattete Architekt Alfred Sundstrom, Erbauer der „Straße des Weltfriedens“, in deren architektonischer Beschreibung man unschwer die Stalinallee wiedererkennt, die der Autor aber aus Berlin in eine Bezirkshauptstadt verlegt hat. Sundstrom hat als antifaschistischer Emigrant in der Sowjetunion gelebt, war dort mit bedeutenden Aufträgen betraut worden, während seine Emigrations- und Berufskollegen Goltz, die Eltern von Sundstroms wesentlich jüngerer Ehefrau Julia, vom NKWD verhaftet, in Lager verschleppt und zu Tode gebracht wurden. Woran, wie Julia und der Leser im Verlauf des Buches erfahren, auch Sundstrom durch eine bestimmte, für ihn lebensrettende Aussage, Schuld hatte.

Das Buch beginnt mit einem protokollgerecht geschilderten Empfang in der DDR Mitte der 50er Jahre, auf dem Sundstrom als Stararchitekt gefeiert wird, auf dem er aber auch vom sowjetischen Ehrengast über bevorstehende Veränderungen beim „großen Bruder“ erfährt - und nach dem er bei seiner jungen Frau im Bett versagt. Von da an beginnen die durch besonders forsches und dogmatisches Auftreten kaschierten Zweifel des Genossen Sundstrom an sich und der bisher gültigen „Weltordnung“, vor allem aber macht er sich Sorgen, ob ein Wandel der Dinge nicht seine Karriere gefährden könnte. Sundstroms Gegenspieler in künstlerischer Hinsicht wie auch bei seiner Frau sind sein junger, undogmatischer, aber nicht weniger karrieresüchtiger Mitarbeiter John Hiller und der aus sibirischer Lagerhaft zurückgekehrte, mit Sundstrom einst befreundete und jetzt in seinem Büro angestellte Architekt Daniel Tieck. Letzterer vor allem wird gegenüber dem zunehmend als Fiesling erscheinenden Sundstrom geradezu als ideale Lichtgestalt geschildert.

Die erfreulich unkonventionell beschriebene Liebesgeschichte und der aus heutiger Sicht sehr schematisch dargestellte politische und Architekturstreit, zu dem sich eben noch sehr lebendige Personen oft in unglaubhafte Sprachröhren verwandeln, laufen nun nebeneinander. Julia landet erst im Bett Hillers, um schließlich mit Tieck glücklich zu werden. Architektonisch geht es darum, wie die „Straße des Weltfriedens“ weitergebaut werden soll, deren bisherige Ausführung, wie Julia und Hiller zur Zuspitzung der Diskussion herausgefunden haben, doch sehr einem Entwurf des Nazi-Chefarchitekten Speer für die Charlottenburger Chaussee gleicht. Während Sundstrom in dem von ihm als sozialistische Architektur verstandenen Zuckerbäckerstil weiterbauen möchte, vertritt Hiller seine These von einer politisch unabhängigen, allein auf Zweckmäßigkeit gerichteten Architektur und legt Tieck einen von Julia unterstützten, gleichsam genial aus dem Ärmel gezauberten Entwurf vor, der sich ganz auf die Traditionen des Bauhauses stützt. Angenommen wird schließlich ein Kompromiß-Projekt, zu dem sich Sundstrom und der um seine weitere Karriere besorgte Hiller wieder zusammengefunden haben, nachdem Sundstrom durch seinen Polier vorm Selbstmord aus politisch-künstlerischer Verzweiflung und ehemäßiger Enttäuschung bewahrt worden ist.

Das alles spielt sich vor dem Hintergrund eines scheinbar durch den XX. Parteitag bewirkten grundlegenden politischen Wandels ab. „Die Zeit ist aus den Fugen“, empfindet Julia an einer Stelle. Wobei Heym andeutet, daß eigentlich alles beim alten bleiben wird und Leute wie Sundstrom und der sich ebenfalls den Zeitläufen anpassende Bezirkssekretär Tolkening die Oberhand behalten. Wie gesagt: Trotz literarischer Mängel ein interessantes Zeitdokument, das neben allem dramatisch Zugespitzten auch erfreulich zu lesende Schilderungen des Alltagslebens jener Tage enthält. Besonders köstlich: die Diskussionen und Spielchen am FKK-Strand.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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