Eine Rezension von Gerhard Keiderling


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Zeugnisse des kommunistischen Widerstandes im Raum Berlin

Ursel Hochmuth:
Illegale KPD und Bewegung „Freies Deutschland“ in Berlin
und Brandenburg 1941-1945
Biographien und Zeugnisse aus der Widerstandsorganisation
um Saefkow, Jacob und Bästlein.
Hentrich & Hentrich, Teetz 1998, 570 S.

Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe war die größte kommunistische Widerstandsgruppe im Kampf gegen Hitlerfaschismus und Krieg während der letzten Kriegsjahre. Die Forschung geht von mehr als 500 Mitgliedern, darunter über 100 Frauen, aus. Das Aktionszentrum lag in Berlin und im brandenburgischen Umland, wo man Stützpunkte in über 50 Rüstungsbetrieben, unter ausländischen Zwangsarbeitern, in der Wehrmacht und in diversen Institutionen besaß. Verbindungen gab es zu den schon bestehenden Widerstandsgruppen um Herbert Baum und Robert Uhrig bis zu deren Zerschlagung durch die Gestapo 1942 sowie zu illegalen KPD-Gruppen um Martin Schwantes in Magdeburg, um Theodor Neubauer und Magnus Poser in Thüringen, um Georg Schumann in Leipzig und um Robert Abshagen in Hamburg. Der Berliner Kommunist Anton Saefkow, 1939 aus mehrjähriger Gefängnis- und KZ-Haft entlassen, schuf zusammen mit dem aus Hamburg nach Berlin geflüchteten Franz Jacob und mit dem im Januar 1944 während eines Bombenangriffs aus dem Berliner Zuchthaus Plötzensee geflohenen Bernhard Bästlein ein neues konspiratives Netz. Als die KPD-Führung im Juli 1943 bei Moskau das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD) zur schnellen Beendigung des Krieges gründete, verstand sich der „Dreierkopf“ als „Berliner Ausschuß“ dieser Bewegung. Die Kunde von dieser großen Widerstandsgruppe erreichte auch sozialdemokratische Kreise, die der Bewegung um den 20. Juli 1944 nahestanden. Die Kontaktaufnahme am 22. Juni 1944 hatte leider katastrophale Folgen. Ein auf KPD-Seite von der Gestapo eingeschleuster Spitzel lieferte beide Gruppierungen ans Messer. Saefkow und Jacob wurden am 4. Juli 1944 verhaftet, Bästlein war schon am 30. Mai 1944 der Gestapo in die Hände gefallen. Massenverhaftungen folgten im Zusammenhang mit dem mißglückten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. In 60 Prozessen gegen fast 200 Beschuldigte erging in 71 Fällen das Todesurteil. Insgesamt bezahlten über 90 Männer und Frauen aus Berlin und Brandenburg ihr mutiges Eintreten mit dem Leben.

Ursel Hochmuth, eine Hamburger Historikerin, die sich schon vor 1989 mit dieser Thematik beschäftigte, hat nach gründlichen Recherchen im früheren KPD/SED-Archiv eine sachlich-kritische Bestandsaufnahme vorgelegt. Dabei zeigte sich, daß die SED ihren eigenen Parteihistorikern viele Dokumente vorenthalten hatte. Auf den ersten Blick verwundert es, denn die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe nahm in der DDR-Geschichtsschreibung des antifaschistischen Widerstandes einen hervorgehobenen Platz ein und galt als gründlich erforscht. Zahlreiche Straßen und Plätze in der DDR, vor allem in Ostberlin, waren nach diesen Widerstandskämpfern benannt worden. Über die Verfahrensweise der SED gibt es nur Vermutungen. Gewiß paßte Verrat in den eigenen Reihen nicht in das idealisierte Bild vom kommunistischen Kämpfer. Schon im Sommer 1945 wurde jedem Altkommunisten die Frage vorgelegt, ob er bei der Gestapo „gesungen“ hätte. Wer ehrlich zugab, unter den brutalen Gestapo-Methoden „weich“ geworden zu sein, wurde gnadenlos aus der Mitgliederliste gestrichen. Zum anderen war die SED-Spitze noch nach Jahrzehnten ängstlich darauf bedacht, die von Pieck und Ulbricht von Moskau aus deklarierte Führungsrolle zu bewahren. Wie schon in den fünfziger Jahren die „Buchenwalder“ und „Sachsenhausener“, so sollte auch die letzte große kommunistische Widerstandsgruppe in eine nur nach Moskauer Direktiven arbeitende „Inlandsleitung“ umgemünzt werden. Die Untersuchungen von Ursel Hochmuth zeigen jedoch, daß die Berliner Illegalen sich in manchem von den Intentionen der führenden Genossen in Moskau unterschieden, daß sie ihre eigenen Erfahrungen einbrachten und mehr Verständnis für die Neuordnungskonzepte ihrer potentiellen Bündnispartner aus anderen politischen Lagern aufbrachten.

Ursel Hochmuth beschränkt sich in ihrer Analyse auf zwei Fragen: Aufbau der Organisation und Gegenmaßnahmen des Reichssicherheitshauptamtes. In einem flankierenden Beitrag kommentiert Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, die kommunistischen Neuordnungsvorstellungen der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf der Dokumentation. 425 Männer und Frauen werden in Kurzbiographien (wo möglich auch mit Foto) vorgestellt. Leider sind die Angaben für die Zeit nach 1945 oft sporadisch, obwohl vielfach ausreichende Daten vorliegen. Der Dokumententeil enthält 52 Schriftstücke, einige davon bislang nie oder nur auszugsweise veröffentlicht. Sie wurden gemeinsam mit Klaus Drobisch, ebenfalls ein Sachkenner der Materie, bearbeitet. Ein Kapitel über Quellen und Literatur sowie ein umfangreiches Register runden den Band ab.

Bekanntlich ging der Widerstand gegen das Hitlerregime durch alle Schichten des deutschen Volkes. Nachdenklich stimmt, daß Peter Steinbach im Vorwort, sich in langen Formulierungen ausgerechnet auf den früheren Bundespräsidenten Lübke berufend, dennoch erklären muß, daß auch der kommunistische Widerstand einen festen Platz in der Geschichte hat. Er hätte diese Wahrheit expressis verbis jenen ins Stammbuch schreiben sollen, die in der „Nach-Wende“ Straßen umbenannten und Gedenktafeln abhängten. Man kann der verdienstvollen Arbeit aus der Gedenkstätte Deutscher Widerstand nur einen großen Leserkreis, vor allem Verwendung in der schulischen und politischen Bildung wünschen. Leider wird das nicht leicht sein in einer Zeit, wo in Buchläden und Fernsehprogrammen andere Themen Hochkonjunktur haben: Hitlers Generäle, Hitlers Helfer, Hitlers Ärzte, Hitlers Frauen, Hitlers Kinder, Hitlers Autobahnen usw.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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