Eine Rezension von Eberhard Fromm


Entscheidend ist, was er zu sagen hat

Richard von Weizsäcker im Gespräch mit Ulrich Wickert:
In der Freiheit bestehen
Hohenheim Verlag, Stuttgart 2000, 152 S.

Mit der Buchveröffentlichung der Gesprächsreihe „Zeitzeugen“ des Fernsehsenders Phoenix wird hier eine bereits übliche Praxis fortgesetzt, die da lautet: das Buch zum Film! Im Unterschied zu vielen dieser Zwitter macht die Buchveröffentlichung solcher ausführlichen Gespräche, die ohne äußere Handlung, Bildeinblendungen u. ä. auskommen, einen Sinn. Man kann das gesehene und gehörte Interview in Ruhe und wiederholt nachlesen. Wenn dann noch - wie hier der Fall - Arbeiten des Interviewten zusätzlich abgedruckt werden, gewinnt solch ein Büchlein an Wert.

Richard von Weizsäcker ist nicht nur durch seine zwei Amtsperioden als Bundespräsident bekannt. Er hat in der Zwischenzeit eine Reihe Bücher veröffentlicht, in denen er sich den Fragen der Zeit stellt. Unnachahmlich aber sind seine großen Reden geblieben, mit denen er auf Probleme aufmerksam machte, Wertungen vornahm und so die Öffentlichkeit bewegte.

Das hier abgedruckte Gespräch des bekannten Fernsehjournalisten Ulrich Wickert mit Richard von Weizsäcker wurde 1999 gesendet. Der rote Faden der Ausführungen ist durch die Biographie des Befragten gegeben. So erfährt man in lockerem Erzählton von der Kindheit und Jugend Weizsäckers, von seiner Soldatenzeit und den letztlich erfolglosen Bemühungen in den ersten Nachkriegsjahren, als junger Jurist den Vater vor dem Gefängnis zu bewahren. Man kann die weitere Laufbahn verfolgen, von der Arbeit in der Wirtschaft und der Tätigkeit als Kirchentagspräsident über das politische Wirken in der CDU und als Regierender Bürgermeister von Berlin bis hin zu seinem hohen Amt als Bundespräsident und auch die Zeit danach. Befragt nach den Wirkungsmöglichkeiten und Kompetenzen in der Funktion des Bundespräsidenten, lautete die klare Antwort: Das Entscheidende sei nicht die Frage nach zu vielen oder zu wenigen Kompetenzen. „Das Entscheidende ist, ob er weiß, was er zu sagen hat.“

Was immer wieder auffällt ist die Gradlinigkeit der Aussagen Weizsäckers; weder drückt er sich vor Wertungen persönlicher Art, noch weicht er Antworten zu kritischen politischen Grundfragen aus. So erklärt er auf die Fragen nach der Pogromnacht vom 9. November 1938: „Wir waren eine große schweigende Masse von Zuschauern, die nur gesehen und nichts getan hat.“ Und im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Zuständen in der Politik angesichts der CDU-Spendenaffäre heißt es mehr als deutlich: „Aber das Kernproblem bei den Parteien ist nicht das Geld, sondern das hemmungslose Machtstreben, bei dem Begriffe wie Ehre, Wahrheit und ethische Grundlagen zu oft auf der Strecke bleiben.“

Das Büchlein enthält neben einem Vorwort von Richard Schröder, das nicht unbedingt sein mußte, eine wertvolle Ergänzung in Gestalt von fünf Beiträgen Weizsäckers aus den Jahren 1985 bis 2000. Von besonderem Gewicht sind dabei die Reden zum 8. Mai 1945, gehalten am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag, und zu Friedrich dem Großen, gehalten am Vorabend des 200. Todestages des preußischen Königs im Berliner Schloß Charlottenburg. In ihnen zeigt sich die ausgeprägte Fähigkeit Weizsäckers, Entwicklungen in ihrer Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit zu verdeutlichen, sie aber nicht nur zu beschreiben, sondern zu klaren Positionen und eindeutigen Wertungen zu gelangen.

Neben zwei weiteren Vorträgen über so verschiedenartige Themen wie die Musik und die Zukunft der Vereinten Nationen kann man auch einen kleinen Beitrag aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über die Konsequenzen aus den Verfehlungen Kohls und die Krise der CDU nachlesen. Hier steht ein Satz, den man im Gedächtnis behalten sollte angesichts der schnellen Rückkehr zur Normalität innerhalb der CDU: „Was gilt ein Ehrenwort, das der mächtigste Mann in der Politik willkürlich über seinen Eid auf die Verfassung und Recht setzt? Es ist eine Zumutung, sich den Mitmenschen gegenüber auf ein solches ,Manneswort‘ zu berufen.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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