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Dieter Weigert

Leyer und Schwert1

Der Schriftsteller Karl Andreas von Boguslawski

Er gehört zu den Vergessenen. Vergessen als Berliner Autor, vergessen als Übersetzer, vergessen als General der Preußischen Armee, vergessen als erster Direktor der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin nach der Niederlage Preußens 1806 - der Generalmajor Karl Andreas von Boguslawski (1758-1817). Wäre da nicht eine Grabplatte zu seinem Andenken auf dem Alten Berliner Garnisonfriedhof an der Linienstraße neben den Grabkreuzen für seine Ehefrau, seinen Enkelsohn und dessen Ehefrau.

Sein Name verrät - die Familie kam aus Polen2. Die Boguslawskis waren kleine Grundbesitzer protestantischen Glaubens in der Wojewodschaft Brec (Polnisch-Litauen), die in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts durch religiöse Eiferer vertrieben wurden. Ein Appell an das Reichsgericht in Warschau fand zwar juristisches Gehör, der polnischen Zentralgewalt fehlte aber die Macht gegenüber den lokalen Adelsfamilien, um den Boguslawskis zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Familie siedelte ins preußische Schlesien, wo sie das Gut Muschlitz bei Oels in Niederschlesien pachtete. Auf diesem Gut wurde Karl Andreas am 19. November 1758 geboren. Sein Vater, Johann Georg von Boguslawski (1716-1767), war an deutschen Universitäten ausgebildet und mit dem schlesischen Grafen von Reichenbach-Goschütz eng befreundet. 1767 starb der Vater, die Söhne Karl Andreas und der ein Jahr ältere Heinrich Georg wurden ins Berliner Militärwaisenhaus aufgenommen, da die Mutter sie nicht ernähren und auch nicht die Mittel für eine standesgemäße Erziehung aufbringen konnte.

Im Jahre 1770 wurden die Brüder Boguslawski als Kadetten in das Berliner Kadettenhaus „versetzt“, erst zwanzig Jahre später konnten sie die Mutter wiedersehen. Das Kadettenhaus erwies sich für den sensiblen Karl Andreas als geistige Heimat und Ersatzfamilie, lehrte doch hier als Professor der Philosophie, der Logik und der „Schönen Wissenschaften“ der bekannte Dichter Karl Wilhelm Ramler (1725-1798), Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und der Preußischen Akademie der Künste, Herausgeber der Kritischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit und Direktor des Königlichen Nationaltheaters. In der Instruction für die sämmtlichen Professores und Lehrers des Königlichen Kadetten-Corps aus dem Jahre 1765 werden Ramlers Aufgaben wie folgt beschrieben: „Lieset die Logic und verbindet sie mit den schönen Künsten und Wissenschaften ... so, daß sie (die Schüler - d. V.) eine Generalidee von denen Gattungen bekommen, die zur Prosa und Poesie gehören. Auch bildet er ihren Geschmack an den übrigen sogenannten Künsten, damit sie hiervon in ihrem künftigen Leben zu urtheilen und von ihrem Urtheil Rechenschaft zu geben im Stande sind. Er kann hierbey historisch anführen, wie die schönen Künste und Wissenschaften ihre Epochen gehabt, daß ihr Ursprung unter denen Griechen angefangen, und die großen Männer in unserem Seculo nennen, welche sich am meisten darin vorgethan.“3 Professor Ramler, seit 1748 als Lehrer am Kadettenhaus angestellt, hatte keine Mühe, jener Instruktion gerecht zu werden, war doch die Antike sein bevorzugtes Arbeitsfeld für Übersetzungen, Kritiken und eigene Dichtungen. In die Hände dieses „deutschen Horaz“ wurde der 13jährige Boguslawski gegeben.

In einem seiner ersten Schriften hat sich der junge Autor bei seinem Mentor bedankt: „Man ist der Wahrheit das Bekenntnis schuldig, daß neunzehn folgenden sich vor den anderen so vortheilhaft auszeichnenden Zeilen No. 24-42, nicht dem Verfasser dieser Uebersetzung, sondern einem seiner Berliner Freunde gehören, den jedermann kennt. Sie wurden zum Anfang der Arbeit dem Uebersetzer als ein Beytrag geschenkt. Man sehe in der Berlinischen Monatsschrift, Juny 1785, die Anmerkungen zu Horazens 25ster Ode des dritten Buches. Es wäre zu wünschen, daß dieser Liebling der deutschen Muse, sich der ganzen Uebersetzung vom Anfang bis zum Ende, mit Rath und That angenommen hätte.“4

Die Liebe zur Poesie, zur Musik, der Eifer des Lesens, des Studierens, des Philosophierens - das war Ramlers Erziehungsideal, das er adligen Offiziers-Schülern wie Karl Andreas von Boguslawski erfolgreich vermittelte.

Nach erfolgreichem Abschluß der Kadettenausbildung wurde Boguslawski 18jährig als Gefreiter-Korporal in das Infanterieregiment Nr. 12 aufgenommen, kommandiert ab 1763 von dem legendären friderizianischen General Johann Jakob von Wunsch (1717-1788), der in Stein geschrieben am Sockel des Denkmals für Friedrich den Großen Unter den Linden und auf Anregung des Prinzen Heinrich am Fuße des Obelisks im Park von Rheinsberg verewigt wurde. Garnison war das kleine Städtchen Prenzlau, für den jungen Boguslawski nicht gerade ein Ort, den sich ein angehender Schriftsteller aussuchen würde. Zwar war General Wunsch ein Vorgesetzter mit Einfühlungsvermögen für geistig interessierte Offiziere, doch die Stadt und das Offizierskorps des Regiments boten wenig Anziehendes. Der spätere Berliner Schriftsteller und Bühnenautor Julius von Voss (1768-1832), zwischen 1782 und 1788 ebenfalls Fähnrich und später Offizier in diesem Regiment, umschrieb in seiner Autobiographie das Prenzlauer Alltagsleben der Offiziere und Fähnriche mit den Begriffen Drill, Dirnen, Spiel, Trunk.5

Und Voss beschrieb detailliert einen sonderbaren Intellektuellen unter den Offizieren: „Ein Lieutenant, Namens Boguslawski, stand bei dem Regimente. Der liebenswürdigste Sonderling, von der Menge verkannt, aber sich genug, und über das fremde Urtheil gleichgültig. Was ihm einen so seltnen, jedes Hinderniß überwältigenden Wissensdurst erweckt hatte, ist mir nicht bekannt, nie habe ich aber diese genialische Selbstbildung wiedergefunden. Ohne Vermögen, ohne sich aufgemuntert zu sehn, bei Entbehrung der Hülfsmittel, die ein Ort gewährt, wo die Literatur blüht, hatte er dennoch die todten und lebenden gelehrten Sprachen erlernt, sich auf bedeutende Höhen der Mathematik und Philosophie geschwungen, und die Geschichte mit tiefem Scharfsinn studirt. Er war Dichter, und mit himmlisch fühlbarem Gemüth in die Tonkunst geweiht.“6 Bach, Mozart, Beethoven spielte der junge Offizier Boguslawski auf dem Klavier nicht nur „leidlich“, sondern durchaus auf einem Niveau, das später bei den „Salons“ im Hause des Generals zu einem kulturellen Genuß wurde. Aber hier, in Prenzlau, mußte Boguslawski die Treppenleiter der militärischen Karriere durchleiden - vom Fähnrich 1779 über den Sekondeleutnant 1783 zum Leutnant.

Doch auch etwas Glück hatte der junge Offizier. Er geriet ins Blickfeld des Generals und wurde 1786 Generaladjutant. Seine intellektuellen Fähigkeiten, sein Wissensdrang, sein intensives Selbststudium wurden entdeckt und als beste Voraussetzungen für eine Tätigkeit im Stab und in der Offiziers-Weiterbildung genutzt. Kommandiert zur Ausbildung von Offizieren in Magdeburg und anderen preußischen Garnisonstädten in den Fächern Geometrie und Befestigungskunst, hatte er Gelegenheit zum Gedankenaustausch, aber auch nunmehr freie Zeit zum Schreiben. Sein Vorbild war der im Siebenjährigen Krieg gefallene preußische Major und Dichter Ewald von Kleist (1715-1759). Die Themen lagen im Jahrzehnt vor der Französischen Revolution, im Jahrzehnt des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges auf der Straße - die Gleichheits-Gedanken Rousseaus, die philosophischen Ideen Montesquieus und Voltaires.

Von den ersten literarischen Versuchen Boguslawskis sind keine Belege erhalten geblieben, nur Tagebuchaufzeichnungen und der Briefwechsel mit seinem Bruder geben Zeugnis von jener Periode.7 Aus den Tagebuchnotizen geht hervor, daß sich Boguslawski eingehend mit neuen Fragen der militärischen Taktik als Folge des Sieges der amerikanischen Milizen über die englische Armee befaßte, auch mit Fragen der militärischen Disziplin angesichts der beginnenden Diskussion unter den Offizieren über Menschenwürde, über Reformen in der Gesellschaft und im Heer.

Nach dem Tode des Generals von Wunsch im Jahre 1789 wurde Leutnant von Boguslawski als Generaladjutant in das Infanterie-Regiment 32, das in Breslau stationiert war, versetzt, kommandiert vom Erbprinzen (ab 1796 vom Fürsten) Friedrich Ludwig von Hohenlohe-Ingelfingen (1746-1818). Schon ein Jahr danach erfolgte die Beförderung zum Kapitän. Drei Jahre später geriet er in den Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich und erlebte als Stabsoffizier in unmittelbarer Nähe des gleichaltrigen, befreundeten Majors von Massenbach (1758-1827), Generalquartiermeister des Armeekorps von Hohenlohe, und auch in der Nähe Johann Wolfgang von Goethes, des Ministers im Gefolge des preußischen Kürassier-Regiments Herzog von Weimar, im September 1792 die Kanonade von Valmy. Der Literat von Boguslawski schreibt den Armeebericht Journal der Avantgarde unter dem Kommando des Generallieutnant Erbprinz von Hohenlohe in den Feldzügen 1792, 1793, 1794, enthalten im Kriegs-Archiv des Großen Generalstabes. Sein Freund Massenbach schrieb später über jene berühmte Kanonade: „Die Erde bebte, es war ein herzerhebendes Schauspiel. Ich umarmte Boguslawski, und wir schwuren uns hier ewige Freundschaft.“8

Offene Kritik an den preußischen Zuständen war nicht Boguslawskis Sache, das Kriegstagebuch vermeidet die Untersuchung der Ursachen des Rückzuges und die Beschreibung der Qualen des Marsches. Drei Jahre verbrachte der nunmehrige Hauptmann von Boguslawski am Rhein - desillusioniert, aufgerieben in den Kämpfen gegen die Armeen der französischen Republik, ständig den Widerspruch zwischen den Lobgesängen auf die Siege des preußischen Heeres unter Friedrich II. im Siebenjährigen Krieg und dem Versagen der preußischen Armee und Gesellschaft in den Jahren 1792 bis 1795 vor Augen. Boguslawski blieb der Armee treu - im Innern aber nahm er Zuflucht zur Antike, zur Gedankenwelt seines Lehrers Ramler: Im Feldlager machte er sich an die Übersetzung des Vergil, verknüpft er das Poetische mit dem für einen schlesischen Gutsbeitzer praktisch Nützlichen, mit der Landwirtschaft: Virgils Landbau. Ein Lehrgedicht in vier Büchern, aus dem Lateinischen übersetzt von einem Offizier, erscheint 1795 in Berlin, nicht anonym, denn der vorangestellte „Brief an ein Landmädchen“ ist unterzeichnet mit Karl Andreas von Boguslawski, und als Aufgabeort des Briefes ist „Lager by Worms den 19. April 1794“ genannt. Die Familie vermutete, daß die Widmung an die damalige Verlobte Amalie von Klützow zu Dedelow bei Prenzlau, die spätere erste Ehefrau Boguslawskis, gerichtet war.

Der preußische Hauptmann gerät im Widmungsbrief ins Schwärmen über den Originaltext des Vergil: „die, den Gegenständen immer gleich angemessene Poesie des Styles; die Klarheit, Eleganz und Gewandtheit seiner Perioden, die unerreichbare Harmonie seiner Versifikation, alle die unzählichen kleineren Reize, wodurch Virgil seinen Landbau zu dem ausgearbeitetesten wohlklingendsten und vollkommensten Gedicht des ganzen Alterthums erhoben hat ...“9 Er ist sich wahrscheinlich unsicher über die Wirkung seines literarischen Erstlings und macht sich lustig über die zeitgenössische Literaturkritik: „,Aber wir haben ja von diesen Gedicht der Uebersetzungen genug‘, ruft die Kritik. Ich gestehe, daß ich darauf keine Antwort weiß, und wünsche nur, daß dieses die größte der Verlegenheiten seyn mögte, in welche mich die Kunstrichter bringen können. - Doch ich falle auf ein Mittel ihnen zu entkommen. Ich lasse diesen Brief vordrucken und nenne mich öffentlich. Mein unlitterarischer Stand, mein undeutscher Name, und der große Ruf und Wert der vorigen Uebersetzungen bewirken vielleicht, dass kein Kunstrichter meinen Versuch des Lesens würdigt und so schlüpfe ich durch ... Nachsatz. Wenn ihr hochgelahrter, antiquarischer Pfarrer einmal zu Ihnen komt, und auf dieß Werkchen trifft, so mag er blättern: nur sagen Sie ihm, die Anmerkungen enthielten für ihn nichts neues und wären auch für seines gleichen nicht geschrieben.“10 Boguslawskis Hinweis auf seine Anmerkungen in diesem Buch kann durchaus als Aufforderung verstanden werden, die Übersetzung nicht nur als poetische Übung, sondern als theoretische Arbeit zu verstehen, umfassen sie doch - bei einem Gesamtumfang des Buches von 255 Seiten - immerhin 70 Seiten.

Die Jahre zwischen 1795 und 1806 sind für den Major, ab 1804 Oberstleutnant, Boguslawski ausgefüllt mit Truppen- und Stabsdienst, mit Versetzung in die durch die Annexionspolitik gegenüber Polen geschaffene Provinz Südpreußen und mit dem Kommando eines selbständigen Füsilierbataillons. Und in diesen Jahren heiratet er, mit Erlaubnis des Königs, jenes „Landmädchen“, der literarischen Öffentlichkeit bekannt aus dem Widmungsbrief des Vergil. Auch die praktischen Bezüge zur Landwirtschaft kommen zu ihrem Recht; Boguslawski kauft das Gut Poselwitz bei Neumarkt. Aus dieser Zeit sind literarische Arbeiten in der „Berlinischen Monatsschrift“ überliefert, vorwiegend antike Themen - u. a. „Apollo unter den Hirten“, „Priamus's Tod und Troja's Untergang“. Auch von Gedichten in den „Schlesischen Provinzblättern“ und in J. C. Gieseckens Taschenbuch für Dichter und ihre Freunde ist in Literaturberichten jener Jahre die Rede, wobei die Autorenschaft nicht mehr exakt nachzuweisen ist, hatte sich doch auch sein Bruder, Johann Heinrich Georg (gestorben 1802), literarisch versucht.

Die literarisch und politisch bedeutendsten Werke Boguslawskis entstehen nach 1806, nach dem Erlebnis der Niederlage von Jena und Auerstedt, nach dem Untergang der Armee Preußens, die für ihn Teil seines Lebens war.

Mit Leidenschaft hatte er im Umkreis der Offiziere um Scharnhorst, Boyen, Gneisenau in den Jahren zwischen 1802 und 1805 an internen Debatten um die notwendigen Reformen der Struktur der Armee, um die Anpassung der militärischen Strategie und Taktik an moderne Anforderungen teilgenommen. Wie aus den publizierten Berichten der von Scharnhorst geleiteten „Militärischen Gesellschaft zu Berlin“ hervorgeht, war Boguslawski Mitglied dieser Gesellschaft11 und hatte trotz seiner Stationierung in Schlesien an den wöchentlichen Sitzungen in Berlin teilgenommen. Schriftliche Zeugnisse über die Themen seiner Mitarbeit sind nicht überliefert.

Noch am Vorabend der Ereignisse von 1806 war Karl Andreas von Boguslawski zum Obersten befördert worden, die Niederlage und das Versagen eines großen Teils der militärischen Führung Preußens trafen ihn tief. Das von ihm geführte Füsilierbataillon 22 wurde in der Schlacht bei Jena völlig vernichtet, Oberst Boguslawski gerät in französische Gefangenschaft und wird unter Bewachung auf den Fußmarsch in Richtung Chalons sur Marne geschickt. Der Weg war ihm aus dem Jahre 1792 bekannt, nun aber ist er Gefangener. Sein Charakter verträgt keine Muße; er erhält die Chance, auf Ehrenwort die Region der Champagne zu durchstreifen, Land- und Weinbau, Politik und Wirtschaft des neuen Frankreich zu studieren. Ein interessantes Buch ist als Resultat dieser Wanderungen entstanden, diesmal Prosa und durchaus auch heute noch lesbar: Briefe über die Champagne und Lothringen an einen Landwirth in Schlesien, erschienen im Verlag Wilhelm Gottlieb Korn, Breslau und Leipzig 1809.

Doch die Zeit zum Schreiben und Studieren war knapp. Inzwischen war der Autor selbst auf sein schlesisches Gut zurückgekehrt, 1808 wieder in die Armee eingegliedert und zum Kommandanten der Festung Neiße ernannt worden. Schlesien war Mittelpunkt des Wiederaufbaus des preußischen Heeres und der militärischen Rüstungen. Scharnhorst zögerte nicht, Boguslawski in den engeren Kreis der Reformer zur Reorganisation der Armee einzubeziehen, sein Arbeitsfeld wird in Königsberg und Berlin die Aus- und Weiterbildung der Offiziere - und die Neugestaltung des Ordenswesens. 1809 wird Oberst Boguslawski Mitglied der durch den König eingesetzten General-Ordenskommission und 1810 Militärischer Direktor der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin, der späteren Militärakademie. Gemeinsam mit Carl von Clausewitz gelang es ihm, den erheblichen Widerstand und die weitverbreiteten Vorurteile im Offizierskorps gegen wissenschaftliche Bildung und gegen Aufnahme- und Abschlußprüfungen sowie Disziplinlosigkeiten an den höheren Militärschulen schrittweise zu überwinden.

Auch in dieser Arbeitsphase läßt die Poesie Boguslawski nicht los. Er vollendet 1809 „Xanthippus“, sein bedeutendstes Werk in Form eines Heldengedichts in zehn Gesängen. Den historisch verbürgten spartanischen Feldhauptmann Xanthippus wählt Boguslawski zum Helden, verwandelt ihn in einen gebürtigen Karthager, in der Jugend nach Sparta geflohen und verbannt, der sich in Diensten des Ägäischen Bundes hohen Kriegsruhm erwirbt. Boguslawskis Feldherr kehrt als dichterische Gestalt in der Zeit der Gefahr für Karthago in sein Vaterland zurück, als der römische Konsul Regulus die Stadt nach der Zerschlagung ihrer Armee mit dem Untergang bedroht. Der zurückgekehrte Feldherr gewinnt das Vertrauen der Regierung und des Volkes, stellt die Armee wieder her, schlägt die Römer entscheidend und rettet das am Rande des Abgrundes stehende Vaterland.

Die Zeitgenossen erkannten in dieser Parabel den Aufruf des Patrioten, auch in ihrer verzweifelten Lage nicht zu versagen und ihre Kräfte zusammenzufassen. Der bevorstehende Krieg gegen das napoleonische Frankreich kündigte sich an, Oberst Boguslawski war an der Spitze einer neuerrichteten Landwehr-Brigade an den Feldzügen des Jahres 1813 beteiligt, wird zum Generalmajor befördert. Einige Monate war der General im Jahre 1815 interimistisch Stadtkommandant von Berlin, übernimmt nach Friedensschluß wieder seine Stellung an der Allgemeinen Kriegsschule.

Auch in dieser Zeit war Boguslawski literarisch tätig. 1814 erscheint in Berlin Diokles. Eine Legende in vier Gesängen, wieder ein antikes, ein römisches Thema, aber kein Heldenpoem, sondern die poetische Verarbeitung der Leiden des Krieges, die in jenen Jahren so viele preußische Familien erlebt hatten.

1817 starb General Boguslawski. Die Familie fand im Nachlaß ein letztes Heldengedicht, den „Tassilo“, später von seiner Frau herausgegeben. Zum erstenmal hatte sich Boguslawski von der Antike gelöst und eine legendäre Gestalt aus der Geschichte gewählt, die des bayerischen Gegenspielers Karls des Großen, dichterisch als Stammvater der Hohenzollen besungen.

Lassen wir zum Abschluß noch einmal den ehemaligen Regimentskameraden aus den Prenzlauer Tagen, Julius von Voss, sprechen: „So viele Leistungen geboten strenges Kargen mit der Minute. Er (Boguslawski - D. W.) entriß sich also den Dienstgeschäften immer eilig, und verschloß sich in sein Gemach. Einsame Spaziergänge (oft bei sternenheller Nacht) um der Astronomie obzuliegen, isolirten ihn noch mehr. Kam er unter die Offiziere, begriff man ihn allerdings nicht, und ihre Unterhaltung konnte ihm nicht genügen. Das machte ihn fremd unter den Einheimischen und seine gesellschaftlichen Formen wichen ab.“12 Eine Charakteristik, die selbst in ihrer dichterischen Überhöhung auch auf die späteren Lebensjahre des preußischen Offiziers und Schriftstellers Karl Andreas von Boguslawski zutrifft.

Anmerkungen:
1 Auszug aus einem Brief Karl Friedrichs von dem Knesebeck an Johann Wilhelm Gleim vom 1. September 1794: „Bis zu dem Frieden hänge ich meine Leyer in die ödeste Halle, die ich finde und sage, sie soll verstummen in diesen traurigen Zeiten.“
2 Für die Einsicht in das Familienarchiv bin ich Frau Carola Howaldt, Berlin, dankbar
3 Karl-Hermann von Brand/Helmut Eckert, Kadetten. Aus 300 Jahren deutscher Kadettenkorps, Bd. 1, Schild Verlag, München 1981
4 Virgils Landbau, ein Lehrgedicht iln vier Büchern aus dem Lateinischen übersetzt von einem Offizier, Berlin 1795, S. 7, Fußnote
5 Julius von Voss, Abriß zu einer sublimen Kriegskunst mit der militärischen Laufbahn des Verfassers, Berlin 1808, S. 249 ff.
6 Ebenda, S. 252 ff.
7 Vgl. Albert von Boguslawski, Lebensabriß des Generalmajors Carl Andreas von Boguslawaski, Reprint, Hrsg. Förderverein Alter Berliner Garnisonfriedhof, Berlin 1996
8 Ebenda
9 Virgils Landbau, a. a. O., S. 3
10 Ebenda
11 Denkwürdigkeiten der Militärischen Gesellschaft zu Berlin, Neudruck der Ausgabe Berlin 1802-1805, Biblio Verlag, Osnabrück 1985
12 Julius von Voss, a. a. O., S. 250


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 12/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
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