Eine Annotation von Kathrin Chod


Siedler, Wolf Jobst:

Phoenix im Sand

Glanz und Elend der Hauptstadt.
Propyläen Verlag, Berlin 1998, 240 S.

Es scheint eine ewige Wiederholung des Immergleichen vor dem Leser abzulaufen, der einen Essayband von Siedler zur Hand nimmt. Was der Autor zu Stadtplanung und Architektur Berlins zu Papier brachte, zeichnet ein recht trübes Bild der Politik auf diesem Feld. So ist es auch wieder ein wehmütiges Lied über die gemordete Stadt, den Verlust des Alten und die Klage über das unerquickliche Neue, das auch dieses Buch mit Beiträgen aus den Jahren 1989 bis 1998 wie ein roter Faden durchzieht. Davon künden schon einzelne Überschriften wie „Weltstadt ohne Weltstädter“, „Die geschundene Metropole“, „Traditionslosigkeit ist die einzige Tradition der Stadt“, und „Weh' Dir, daß Du ein Enkel bist“. Nichts ist mehr so, wie es war, und das Gewesene war ja auch schon nicht mehr das Wahre. Denn andauernd veränderte sich die Stadt, das Alte fiel der Spitzhacke zum Opfer, wurde durch Neues und oft nicht durch Besseres ersetzt. Denn was waren ein Ihne (Staatsbibliothek) und ein Raschdorff (Berliner Dom) schon gegen einen Schinkel oder gegen einen Knobelsdorff. Berlin ist sich nur in der Veränderung treu. Während man in anderen Städten noch heute die Häuser besichtigen kann, in denen ein Goethe oder ein Schiller wohnte, findet man in Berlin Gedenktafeln für Lessing oder E. T. A. Hoffmann nur an Nachfolgebauten.

Auch wenn der Leser Siedler nicht in allem zustimmen muß, so bei der Bewertung des Schlosses: „Das Schloß lag nicht in Berlin - Berlin war das Schloß“, es wäre wohl traurig, wenn sich eine Stadt so reduzieren ließe, so findet er doch andererseits viel Nachdenkenswertes: Kritik an geschichtslosem Denken, an gedankenloser Neuerungswut, an neureicher Großmannssucht. Berlin, so Siedler, fand nie das rechte Maß. Und erst recht nicht nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Werk der Bomben wurde durch Stadtplaner in Ost und West vollendet, und so heißt es auch folgerichtig an einer Stelle: „Daher kommt es, daß die heutige Stadt zu den häßlichsten Hauptstädten Europas gehört.“ Hart geht der Autor deshalb mit den Architekten und Stadtplanern ins Gericht, so auch mit Scharoun, der das Häusermeer durch eine am Urstromtal der Spree orientierte Stadtlandschaft ersetzen wollte. „Historie wurde durch Erdkunde ersetzt. Scharoun erhob den Neandertaler zum Generalbaumeister Berlins.“

Das alles ist wie gewohnt glänzend, auch pointiert geschrieben und sollte auch die Politik in der alten und neuen deutschen Hauptstadt zu etwas mehr als der berühmten Nachdenklichkeit anregen. Gleichzeitig zeigt Siedler, daß die Aura Berlins natürlich immer weit mehr ausmachte als Architektur und Stadtplanung: „Es war dieses Berlin, auf das die deutschen Dinge notwendig zuliefen; es kann nicht wundernehmen, daß in der Literatur Naturalismus und Expressionismus, in der Wissenschaft Mathematik und Physik in dieser Stadt ihren Durchbruch erlebten. In der Dynamik seiner Modernität war diese „Metropolis“ wichtiger als die so viel schöneren Städte des Westens und Südens; Maillol wie Giraudoux, Thomas Wolfe wie Isherwood, Pasternak wie Nabokov kamen, um dieses unansehnliche Berlin zu bestaunen. Erst langsam wird der Stadt bewußt, daß sie sich 1930 tatsächlich anschickte, die Hauptstadt des 20. Jahrhunderts zu werden. Da machte das Dritte Reich sich daran, Berlin als Welthauptstadt Germania zu ruinieren. Das muß wissen, wer über jenes Berlin reden will, das eben jetzt entsteht.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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