Eine Rezension von Kathrin Chod


„Jude im medialen Totenreich“

Friedrich Knilli: Ich war Jud Süß
Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian.
Henschel Verlag, Berlin 2000, 208 S.

Wenn Klaus Jürgen Wussow als Professor Brinkmann angesprochen wird, mag er darüber lächeln. Als Rolf Hoppe in den 70er Jahren von Kindern scheel angesehen wurde, da er als Bösewicht vom Dienst in DEFA-Indianerfilmen auftrat, war das für ihn zwar betrüblich, aber mittlerweile konnte er das sehr erfolgreich abstreifen. Doch es gab eine Rolle, die wurde sein Darsteller niemals los. Die Rolle war die des Joseph Süß Oppenheimer, und der Darsteller hieß Ferdinand Marian (nicht etwa Friedrich Knilli, wie der Titel vermuten lassen könnte).

Ferdinand Heinrich Johann Haschkowetz, der später den Künstlernamen seines Vaters Marian annimmt, kommt 1902 in Wien zur Welt. Irgendwann reißt er von zu Hause aus, schlägt sich als Hausdiener, Musiker und Arbeiter durch, leitet die Verkaufsstelle einer Salzgroßhandlung, hat für eine Firma Baustellen in Jugoslawien zu kontrollieren und arbeitet als Chauffeur, kehrt schließlich ins elterliche Haus nach Graz zurück und beginnt „mit Hilfe von Papas Beziehungen zum Grazer Theater halbherzig eine Schauspielerkarriere“. Langsam spielt er sich nach vorn, tritt auf Bühnen im Rheinland, in Hamburg und in München auf und erhält schließlich auch Nebenrollen im Film. Hier spielt er vor allem zwielichtige Gestalten und Bösewichte. Dann ist es endlich soweit, die Terra bietet ihm 1939 die ganz große Rolle an, und Marian lehnt sie ab. So unpolitisch und in erster Linie am guten Leben interessiert er auch ist, er weiß natürlich, in welche Richtung sich eine Interpretation des Jud-Süß-Stoffes bewegen würde, und vielleicht ahnt er auch die Folgen für sich als Schauspieler. Wie ihm geht es auch anderen: Als im November 1939 die Berufsbösewichte des deutschen Films zu Probeaufnahmen geladen werden, spielt sich ein eigenartiger Wettbewerb ab: René Deltgen, Richard Häußler, Rudolf Fernau, Paul Dahlke, Siegfried Breuer und Ferdinand Marian eifern danach, möglichst schlecht zu spielen, und tatsächlich gefielen die Aufnahmen Goebbels überhaupt nicht. Eins war für den Propagandaminister jedoch sofort klar, Marian ist der Typ, den er haben will. Ein neues Konzept für den Film wird entworfen, Regie-Star Veit Harlan verpflichtet, und der zaudernde Marian wird von Goebbels persönlich überzeugt. Was letztlich herauskommt, ist einer der größten Kinohits der NS-Zeit: in Deutschland, in Frankreich und im mit Deutschland befreundeten Ausland. Knilli spricht von mindestens 20 Millionen Menschen, die den Film sehen. Das ist 1945 natürlich vorbei, der antisemitische Film ist verboten, so daß man seinen Inhalt und vor allem die Art der Darstellung nur gerüchteweise kennt. Knilli untersucht in seinem Buch nun genau das und kommt zu einem verblüffenden Ergebnis: Der Film sei nicht nur ein Mittel judenfeindlicher Propaganda, mit bewußt eingesetzter „antisemitischer Erotik“, sondern zugleich ein Melodram à la Hollywood. Letzteres wird vor allem erreicht durch Ferdinand Marian, dessen Schauspielkunst sowohl Joseph Goebbels beeindruckte als auch Medienwissenschaftler Knilli und den Autor des Vorwortes Alphons Silbermann, der dem Schauspieler viel Einfühlsamkeit bescheinigt und zugleich hervorhebt: „Fast jeder Satz, den der Wiener Ferdinand Marian in der Rolle des Joseph Süß Oppenheimer spricht, könnte sinngemäß aus dem Mund eines jungen Juden kommen, der im 18. Jahrhundert Karriere machen wollte und deshalb um rechtliche Gleichstellung in Deutschland zu kämpfen hatte, und dem die Christen so viel Verachtung und Haß entgegenbrachten, daß er sich seiner Herkunft schämen mußte.“ Ferdinand Marian wird jedenfalls seines Erfolges nicht recht froh, er trinkt viel mehr, als er verträgt, und spielt noch einige Rollen, darunter einen sensiblen Komponisten in dem herausragenden Film „Romanze in Moll“ mit Marianne Hoppe und den Magier Graf Cagliostro, der dem blonden Hans alias Münchhausen Unsterblichkeit verleiht. Dann ist der Krieg vorbei und Marian ein Geächteter. Eine Chance erhält er noch 1946: Er wird eingeladen, in Weimar zu spielen, sogar der Präsident des Landes Thüringen unterstützt die Werbung. Doch der Schauspieler zögert, da amerikanische Beamte ihn warnen. Noch im selben Jahr stirbt Marian bei einem Autounfall. Wie so oft reichen die Gerüchte von Selbstmord bis Mord, was natürlich alles nie geklärt werden kann.

Friedrich Knilli ist Medienwissenschaftler und hat, wie es im Klappentext heißt, „zahlreiche wissenschaftliche Standardwerke zu Hörspiel, Film und Fernsehen verfaßt“. Dieses Werk, das neben der Biographie Marians noch Ausführungen zum „jüdischen Sittenver-derber“ als „Prototyp antisemitischer Erotik und Pornographie“ sowie Süß-Darstellern vor und nach Auschwitz enthält, erzählt er nun sehr locker und populär. Auch wenn bei der Charakteristik der Theater- und Filmarbeit etwas allzu geradlinig der Weg zum bitteren Ende vorgezeichnet ist, wird Knilli doch seinem Vorsatz gerecht, „einen Mann von einem Gesicht zu befreien, das nicht das seine ist, das sein zweites Gesicht wurde. Der Schauspieler Marian ist Herrn Knilli bei seiner Beschäftigung mit dem Thema allerdings derart ans Herz gewachsen, daß er mit ihm so etwas wie eine postmortale Verbrüderung feiert. Deren Ergebnis ist, daß sich das wehrlose Opfer gefallenlassen muß, von Fritze Knilli in einem fort Ferdl genannt zu werden. Das ist nun etwas gewöhnungsbedürftig, aber wem's gefällt ...

Aber noch etwas ist gewöhnungsbedürftig an dem Buch, und das ist der Umgang mit Fußnoten, Literatur- und Quellenverzeichnis. Wenn ich ein Buch kaufe, habe ich das gewöhnlich mit dabei, hier aber nicht. Knilli störten „die klein gedruckten Nachweise, welche die Fußzeilen einer Textseite verunzieren und unleserlich machen und das Ende eines Buches zum Friedhof von überschwenglichen und kränkenden Anmerkungen“. Und so kam ihm der geniale Gedanke, diesen Teil im Internet zu veröffentlichen, wofür gleich zwei Internetadressen angegeben sind. Das war vorausschauend und bitter nötig, denn der Versuch, die erste Adresse zu erreichen, schlägt auch gleich fehl: www.kinomarkt.de öffnet mir tatsächlich interessante, aber recht unverständliche Inhalte, da heißt es nämlich
Index of
Name Last modified Size Description
Parent Directory 05-Sep-2000 15:17 -
marian/ 14-Sep-2000 01:05 -
cgi-bin/ 05-Sep-2000 14:06 -
Apache/1.3.3 Server at www.kinomarkt.de Port 80
Da ich vorhatte, mir ein paar Fußnoten anzuschauen und nicht einen Internet-Lehrgang zu belegen, versuche ich es mit der nächsten Adresse www.medienberatung.tu-berlin.de, und das klappt dann auch. Ich wähle mir auf der Seite unser Buch Ich war Jud Süß, gelange auf das Startbild, wo u. a. steht Anzahl der bisherigen Besucher 1. Wenn das stimmt, wäre es allerdings wirklich traurig. Automatisch öffnet sich dann die nächste Seite. Dort finde ich nun eine Art Karteikartenregister, bei der sich Anhang anklicken läßt. Hier erhält man u. a. die Möglichkeit, Danksagungen anzuwählen, was untergliedert ist in: An die Verstorbenen, die dann von Axel von Ambesser bis Dr. Karsten Witte aufgezählt werden; An die Lebenden, wo nach einer ellenlangen Liste der Nachsatz folgt, wird fortgesetzt (hätte das nicht in die vorhergehende Rubrik gehört) und schließlich An Archive. Dann versuchen wir es mal mit der Rubrik Video - hier wird doch nicht etwa Verbotenes gezeigt? Nein keine Angst: Dieser Bereich ist leider noch nicht verfügbar. Rubrik Audio: Dieser Bereich ist leider noch nicht verfügbar, Rubrik Suche: Dieser ... usw. Wie komme ich nun an meine begehrten Fußnoten. Das riesige Literaturverzeichnis im Internet unterzubringen halte ich noch für diskussionswürdig, aber zu den vielen Zitaten des Buches hätte ich schon ein paar Angaben. So hätte ich gern gewußt, wer denn die Lobeshymne zum Film „Die Nacht der Zwölf“ schrieb oder wer der „feinsinnige Ostberliner Antifaschist“ war, der in einem Artikel der „Täglichen Rundschau“ Marians Klaviervirtuosen in „Freunde“ als neuen Jud Süß verunglimpfte. Zu diesem Zweck wähle ich die Kapitelüberschrift aus, unter der nun nicht der Text, dafür aber die Rubrik Fußnoten erscheint. Zum betreffenden Kapitel „Jude im medialen Totenreich“ - wie doppelsinnig die ist, merke ich jetzt erst - lese ich dann in
einem Fenster S. 193 nur noch größer in FAZ vom 28. 6. 1979. Tja, mich hätte aber S. 192 interessiert, und die geht leer aus. Schön, daß ich erst meinen Computer in Gang setzen mußte, um dann weder den Namen des euphorischen Kritikers noch des gehässigen Antifaschisten zu erfahren. Dafür finde ich beim Durchblättern der Computerseiten Fußnoten, wo ich sie gar nicht vermutet hatte, z. B. S. 174 einfach seine Vlasta: Ihren Nachnamen kenne ich nicht. Na Klasse, das konnte dem Leser natürlich unmöglich schon im Buch mitgeteilt werden.

Abgesehen vom grandiosen Scheitern meines multimedialen Glücks, stellt sich natürlich die Frage, ob das wirklich die neue Perspektive für das Buch ist, sozusagen die Volksvariante zu spielen, während mit dem Internet eine zweite mediale Option für Fortgeschrittene geboten wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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