Eine Rezension von Gerhard Keiderling


Heimlich als Kalter Krieger in Berlin

Tamara Domentat/Christina Heimlich: Heimlich im Kalten Krieg
Die Geschichte von Christina Ohlsen und Bill Heimlich.
Aufbau-Verlag, Berlin 2000, 299 S.

Noch fünfzig Jahre danach offerieren Kriegsende und Trümmerleben in Berlin unerwartete Geheimnisse und skurrile Begebenheiten. Eine solche Geschichte wird in diesem Buch erzählt. Der junge Oberstleutnant William F. Heimlich traf am 2. Juli 1945 mit einem Vorauskommando der US-Army in Berlin ein und bereitete die Übernahme des laut Londoner Protokoll von 1944 von den Amerikanern zu besetzenden Sektors vor. Vier Monate später lernte er in einer Schmargendorfer Villa bei Kaffee und Steinhäger die junge Schauspielerin Christina Ohlsen kennen: Amors Pfeil traf beide ins Herz. Bis hierher eigentlich eine „Fräulein“-Story, wie sie trotz „No Fraternization“-Gebot damals im amerikanischen Besatzungsgebiet vielfach passierte. Die Besonderheit dieser Liaison lag darin, daß der smarte US-Offizier in geheimer Mission nach Berlin kam und auf diesem Sektor noch Karriere machen sollte und daß seine Geliebte und spätere Frau - wie der Klappentext hervorhebt- „sich schließlich in der Nachkriegszeit mit der RIAS-Sendung ,Die Stimme Berlins` einen Namen als antikommunistische Kabarettistin“ machte.

Noch bevor sich Bill Heimlich und Christina Ohlsen begegneten, hatte in der Reichstrümmerstadt schon der Kalte Krieg begonnen. Die Geheimdienste beider Seiten spielten dabei eine zentrale Rolle. „Das Machtspiel hatte begonnen, auf beiden Seiten eskalierten Argwohn und Haß.“ Heimlich, der aus seinem Kommunistenhaß keinen Hehl machte, sah im Russen - die „Gerüchte über die geistige Beschränktheit der russischen Soldaten“ teilte er unvoreingenommen - den Agent provocateur der US-Supermacht und war daher zum äußersten entschlossen. Nach langen Vorbereitungen startete die US-Militärregierung (OMGUS) im Oktober 1947 eine breit angelegte antikommunistische Propagandakampagne unter dem Decknamen „Operation Backtalk“. Der Militärgouverneur General Clay beauftragte Heimlich mit der Leitung von RIAS Berlin. Der neue Direktor „gab Gas“, er entließ den Großteil der Mitarbeiter als Kryptokommunisten, Sowjetagenten und unsichere Kantonisten, nur weil sie im sowjetischen Sektor wohnten. RIAS, der am 4. Juli 1948 das luxuriöse Funkhaus in der Kufsteiner Straße bezog, wurde jetzt erst „eine freie Stimme der freien Welt“ und Christina Ohlsen in der Sendereihe „Stimme Berlins“ eine stadtbekannte Kabarettistin. RIAS-Direktor Heimlich operierte indes mit dem „politischen Sprengstoff, den wir in den kommenden Monaten vom Innsbrucker Platz aus in Richtung Osten abfeuern würden“.

Die Erinnerungen von Bill Heimlich, der nach dem Blockade-Ende im Sommer 1949 überraschend seinen Job beim RIAS verlor, lassen den Zeitgeist der Nachkriegsjahre wach werden, sie geben Einblick in die US-Besatzungspolitik und schildern typische Episoden sowie außergewöhnliche Begebenheiten. Einen besonders erwähnenswerten Quellenwert haben sie allerdings nicht.

Die Journalistin und Schriftstellerin Tamara Domentat hat die Liebes- und Lebensgeschichte der Heimlichs aus beider autobiographischen Niederschriften und Befragungen mittels einer zeitlichen Schachtelung der Begebenheiten in eine unterhaltsame Form gebracht. Um den dokumentarischen Charakter von Bill Heimlichs Aufzeichnungen zu erhalten, stellte sie nach eigenen Worten Nachrecherchen an. Leider sind sie oft nicht gründlich ausgefallen. Bill Heimlich irrt, wenn er schreibt, Stalin hätte Roosevelt in Jalta angeboten, „während der Potsdamer Konferenz in seinem Quartier in der Babelsberger Kaiserstraße 2 zu wohnen“. Erstens besaß Stalin niemals ein Quartier in Babelsberg, zum anderen wurde die Potsdamer Konferenz erst Ende Mai 1945 vereinbart. Oberst Howley fungierte 1945 als Direktor des Amtes der US-Militärregierung; Stadtkommandant wurde er erst am 1. Dezember 1947. Die Behauptung Heimlichs, die Berliner Verwaltung sei im Juli 1945 in der Hand von Nazis gewesen, spottet der Wahrheit. Außerdem will Heimlich den Chirurgen Prof. Sauerbruch „entnazifiziert“ haben; Fakt ist jedoch, daß auf Betreiben der US-Militärregierung die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin Sauerbruch am 12. Oktober 1945 „wegen seiner politischen Tätigkeit unter dem Nazi-Regime“ aus seinem Amt als Stadtrat für Gesundheitswesen im Berliner Magistrat entließ. Auch kann Heimlich „anläßlich der Oktoberwahlen“ 1946 keineswegs Kurt Schumacher, Ernst Reuter und Willy Brandt an einem Abend in seiner Wohnung zusammengebracht haben, weil Reuter erst am 29. November 1946 in Berlin eintraf und Willy Brandt angab, er sei Reuter erstmals in der Zehlendorfer Wohnung von Annedore Leber begegnet. Die Liste der Falschangaben und Irrtümer ließe sich fortsetzen. Das ist natürlich ärgerlich bei einem Titel, der einen dokumentarischen Wert für sich beansprucht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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