Eine Rezension von Birgit Pietsch
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Annäherung an zwei herausragende Persönlichkeiten
der deutschen Geschichte
Stefan Fröhling/Andreas Reuss: Die Humboldts
Lebenslinien einer gelehrten Familie.
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1999, 160 S. |
Wie kommt es, daß zwei Naturwissenschaftler, deren Erkenntnisse in der Regel überholt
sind, noch so populär sind, daß ihre Namen gleichsam für den Idealtyp des Gelehrten stehen?
Dieser Frage gehen im vorliegenden Buch Stefan Fröhling und Andreas Reuss nach. Die
Autoren zeigen den Weg der beiden in adligem Hause geborenen Brüder, wie sie - mit exquisiter
Erziehung und Ausbildung versehen - Eingang in die Berliner Salons finden. Doch hier
hören fast schon die Gemeinsamkeiten der beiden auf. Der eine wird Naturwissenschaftler und
Forschungsreisender, der andere Staatsmann, Bildungspolitiker und Sprachforscher. Und so
unterschiedlich wie ihre berufliche Entwicklung waren auch die Charaktere der beiden
Brüder, deren Verhältnis von Respekt, aber nicht von allzu großer Nähe geprägt gewesen sein
soll. Alexander wird als temperamentvoll, eitel, aber auch selbstironisch beschrieben. Über
Alexander habe ich noch kein rechtes Urteil; ich fürchte aber, trotz aller seiner Talente und
seiner rastlosen Tätigkeit wird er in seiner Wissenschaft nie etwas Großes leisten. Ein Irrtum
des mit Wilhelm befreundeten Friedrich Schiller. Schließlich wird Alexander von Humboldt
zum Begründer neuer Wissenschaftsdisziplinen wie der Geophysik und der
Pflanzengeographie, weist erstmals mit seinen Messungen nach, daß Spanien eine Hochebene ist, und
entdeckt auf seiner fünfjährigen Forschungsreise nach Lateinamerika zahlreiche Pflanzen- und
Tierarten. Die Ergebnisse dieser Reise revolutionieren die Naturwissenschaft und werden von
ihm in einem dreißigbändigen Forschungsbericht wiedergegeben. Mit seinen
Kosmos-Vorlesungen und den anschließenden Büchern versucht er schließlich, den aktuellen Stand der
Naturwissenschaften zu resümieren. In Lateinamerika wird Alexander von Humboldt noch heute
als der menschenfreundliche Entdecker verehrt und als Gegenbild zu Kolumbus angesehen.
Denn Alexander verurteilte das Verhalten spanischer Missionare und setzte sich entschieden für
die Abschaffung der Sklaverei ein.
Über Wilhelm von Humboldt heißt es nun, daß ihm die leichte Hand seines Bruders
fehle, daß er zwar sehr selbstbeherrscht sei, aber viele Arbeiten nicht zu Ende bringe, daß er
viele großangelegte Studien beginne und sie dann unvermittelt aufgibt. Seine nachhaltigsten
Erfolge erzielt er als Bildungspolitiker. Ziel der Ausbildung ist für ihn der selbständig
denkende Mensch und nicht der willfährige Untertan. Wilhelm von Humboldt versucht, Pestalozzis Pädagogik an den preußischen Volksschulen einzuführen, organisiert das
humanistische Gymnasium und begründet mit der Berliner Universität den Typ einer
neuartigen Bildungseinrichtung als Einheit von Lehre und Forschung. Ausführlich widmen sich die
Autoren auch dem Privatleben der Humboldts, so auch Wilhelms Ehefrau Caroline von
Dacheröden, die als kluge und geistvolle Frau beschrieben wird, die Salons in Paris, Rom und
London führt. Wilhelm und Caroline führen eine recht ungewöhnliche Ehe, sie sind in Liebe
und Achtung einander verbunden, gestehen einander aber zahlreiche Liebschaften zu.
Die Autoren erzählen anschaulich und unterhaltsam die Lebensgeschichte der beiden
Brüder als Teil der Geschichte des beginnenden 19. Jahrhunderts. Eine Geschichte, die die
Humboldts in bemerkenswerter Weise beobachteten und auch mitgestalteten. Das hervorragend
gestaltete und mit zahlreichen, teils farbigen Abbildungen versehene Buch bietet so eine
Annäherung an zwei herausragende Wissenschaftler und Persönlichkeiten der deutschen Geschichte.
Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de
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