Eine Rezension von Horst Koch


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Liebes- und andere Geschichten bei Preußens

Thomas Wieke: Kronen müssen fest sitzen!
Anekdoten über Wilhelm I.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 1999, 144 S.

Jürgen Jessel: Schlösser und Amouren
Preußische Liebesgeschichten.
verlag am park, Berlin 2000, 167 S.

Wenn es ums Heiraten in der Herrscherfamilie ging, waren die Hohenzollern sehr konservativ. Unstandesgemäße Verbindungen waren verboten, solche zur „linken Hand“ samt Kindersegen geduldet. Bei Preußens wurde streng auf die Etikette geachtet, hier waren die Verästelungen der Stammbäume wichtiger als Harmonie und eheliches Glück. Als etwa der spätere Kaiser Wilhelm II. die Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg heiraten wollte, hielt der Großvater Kaiser Wilhelm I. dies zunächst für unmöglich, weil die Dame den Hohenzollern nicht ebenbürtig und der Krieg Preußens um Schleswig-Holstein noch nicht vergessen sei. Erst als Historiker und Juristen nachgewiesen hatten, daß es sich durchaus um zwei gleichwertige Familien handelt, willigte der alte Kaiser ein. Dabei muß ihm noch lebhaft in Erinnerung gewesen sein, daß er selber in jungen Jahren auf seine Herzensdame Prinzessin Elisa Radziwill verzichten mußte, die ungeachtet gewisser verwandtschaftlicher Beziehungen ganz und gar nicht in die Familie Hohenzollern zu passen schien. Weil es die Ehegesetze so verlangten, verzichtete Prinz Wilhelm auf seine Jugendliebe. Ein Konkubinat kam für ihn, der wegen der Kinderlosigkeit seines älteren Bruders Friedrich Wilhelm IV. zum Thronfolger auserkoren war, nicht in Frage. Die mit der Weimarer Prinzessin Augusta eingegangene Ehe soll nicht konfliktfrei verlaufen sein, die Sprößlinge waren aber standesgemäß, und das zählte.

Wird in Wiekes Anekdotensammlung das Thema nur angerissen, weil es neben Geschichten um Wilhelms Liebesleben natürlich auch „große“ Politik, die Rolle des Kartätschenprinzen in der 48er Revolution und in den sogenannten Einigungskriegen, sein Verhältnis zu Bismarck und seine Rolle als populärer Altkaiser spiegelt, so finden wir in Jessels Büchlein die genaueren Hintergründe, die zu Wilhelms „Entsagung“ führten. Preußen-Kennern ist das natürlich geläufig, aber sie werden auch nicht in erster Linie angesprochen.

Der Titel des leider nicht chronologisch geordneten, sondern zwischen den Zeiten springenden Anekdotenbuchs ist trefflich gewählt. Denn es gehörte zu den hervorstechenden Eigenschaften des 1861 auf den preußischen Thron gelangten Wilhelm I., der sich stets als pflichtbewußter Soldat fühlte, sich auch um ganz banale Dinge zu kümmern, etwa um die Befestigung der Königskrone auf einem Kissen, das im selben Jahr bei der Krönungszeremonie in Königsberg dem Herrscherpaar vorangetragen wurde. Und auch dies teilt Wieke mit, nämlich daß der König von Preußen mit seinem Kanzler Bismarck heftig in Fehde lag, als es 1871 um den Kaisertitel ging. Für Wilhelm I. hatte seine Würde als König von Preußen mehr Gewicht als die eines deutschen Kaisers, und nur mit Mühe konnte der Kanzler seinen Herren davon überzeugen, den 1806 von den Habsburgern abgelegten Titel zu reaktivieren.

Jessels amüsant zu lesendes, kenntnisreich geschriebenes Buch verbindet Geschichten um Amouren reicher und einflußreicher Preußen - Kurfürsten, Könige, Prinzen, Minister - mit Hofdamen und Bürgerstöchtern mit einem Gang durch Schlösser und Parks in Berlin und Brandenburg, die nicht zuletzt auch mit Blick auf das Preußenjahr 2001 in einen vorzeigbaren Zustand versetzt werden. Vor dem geistigen Auge tauchen bedenkenlose Verführer und unglückliche Liebhaber in ihrem barocken und klassizistischen Lebensmilieu auf. Wer das Gartenreich des Fürsten Pückler, die Besitzungen des Staatskanzlers Hardenberg, die Idylle auf der Pfaueninsel und manch anderes Refugium besucht, hat mehr Genuß, wenn er die von Jessel zusammengetragenen Geschichten liest, die gelegentlich alles andere als heiter waren, sondern eher einem Kolportageroman entnommen sein könnten. Es zeigt sich, daß erfundene Geschichten um Herz und Krone doch nicht so weit vom richtigen Leben entfernt waren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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