Eine Rezension von Edwin Kratschmer


Das Sterben lernen

Lutz Rathenow: Sterben will gelernt sein
Lyrische Prosa - Prosaische Lyrik.
Mit Bildern von Frank van der Leeuw.
Verlag Landpresse, Weilerswist 2000, 54 S.

Rathenow, spottlustiger Gratwanderer und Grenzgänger zwischen Lyrik und Prosa, ist offenbar dabei, seine Persiflagen zu kultivieren und seine Aggressionslust zu zügeln. Seine Farben changieren immer mehr zwischen „heiter und düster“ und „heiter und böse“. Wer sich der Fünfzig nähert, dem gerät eben vieles existentieller („Hoffnung // So hieß eines meiner ersten Gedichte. /.../ Klar und deutlich, fürchte ich, / wünschte ich die Sprache. Einfach. Entsetzlich. / Ein halbes Jahrhundert lebe ich nun. /.../ Dichter ans Telefon.“). Hoffnung ist ihm nun also etwas für Kleingeister, „die die Nachricht nur noch nicht empfangen haben“. Auffallend oft ist jetzt auch von der Flaschenpost die Rede, „als Botschaft etwas Luft“. Da formuliert sich nahezu fatalistisch Erkenntnisgewinn, wie Rathenows neuer Gemischtwarenband auch Sterben will gelernt sein heißt, der uns verheißt, uns für diese gewisseste aller Gewißheiten zu rüsten und unsere Endlichkeit zu akzeptieren. Da vergeht selbst dem Spötter Rathenow das Spotten, denn er weiß: Spötters Haus brennt auch.

Dennoch: Rathenow ist immer noch ein Erzschalk, der mit seiner Narrenklappe auf Ungereimtheiten unserer Welt einschlägt, und er macht auch vor Säulenheiligen nicht Halt (Brecht, Goethe, Grass), denn er ist scharf auf das Absurde, das allenthalben lauert. So macht er mit Verve Jagd auf Quer- und Unsinn, er surft www durch unser groteskes Dasein und verkabelt unsere Schwachstellen, bis sich die Parodien zu Karikatur und Comic verzerren. Er führt uns unseren quichottehaften Kampf mit den Tücken der Objekte vor, vernetzt unsere Technikerrungenschaften (Telefon und Computer) mit unseren Kommunikations- und Identitätsdefiziten, eben unsere mißratene Beziehungskiste. Rathenow erweist sich als gewitzter Posamenter, der an den Posen des Bösen herumposamentiert und sie dabei auf den Punkt bringt: „Selbst blöde Sprüche verwandeln sich durch veränderte Umstände in Weisheiten“ oder: „Vor lauter Botschaften die Flasche nicht sehen.“ Da entnebelt einer mittels Sprachspiels und paradoxen Wortwitzes alltagsverstellte Redewendungen und verballhornt zugleich uns bedrängende Heilslehren. In „Wir sind das Volk“ weiß der Michel am Ende nimmer, ob er „Wir“ ist oder „das Volk“.

Aber vielleicht ist Rathenow so etwas wie ein perplexer Hoffnungsträger, der uns die Chance einräumt, uns im Chaos doch noch selber zu finden, wie er es in seiner Parodie auf die Telefonomanie drastisch vorgibt. Der Literatur gesteht er indes nur geringe Chancen zu. Sein „Lektor“ setzt voll auf die Spaßgesellschaft, während sich die Gesellschaft auf ein kollektives Warten auf Godot einstellt („Die Busfahrt“).

Rathenow scheint mit diesem Buch seinen Komikerrang abschwächen zu wollen. Die Kuriositäten, auf die er sich einläßt, schrecken ihn. Er scheint eher in die Rolle des Dokumentaristen zu schlüpfen, den vor unserer Realitas gruselt und der sie daher zu einer Horror Picture Show zurechtliterarisiert. Rathenow also als ein „Horribiliscribifax“ an der zweiten Millenniumswende. Er reizt unser Kick-Verlangen, um uns nebenbei eine Lektion in Sachen Absurdität zu verabreichen. Und das scheint ihm einen todernsten Spaß zu machen.

Rathenows Hausverlag Landpresse Weilerswist liefert uns das in inzwischen wohlbekannter bibliophiler Buchausstattung, wie man's nur noch selten findet, und Frank van der Leeuw illustriert bereits zum drittenmal Rathenows Texte mit Großgrafiken, die diesmal die Mensch-Technik-Synthese vanitashaft als Nature morte in groteske Zeichnungen umsetzen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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