Eine Rezension von Friedrich Schimmel


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Dichter, Abenteurer, Kultfigur

Benita Eisler: Byron
Der Held im Kostüm.
Aus dem Amerikanischen von Maria Mill.
Karl Blessing Verlag, München 1999, 836 S.

Er war einer der berühmtesten unter den romantischen Dichtern Englands, geliebt, gescholten, verehrt. Als Anführer der „satanischen Schule“ gewann er rasch ein großes Publikum. Begonnen hatte er mit einem unscheinbaren Bändchen. Gedichte, die von der Kritik als epigonal und somit abschätzig beurteilt wurden. Mit seinen orientalischen Erzählungen gelang George Gordon Byron schließlich der Durchbruch. Wild, trotzig, dämonisch: Sie waren so beliebt, daß er damit beträchtliche finanzielle Gewinne erzielte und fortan seinem Verleger die Preise diktieren konnte. Byron heute? Ein paar Lyriker lesen ihn, manchmal taucht ein Gedicht in einer Anthologie auf. Von seinen größeren Dichtungen zählt und wirkt am ehesten noch die Verserzählung „Don Juan“. Lord Byron (1788-1824) wurde nicht nur durch seine Dichtungen berühmt. Leben und Werk wirkten gleichermaßen stark und anziehend auf Engländer und auf poetische Geister in der ganzen Welt. Nichts Schöneres als Skandale, Exzesse, Wandlungen und Verwandlungen. Aber auch als Kritiker der englischen Gesellschaft und als Kämpfer für die Freiheit der Griechen verstand er sich. Viel mehr noch, wie die Biographin Benita Eisler in ihrem umfangreichen Buch zu erzählen weiß. Sie hat gründlich recherchiert und eine Unzahl von wichtigen und weniger bedeutsamen Details aus dem Leben dieses Mannes zusammengetragen. Daß es dabei oft auch mystisch-zauberhaft zuging, verschweigt Benita Eisler nicht. Ein Mann, der schon zu Lebzeiten an seiner Legende arbeitete, das war Byron. Im englischen Oberhaus stritt er leidenschaftlich für die verfemten Maschinenstürmer, was ihn über Nacht berühmt machte. Plötzlich hatten auch seine Verse Bedeutung. Benita Eisler, von jeder Einzelheit im Leben Lord Byrons hingerissen, hat Mühe, alle Dimensionen von Werk und Leben gleichermaßen gewichtig darzustellen. Wenn es um den exaltierten Byron geht, läßt sie auch Vermutungen sprechen: „Eines Tages, soll er gesagt haben, sei er aufgewacht und habe festgestellt, daß er berühmt war.“ Es fehlt da der Nachweis, obwohl es jederzeit denkbar erscheint, noch dazu bei einem Mann wie Byron. Die Autorin zieht aber dieses Detail sogleich in ihre Arbeit hinein. Und so ist ihr gewiß, daß sich diese Aussage „im Einklang mit dem Image, das Byron zu kultivieren versuchte“, befand. Das ist die ausgestellte Spannung dieses Lebens, mal ist Byron demzufolge „der Dandy reinsten Wassers“, dann, nachdem er die Schönheiten spanischer Frauen, Städte, Landschaften und die „erregende Grausamkeit des Stierkampfs“ bis zum Überdruß genossen hat, in unvermeidliche Depressionen versunken. Byronismus zu Lebzeiten, ja, auch was man später immer wieder auflodern sieht, inszenierter Byronmythos, hier wird ausführlich erzählt, wie das alles der Held selbst ersonnen hat. Denn er war stets umgeben von Publikum. Von den Politikern, die ihn hofierten, von Abenteurern, die ihn umschwärmten. Seine Liebesbeziehungen waren nicht nur übermäßig, sie galten auch beiden Geschlechtern. Das alles zog und zieht Zeitgenossen in aller Welt an. Byron wurde zur Kultfigur, „die sämtlichen Wunschvorstellungen“ seiner Anhänger entsprach. Benita Eisler faßt die Facetten des Idols Byron so zusammen: „Held und Märtyrer des revolutionären Kampfes, aristokratischer Ästhet und Dandy, grenzüberschreitender Rebell einer polymorphen, von verborgenen Substanzen angeheizten Sexualität - umwirbelt von den schwefligen Schwaden des Fürsten der Finsternis.“ Und heute? Benita Eisler sieht die Linien Byrons fortleben: „Gerade die Letzteren dieser Mutationen wurden neu aufgeladen durch die Rockkultur und ihre Heiligsprechung von selbstzerstörerischen Künstlern, denen ein früher Tod die endgültigen Weihen verleiht: Elvis und James Dean etwa.“ Kann man so sehen, muß man aber nicht. Doch die Ausführlichkeit der Biographin hat viel Überzeugungskraft, vor allem, weil sie sich der Kunst und ihren biographischen Spiegelungen intensiv annimmt. Ob dem Leser das in allen Einzelheiten gefallen mag, kann nur jeder Leser für sich entscheiden. Ein Satz wie: „Das vom lebenden Dichter in Gang gesetzte Ungeheuer namens Byronismus entwickelte posthum ein völliges Eigenleben“ ist möglicherweise schon Hyper-Byronismus. Nicht für alles, was heute oder vorgestern wild exaltiert und selbstzerstörerisch lebte, kann die Stimme eines Mannes von einst herbeigeholt werden.

Schön zu lesen sind die vielen Gegensätze, die Einblicke in ein tatsächlich pralles Leben. Störten Byron die Kritiker, „schien ihm die Boxwelt einladender als je zuvor“. Tiere, Reisen, Selbstversuche. Wie das alles unter ein Dach gebracht worden ist, erstaunlich. Und was die Arbeit der Biographin betrifft, bewundernswert. Immer sieht sie auch noch eine zusätzliche Nuance durch Vergleiche. Von seelischen Zwiespälten - „bei sich selbst wie bei anderen“ - ist er begeistert. Erlebnisse, Orgien, Bekenntnisse, mitunter kommen die Dichtungen in dieser Darstellung dann doch etwas zu kurz. Ein unsteter Geist, ein sich ständig Verwandelnder, der herausfinden wollte, „was in ihm steckt“ (Benita Eisler). „Der Held im Kostüm“ ist ein deutscher Untertitel, mit dem der Verlag locken will. Die amerikanische Originalausgabe kommt mit Byron allein aus. Daß er seine Gefährten fast immer erheblich überflügelte, ist seine Kraft, sein Charme, „der ihm quasi als Byronsches Geburtsrecht in die Wiege gelegt war“, wie die Biographin etwas blumig mitzuteilen weiß.

Zweifellos ist zu loben, daß Benita Eisler das Werk Byrons nicht aus trockener literaturwissenschaftlicher Sicht deutet. Sie sieht immer den Zusammenhang von Werk und Leben, Leben und Werk. Und das ist für eine Biographie immer gut, auch wenn es dabei mitunter wie auf einer Drehbühne zugehen mag.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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