Eine Rezension von Kathrin Chod


Zwischen Spiel und Leben

Peter Michalzik: Gustaf Gründgens
Der Schauspieler und die Macht.
Quadriga Verlag, Berlin 1999, 320 S.

Wer erinnert sich nicht an die berühmte Szene aus dem Film „Tanz auf dem Vulkan“ mit Gustaf Gründgens als Schauspieler Debureau. Am Vorabend der Julirevolution 1830 schmettert er den Vertretern des verhaßten Hofes sein „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ entgegen: „... schmieden sie im Flüsterton aus Gesprächen Bomben, Rebellion, Rebellion in den Katakomben ...“ Die Versuchung liegt nahe, Gründgens Leben im Dritten Reich unter das Motto dieses Filmtitels zu stellen, als Tanz auf dem Vulkan. Doch auch andere Rollen wurden benutzt, um Gründgens zu charakterisieren. Die bekannteste Variante bot Klaus Mann in seinem Roman Mephisto, bei dem schon das Bild falsch war, da Mann ja den charakterisieren wollte, der seine Seele verkauft. Klaus Mann war wohl auch zu sehr persönlich verletzt, als daß er mit seiner plakativen Darstellung des Karrieristen Höffgen den realen Gründgens zeichnen konnte. Peter Michalzik unternimmt nun mit dieser Biographie einen neuen Anlauf, um das Phänomen Gründgens zu erklären, und auch er bedient sich einer Rolle, die Gründgens spielte: „Der Snob“ von Carl Sternheim. „,Der ,Snob‘ ist ein kalter Aufsteiger und eine äußerst zwielichtige Figur. Der Habitus, den Gründgens dieser Figur gab, war eine elegante Wiederaufnahme seiner früheren Erscheinung - bevor aus dem etwas anrüchigen Schauspieler der gediegene Intendant, der Aufsteiger ohne Eigenschaften wurde ... ,Der ,Snob‘ war ein riskanter Balanceakt der Schamüberwindung. Maskierung und Entblößung wurden eins.“

Die vorliegende Biographie erschien zum 100. Geburtstag Gründgens. Ihr Autor, Peter Michalzik, Jahrgang 1963, gehört zu denen, die von der Gnade der späten Geburt sprechen können, das heißt im konkreten Fall, er kennt die Zeit, in der Gustaf Gründgens von 1899 bis 1963 lebte und agierte, nicht aus eigenem Erleben, was nicht ungewöhnlich ist, sonst wären ja Historiker brotlos. Michalzik ist aber kein Historiker und bemüht sich auch nicht, als ein solcher zu erscheinen. Er ist Theaterwissenschaftler und orientiert diese Biographie auch vor allem am Theater. So kommen beispielsweise die Filme - in denen man ja den leibhaftigen Gründgens als Schauspieler noch selbst erleben kann - kaum, im Rollenverzeichnis sogar überhaupt nicht vor. Michalzik hat also Gründgens nie auf der Bühne gesehen. „Das muß aber, wie mir bald klar wurde, kein Nachteil sein. Wie keine andere Kunst lebt Theater nur im Auge und Ohr des Zuschauers. Die Auswertung unterschiedlicher Zeitzeugnisse erlaubt deshalb ein differenzierteres Bild, als es persönliche Erinnerungen liefern könnten.“ Dieses differenzierte Bild sieht dann so aus, daß bestimmte historische Gegebenheiten sehr eigenwillig interpretiert werden, so wie sich der Autor eben denkt, daß es damals war. Da steht im Mai 1946 Gründgens zum erstenmal wieder auf der Bühne, als „Snob“ im Deutschen Theater. Die Frage, die nach Michalziks Meinung nun alle interessierte, war: „Wie war das denn nun wirklich mit ihm im Dritten Reich? Wie denkt er denn nun über seine (und damit auch unsere, der Zuschauer) Vergangenheit?“ Diese Frage beschäftigte die meisten Deutschen zu dieser Zeit aber überhaupt nicht, so muß sich der Autor auch nicht wundern, daß der Schauspieler mit wahren Ovationen von seinem Publikum begrüßt wurde. Ein anderes Mal meint Michalzik, Gründgens Paul Wegener als gutes Beispiel vorhalten zu müssen: „Wegener weigerte sich, wie er sich schon vorher geweigert hatte, für das NS-Regime tätig zu werden.“ Als ob man das so simpel sagen kann, auch Paul Wegener konnte sich nicht immer weigern, so führte er 1934 in dem patriotischen Streifen „Ein Mann will nach Deutschland“ Regie und spielte u. a. in dem Horst-Wessel-Film „Hans Westmar“ und im Durchhalteepos „Kolberg“ mit. Oder: 1938 gibt Gründgens ein „Hamlet“-Gastspiel in Kopenhagen und schreibt im gleichen Jahr darüber in der Monatsschrift der „Nordischen Gesellschaft“, daß diese Aufführung zu seinen schönsten künstlerischen Erinnerungen gehöre. Diese Äußerung ist nach Michalzik nur scheinbar unverfänglich, sie „tat sich bei der Stimmungsmache, die am 9. April 1940 im Überfall auf Dänemark und Norwegen gipfelte, besonders hervor“ und unterstützte so die Annektion. Für einen Biographen wirklich verständlich ist Michalziks Eingeständnis: „Wer Gründgens in seinem innersten Wesen war, hat mich dagegen weniger beschäftigt. Daß Gründgens als privater Mensch integer war, läßt sich nach vielen, auch jüdischen Zeugnissen kaum bestreiten. Doch es besagt auch nicht besonders viel.“

Michalzik meint, daß die NS-Diktatur für das deutsche Theater nicht den absoluten Bruch bedeutete, den man nach 1945 oft in dieser Zeit sehen wollte, und daß Theater im Dritten Reich nicht ausschließlich auf die NS-Ideologie untersucht werden kann. Das ist sicher richtig, kommt doch aber dadurch zustande, daß Schauspieler und Regisseure wie Gustaf Gründgens, Heinrich George, Jürgen Fehling oder Heinz Hilpert eine große humanistische deutsche Theatertradition fortführten. Dies vermag der Autor aber nicht als Leistung anzuerkennen, er sieht in erster Linie, daß Gründgens „Repräsentationsaufgaben zur Zufriedenheit der Mächtigen erfüllt“. Natürlich muß auch er registrieren, daß Gründgens sein Theater von nationalsozialistischen Stücken frei hielt, er schränkt dabei aber wieder ein: „Das Staatstheater, das vor allem durch die Klassikerinszenierungen von der systemkonformen Linie abwich, nutzte einen Spielraum, innerhalb dessen sich die Theater im Dritten Reich bewegen konnten.“ Dem Autor ist offenbar nicht bewußt, was das Wort Spielraum in einer Diktatur bedeutet und daß es sich erst hinterher herausstellt, ob man den Spielraum ausgenutzt oder ihn überschritten hatte. Warum dann plötzlich die Inszenierung von Büchners „Dantons Tod“ „eine der gewagtesten Stückentscheidungen seiner (Gründgens'- K. Ch.) Laufbahn“ war, wird bei dieser Sichtweise nicht deutlich. Ähnlich verhält sich Michalzik zu dem Fakt, daß Gründgens jüdische Schauspieler und Schauspieler, die mit Juden verheiratet waren, schützte und vielen bedrohten Mitarbeitern half. Auch das sei ja nichts Besonderes, weil andere das schließlich auch gemacht hätten. Wenn das so alltäglich war, fragt man sich, warum es überhaupt so viele Opfer gab. Für Michalzik „relativiert“ sich Gründgens Hilfe, „war also bei weitem nicht so kritisch und gefährlich“ und steht im „Zwielicht“. So bewertet Michalzik auch Gründgens Inanspruchnahme von Göring für die genannten Zwecke: „Man brauchte also nicht Göring dafür.“ Das verrät allerdings eine erstaunliche Unkenntnis der Verhältnisse im Dritten Reich, wie sie auch bei der Bewertung der unterschiedlichen Rollen von Göring und Goebbels zum Theater und bei der Klärung des „persönlichen Verhältnisses“ von Gründgens und Hitler zum Ausdruck kommt. Natürlich ist es albern, wenn einige Biographen jegliche Kontakte negieren, aber wenn Michalzik schon anfängt aufzuzählen, wann Gründgens Hitler gesehen hat, klingt das auch nicht viel besser.

In jedem Fall lesenswert sind die Passagen, die die reine Theaterarbeit betreffen, die Aneignung und Interpretation von Rollen wie Hamlet und Mephisto. Vielleicht gibt es da bei dem einen oder anderen Leser doch Bedauern, wenn der Autor feststellt: „Die Traditionen, für die Gründgens steht, Klarheit und Werktreue, spielen schon seit längerer Zeit keine bestimmende Rolle mehr. In dieser Hinsicht ist Gründgens' Wirkung verpufft.“ Die Versuchung liegt nahe, Schauspieler mit ihren Rollen zu identifizieren, doch Armin Mueller-Stahl ist nicht Achim Detjen, der Kundschafter, Günter Simon nicht Ernst Thälmann und Ferdinand Marian nicht Jud Süß, und so ist Gustaf Gründgens weder Debureau noch Mephisto, noch der Snob. Er hatte alle diese Rollen einfach hervorragend gespielt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
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