Eine Rezension von Helmut Caspar


Edle Einfachheit ländlicher Sitte

Das Paretzer Skizzenbuch
Mit einer Einleitung von Adelheid Schendel.
Herausgegeben von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Berlin-Brandenburg.
Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2000, 144 S.

Wenn alles nach Plan geht, wird im Sommer 2001 das Schloß Paretz, die 20 Kilometer von Potsdam entfernte Sommerresidenz König Friedrich Wilhelms III. und seiner Gemahlin Luise, als Schloßmuseum eröffnet. Zur Zeit ist das 1797 nach Plänen des Geheimen Oberbaurats David Gilly errichtete Herrenhaus noch Baustelle. Außen ist der Putz abgeschlagen, innen werden die Wohn- und Arbeitsräume des königlichen Paares auf ihre alten Grundrisse zurückgeführt. Ungeachtet des absichtsvoll brutalen Umbaues des Schlosses nach 1945 in eine landwirtschaftliche Schule blieb noch erheblich viel historische Substanz erhalten. Studenten der Potsdamer Fachhochschule, die das klassizistische Herrenhaus demnächst an die Preußische Schlösserstiftung abgeben wird, weil es dort in besseren Händen ist, haben die Befunde ausgewertet und Restaurierungskonzepte erarbeitet. Grundlage aller Maßnahmen zum Rückbau des Schlosses auf die Fassung um 1800 sowie die Ordnung des Dorfes nach historischem Vorbild, soweit das noch möglich ist, bildet das „Paretzer Skizzenbuch“, eine in der Plankammer der Schlösserstiftung in Sanssouci verwahrte Sammlung von 50 kolorierten Blättern, die 1811 dem König vom Oberhofmarschall Valentin von Massow dediziert worden war. Mit feinem Pinselstrich wurden Vorder- und Rückansichten, Querschnitte und Grundrisse des Schlosses und der kleinen Dorfkirche, der Brücken, Grotten und Türme sowie der von Gilly entworfenen Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Paretzer Bevölkerung festgehalten, mit der die königliche Familie einen für die damalige Zeit ungewöhnlich unkonventionellen Umgang im Zeichen von Freiheit und Gleichheit pflegte, wie der Generaladjutant des Königs, Karl Leopold von Köckritz, über die Tage in Paretz notierte. „Die guten Menschen genossen mit einem heiteren Herzen so ganz das Einfache der Natur, entfernt von allem Zwange nahmen sie herzlich Anteil an den naiven Äußerungen der Freude des Landvolkes, besonders bei dem fröhlichen Erntefest. Die hohe, schöne königliche Frau vergaß ihre Hoheit und mischte sich in die lustigen Tänze der jungen Bauernsöhne und Töchter und tanzte vergnügt mit.“

Die kostbare Mappe in rotem Leder mit Goldprägung war bisher nur wenigen Spezialisten bekannt, gelegentlich hat man Abbildungen für andere Publikationen verwendet. Jetzt aber ist sie als ein in den Dimensionen um die Hälfte verkleinerter Reprint auch einer größeren Zahl von Interessenten zugänglich. Versehen mit einem die Geschichte der dörflichen Sommerresidenz und ihrer illustren Gäste beschreibenden Geleitwort von Stiftungschef Hans-Joachim Giersberg, enthält der Band eine von Adelheid Schendel verfaßte Schilderung der Entstehungsgeschichte dieser Dedikationsmappe sowie einzelner Bauten in Paretz, das im ganzen 19. Jahrhundert ein von den Hohenzollern gern besuchter Sommersitz war und bis 1945 im wesentlichen unangetastet blieb. Trotz intensiver Forschungen sei es nicht gelungen, die Urheberschaft an den Zeichnungen restlos zu klären, lediglich findet sich auf dem Titelblatt des Paretzer Skizzenbuchs der Eintrag „gezeichnet von F. Rabe. Berlin 1799“ und an versteckter Stelle an der Dorfkirchenfassade ein Rabe, der als Signatur verstanden werden kann, so Schendel. Die anderen, anonym gebliebenen Zeichner waren im Potsdamer Hofbauamt beschäftigt, in Frage kommen F. G. Schadow oder F. L. Krüger. Hier sieht die Autorin noch Forschungsbedarf.

Das querformatige Album dokumentiert Paretz als Gesamtkunstwerk, von dem es in Gedenkworten an den 1808 verstorbenen Architekten David Gilly heißt, der innig geliebte Monarch habe hier, den schönen Gefühlen seines großen Herzens folgend, einen Teil des Sommers in „edler Einfachheit ländlicher Sitte“ verlebt. Der Leser erfährt über den Urheber der Mappe, Hofmarschall Valentin von Massow, daß dieser auch als Intendant der Schlösser und Gärten tätige Beamte auch an der Einrichtung des Kronprinzenpalais in Berlin beteiligt war und auch in Paretz zur Zufriedenheit des königlichen Paares wirkte. Die Verbindung zwischen David Gilly und Paretz führt über Valentin von Massow, der den Baumeister für die Neugestaltung seines Gutes Steinhöfel in Anspruch nahm und hier ein bemerkenswertes Beispiel klassizistischer Landbaukunst schuf.

Wer das durch einige Paretzer Veduten aus der Zeit um 1800 ergänzte Skizzenbuch anschaut, die erklärenden Texte liest und auch die Schloßbaustelle inspiziert, wird sehen, daß David Gilly - vermutlich unter Zuhilfenahme seines frühverstorbenen Sohnes Friedrich Gilly - den königlichen Auftrag bravurös erfüllte, mit bescheidenen Mitteln Großartiges und Bleibendes zu schaffen. Als Vertreter des Einfachen und Schönen hatte er einfach und schön gebaut. Das kommt heute der Rekonstruktion sehr zugute. In den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ fand Theodor Fontane nach Besichtigung des Landschlosses begeisterte Worte. Der für königliche Verhältnisse ungewöhnlich bescheidene Bau würde heutzutage kaum noch den Ansprüchen eines Torflords genügen, meinte der Romancier und notierte: „In diesem also umgeschaffenen Paretz, das bei Freunden und Eingeweihten alsbald den schönen Namen ,Schloß Still-im-Land‘ empfing, erblühten dem Königspaare Tage glücklichen Familienlebens. Die Familie und die Stille waren der Zauber von Paretz ... Da sind noch dieselben Tapeten und Wandgemälde, dieselben kissenreichen... Sofas und Ottomanen, dieselben gemalten Papageien und Fasanen, dieselben Büsten und Bilder.“ Der größte Schatz des Schlosses sind zweifellos die bemalten und bedruckten Tapeten mit Landschaftsdarstellungen sowie Tier- und Blumenbildern aus der Zeit um 1800. Zum Glück waren sie nach 1945 nach Sanssouci gerettet worden. In Kiel und Stuttgart werden sie gereinigt, geglättet, gefestigt und vorsichtig ergänzt. Den letzten Schliff bekommen die Wandverzierungen im kommenden Jahr vor Ort in den dann bereits wiedergewonnenen Räumen, in denen auch originale Möbel aus Paretz und, passend zur Erbauungszeit, Stücke aus der Eisenkunstguß-Sammlung der Schlösserstiftung gezeigt werden sollen. Die Berliner Cornelsen Kulturstiftung finanziert die Tapeten-Restaurierung mit 1,5 Millionen Mark. Sie hat sich auch an der Edition des Paretzer Skizzenbuchs beteiligt, von dem die Herausgeber hoffen, daß es recht viele Kunstfreunde auch aus entlegenen Regionen ins Havelland locken wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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