Eine Rezension von Bernd Heimberger


Schön stark schwach

John Keane: Václav Havel
Biographie eines tragischen Helden.
Aus dem Englischen von Thomas Bertram und
Susanne Kuhlmann-Krieg.
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 2000, 544 S.

Wer die Pavel-Kohout-Generation der tschechischen Literatur kennt, kennt auch Herrn Havel. Václav Havel war im letztvergangenen Jahrzehnt häufiger im Gespräch als Kohout und Kollegen. Macht Havel von sich reden, dann selten als Literat. Ist Václav Havel, der tschechische Staatspräsident, tatsächlich ein Politiker? Oder ist er ein politisch ambitionierter Schriftsteller, den die Zeitgeschichte in ein politisches Amt drängte? Hat ihn das politische Amt freigestellt vom literarischen Auftrag? Wer ist Václav Havel, der wer geworden ist in seinem Heimatland und der Welt? Er ist mehr geworden als jene Prager Honoratioren, die seinen Kinderwagen umkreisten und dem pummligen Burschen den Blondschopf streichelten. Was bedeutet ihm dieses Mehr, das ihm einen dauerhafteren Platz in den Geschichtsbüchern als in den Literaturlexika sicherte?

Das behütete wie beschädigte, begünstigte wie benachteiligte Leben des „jungen Prinzen“ ist kein Märchen gewesen und geworden. Es ist ganz Teil der beunruhigenden wie bewegenden mitteleuropäischen Geschichte, die als Zeit des Kalten Krieges in die Historienbücher eingetragen wurde. Die Biographie des Václav Havel hat nicht das Material für ein Märchenbuch. Sie liefert das Material für eine Recherche zur Realität des 20. Jahrhunderts. Daß der in London lehrende Politologe John Keane seine Havel-Biographie die Biographie eines tragischen Helden nennt, hat weniger damit zu tun, daß dem 1936 Geborenen nie ein Buch von diesem Umfang gelungen ist. Selbstverständlich hat das Dilemma des Havel-Lebens auch mit den Defiziten zu tun, die der Dramatiker als Dramatiker hinnehmen mußte. Der humorvolle, feinsinnige, empfindsame Havel ist der rechte Mann in der falschen Zeit, im falschen Amt. Wehmut, Skepsis, Ironie, so scheint's nicht nur, stehen ihm ins Gesicht geschrieben, sobald er in der Öffentlichkeit auftritt. Was ist das Unglück des Erfolgreichen? Was ist die Tragik seines Erfolges?

Keane betont, daß die Biographie vom Porträtierten nicht autorisiert ist. Ist das Unabhängigkeit, die der Porträtierte dem Porträtisten zubilligt, weil der Verlust der Unabhängigkeit sein Leiden ist. Keane teilt Havels Leben chronistisch in sieben Perioden. Daß ausgerechnet der letzte Lebensabschnitt mit „Niedergang“ überschrieben ist und das abschließende Kapitel „Der Tod als Geschenk“, ist nicht zynisch gemeint. Die Absicht des Autors ist es auch nicht gewesen, mit einer provokanten, aufgepeppten Persönlichkeits-Story der amerikanischen Art zu unterhalten. Als Politologe zähmt Keane stets den hervordrängenden, spekulativen Psychologen in sich. Was nicht den Ehrgeiz des Biographen unterdrückt, als guter Menschenkenner verstanden zu werden. Als derjenige, der wiederholt Begegnungen und Gespräche mit Havel hatte und daher sicher ist, ihn besser als alle Fern-Seher der Welt zu kennen. Was er über das Menschliche des immer wieder „pummlig“ genannten Havel äußert, ist meist wenig wichtig und weltbewegend. Selbst dann nicht, wenn zunächst der Eindruck erweckt wird, daß dem Prager die Krone bereits in die Wiege gelegt wurde. Hoffnungen, die der schlechte Schüler, lustlose Zimmermannslehrling und Student des Transportwesens schnell widerlegte. Der junge Mann, der wie ein „Einfaltspinsel“ wirkte, hatte sich, die Bücher, die Kunst, die gleichgesinnten, gleichaltrigen und älteren literarischen Freunde. Die Literatur wird früh das eigentliche Leben des Václav Havel. Die Literatur hat den „Sechsunddreißiger“ in die „Charta 77“ geführt. Vom Ufer der Literatur ins politische Wildwasser gestoßen, hat der Untrainierte seither mit den hochgehenden Wogen zu kämpfen. Václav Havel ist ein literarischer Mensch, der im Politischen ums Überleben ringt. Zuerst als Literat gefährdet, gefährdet schließlich die Politik den ganzen Menschen. Das ist die Tragik des „Helden“. Deshalb ist es nicht tragisch, vom „Tod als Geschenk“ zu sprechen. Die Geschichte des Václav Havel aufs Eigentliche konzentriert, ist die Geschichte eines Menschen, der mit seinem Geist für das Geistige existieren wollte. Das mußte mißlingen, denn Havel hatte das „Pech, ... ins 20. Jahrhundert hineingeboren zu werden“. Seit sich der Staatsmann - sechzigjährig und krebserkrankt - auf seine Körperlichkeit reduziert erlebte, sieht er Erreichtes deutlicher als Unzureichendes. Ein Sich-Vollendender erkennt das Unvollendete. Ein Mann der Macht nimmt wahr, wie machtlos er ist. Das ist der Stoff für die Story vom „tragischen Helden“. Der Sieger der Geschichte als Verlierer? Das kann und will der besserwissende Biograph so nicht stehenlassen. Wiederholt erwähnt, wird die „größte politische Leistung“ des Václav Havel bejubelt. Die besteht für Keane darin, „die Entwicklung der Demokratie mit vorangetrieben zu haben“. Genaugenommen klingt das sehr vage. Keane weiß das und lotst deshalb seinen Helden, wann immer sich die Möglichkeit bietet, hinauf auf die Gipfel der europäischen Zeitgeschichte der Nach-89er-Jahre. Ob das wissenschaftlich korrekt ist? An den interpretatorischen Kraftakten des Wissenschaftlers können Zweifel aufkommen, zumal er auch lässig behauptet, daß Telefon und Automobil Erfindungen des 20. Jahrhunderts sind. John Keanes Havel-Biographie ist ein Versuch, die Vielgesichtigkeit einer Gestalt zu analysieren. Das Fazit: Kein schöner Held! Oder: Ein schöner Held mit Schwächen, weil ohne Schwächen kein Held schön ist?! Vielleicht gibt es nur einen Satz in der Biographie, der den Fall im Aufstieg des Václav Havel erklären kann. Der Satz ist nicht von John Keane. Geschrieben hat ihn Václav Havels heimatvertriebener Onkel. Der Satz lautet: „In der freien Welt leide ich weiter unter fehlender Freiheit.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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