Eine Rezension von Helmut Caspar


Ein bedeutender Vertreter seines Fachs

Hildegard Lehnert:
Henri François Brandt: Erster Medailleur an der Königlichen Münze
und Professor der Gewerbe-Academie zu Berlin (1789-1845).
Leben und Werke, Berlin 1897. Reprint nach der Originalausgabe.
Verlag Beate Strothotte, Gütersloh 2000, 74 S.

Der 1789 im damals preußischen Fürstentum Neuchâtel (Neuenburg) geborene und seit 1817 als Erster Medailleur an der Königlichen Münze tätige Henri François Brandt zählt zu den bedeutendsten Vertretern dieses Fachs. Zahllose Prägewerkzeuge für Medaillen und Münzen wurden von ihm geschnitten, sein Œuvre umfaßt auch plastische Arbeiten sowie Stempel für Siegel. Über diesen schon früh zu Ehren und Ämtern gelangten Künstler hat dessen Enkelin Hildegard Lehnert im Jahr 1897 ein auch heute als Quelle und Zitierwerk genutztes Buch veröffentlicht, das jetzt in Gütersloh als Reprint herausgebracht wurde. Dies allerdings „pur“, ohne einen Kommentar oder Ergänzungen aus heutiger Sicht, denn die numismatische und kunstgeschichtliche Forschung hat in den vergangenen einhundert Jahren doch allerhand Ergänzendes über Brandts Leben und Werk zustande gebracht. Dennoch ist Lehnerts Buch ein interessantes Dokument, konnte die Autorin doch eigene Erlebnisse nutzen und Dokumente verwenden, die später verlorengingen.

Gleich eingangs erfährt der Leser aus Brandts hinterlassenen Schriften, wie er, Sohn armer, aber kinderreicher Eltern, bereits als Elfjähriger den Grabstichel führen, Stempel schneiden und die Uhrmacherkunst erlernt hat. Sieben Jahre verbrachte der Junge bei seinem Lehrherren in der Schweiz, dann ging er nach Paris, um sich bei Jean-Pierre Droz zu „vervollkommnen“, der nicht nur ein herausragender Stempelschneider war, sondern auch die Prägetechnik verbesserte. Die frühesten von Hildegard Lehnert nachgewiesenen Medaillen des hoffnungsvollen Stempelschneiders stammen aus der Spätzeit der napoleonischen Herrschaft und der Periode der Restauration, in der die Bourbonen jene Zustände in Frankreich wiederherstellen wollten, die bis zur Erstürmung der Bastille 1789 geherrscht haben. Die Verbindung zur Berliner Münze ergab sich aus der Bekanntschaft mit dem in Rom tätigen Bildhauer Christian Daniel Rauch. Der hatte sich am preußischen Hof durch die Schaffung des Grabmals der 1810 verstorbenen Königin Luise einen Namen gemacht. Brandt modelliere in Stahl mit vielem Wissen und Geschmack, unmöglich dürfe man so einen Menschen „fahren“ lassen. Dem Ersten Münzmedailleur wurde auferlegt, „alle Mutterstempel für die Königl. Münzen anzufertigen und für eine zweckmäßige Anfertigung der daraus abgesteckten Patrizen zu sorgen“. Alle anderen Arbeiten für den Staat, insofern sie nicht „directe“ die Münzen betreffen, sollten Brandt besonders bezahlt werden. Neben Medaillen hat Brandt auch Stempel für reguläre Kursmünzen geschaffen, in erster Linie natürlich solche mit Kopf und Wappen der preußischen Könige Friedrich Wilhelm III. und IV., aber auch für Anhalt-Dessau, Hannover, Mecklenburg-Schwerin, Reuß, Sachsen-Weimar und andere deutsche Fürstentümer. Sehr alt ist der Künstler nicht geworden, er starb bereits am 9. Mai 1845, vor 155 Jahren, an den Folgen eines, wie es heißt, Wassersuchtleidens, das ihn schon seit Anfang der vierziger Jahre quälte. Bestattet wurde Brandt auf dem Friedhof der Französischen Gemeinde in Berlin, der er angehörte. Sein Nachlaß ging zum Teil an die Auftraggeber, zum Teil an die Münze und das Stempelarchiv, während in der Familie Handzeichnungen, Entwürfe und fertige Medaillen verblieben. Im Berliner Münzkabinett werden zahlreiche von Brandt geschnittene Stempel verwahrt.

Daß Henri François Brandt ein sehr selbstbewußter, schwieriger Mensch war, der Probleme hatte, sich ein- und unterzuordnen, und sich mit Vorgesetzten und Kollegen anlegte, steht nicht im „Lehnert“, auch daß es ein Gerichtsverfahren des späteren Berliner Münzmeisters Loos gegen Brandt im Jahr 1842 wegen „Beleidigung im Dienste“ gab und 1825 ein Fall „dienstwidrigen Betragens gegen den General-Münz-Direktor“ aktenkundig gemacht wurde. Ebenso hätte in einem Nachwort berichtet werden können, wenn ein solches geschrieben worden wäre, daß sich Brandt vergeblich um den Ankauf von Prägemaschinen aus dem Bestand der Berliner Münze „zu billigen Preisen“ bemüht hat, um nicht immer um Erlaubnis nachsuchen zu müssen, Gebühren zu zahlen und Trinkgelder an die Arbeiter zu verabreichen. Nach Brandts Tod mühte sich die Witwe um die von ihrem Mann geschaffenen Stempel, weil angeblich der Besteller laut Gesetz zum Schutze des Eigentums nicht Eigentümer des Originals wird, „wenn nicht eine ganz direkte Eigenthums-Übertragung statt fand. Die Größe des Honorars ist dabei gleichgültig“.

Daß sich der Erste Münzmedailleur, der ungewöhnlich hohe Reliefs zu erzeugen verstand und im Gegensatz zur Tradition Reliefs erhaben in die Stahlpatrize schnitt, um sie dann in die Matrize abzusenken, auch als Schöpfer von Gußmedaillen hervorgetan hat, wurde von Wolfgang Steguweit (Münzkabinett Berlin) anhand von großformatigen Bronzegußmedaillen dokumentiert, deren Existenz Hildegard Lehnert noch unbekannt war. Über diese Arbeiten schreibt Steguweit, in der verstärkten Hinwendung zum Medaillenguß in den 30er Jahren sei Brandts plastisches Empfinden als „Bildhauer-Medailleur“ in einem inzwischen gereiften Schaffensprozeß zum Ausdruck gekommen. „Man mag darin aber auch eine demonstrative Abkehr von der zunehmenden Technisierung des geprägten Flachreliefs und eine Hinwendung zur Skulptur sehen, für die David d'Angers als Vorbild gelten konnte.“ Der Auffassung von der Medaille als Teil der Plastik sei in gewisser Weise der Zeitgeschmack des wohlhabenden Berliner Bürgertums und des bürgerlich lebenden Adels entgegengekommen, denn zum Wohnstil der Zeit hätten zum Beispiel unterlebensgroße Bildnisskulpturen ebenso wie auf einem Fuß montierte „Makromedaillen“ gehört, die ein Mittelding zwischen freistehender Büste und verschiedenen Formen des Wandreliefs abgaben. Es sei nicht anzunehmen, daß Brandt solche Gußmedaillen nutzte, um mit Hilfe einer Reduziermaschine einen Prägestempel zu erzeugen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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