Eine Rezension von Waldtraut Lewin


Oper als Schlachtfeld

David Bret: Callas
Biographie.
Mit einem Vorwort von Montserrat Caballé.
Aus dem Englischen von Götz Burghardt.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2000, 462 S.

Der Erste Sänger nimmt beim Schlußapplaus einen Einzelvorhang in Anspruch, der ihm laut Vorhangordnung nicht zusteht. Daraufhin tritt die Primadonna ihm in den Kulissen derart gegen das Schienbein, daß er überhaupt nicht mehr vors Publikum kann. - Die Signora M. steht merkwürdig unbeweglich daneben, während die Signora F. ihre Arie abliefert. Später stellt man fest, daß die Signora F. mit beiden Füßen fest auf der Schleppe der anderen stand. Hinter der Bühne sagt M. zu F.: „Mach das noch mal, du fettes Weib, und ich trete dich so in den Arsch, daß du in den Orchestergraben fliegst!“ -

M. und G. verneigen sich zusammen und flüstern sich dabei mit lächelnder Miene die obszönsten Beschimpfungen zu, weil er den hohen Ton länger ausgehalten hat als sie. -

Jeder Auftritt der Signora M. wird zunächst vom Zisch- und Pfeifkonzert der Anhänger ihrer Rivalin begleitet, gegen das sie sich durchzusetzen hat - assistiert von ihren eigenen fanatischen Anhängern, die ihr von Stadt zu Stadt nachreisen. Einmal liefern sich beide Parteien eine veritable Schlacht und zertrümmern ein halbes Opernhaus. -

Der Primadonna kippt in Rom ein hoher Ton weg. Stimme aus dem Publikum: „Du hast uns eine Million Lire gekostet! Scher dich wieder nach Mailand!“ -

Nein, es handelt sich nicht um die Exzesse barocker Primadonnen und Kastraten, und es sind nicht Madame Cuzzoni und Loa Faustina, die sich auf Mr. Händels Haymarket Theatre Schlachten liefern und sich die Perücken vom Kopf reißen! Dergleichen Vorgänge spielten sich vor nicht einmal einem halben Jahrhundert auf den Opernbühnen Europas ab - als die Kunst des Belcanto und der Wahnsinn des herrlichen Monstrums Oper noch einmal zu einem unerreichten Gipfelpunkt führte, verkörpert in der Gestalt der Maria Callas. Noch vor vierzig Jahren war dies angeblich nur noch vornehme lange Weile hervorrufende Theatergenre so voll Leben und Leidenschaft, daß die Fetzen flogen - und sie, die Callas, war immer Auslöserin u n d Kombattantin der Schlachten.

Längst vergessene Werke des Musiktheaters, jene Werke Bellinis, Donizettis, Rossinis, die in der Schublade des „puren Schöngesangs“ verschwunden waren, feierten neben dem Verdi- und Puccini-Repertoire fröhliche Urständ, und nicht nur die großen Namen der Dirigentenszene rissen sich darum, sie aufzuführen, sondern die Genies der neuen Kunst Kino inszenierten Oper ohne Naserümpfen: Visconti, Zefirelli, Pasolini. Und alles wegen La Callas.

Was war das für eine Person?

Über mehr als vierhundertfünfzig Seiten versucht uns David Bret das darzulegen. Im Biographischen ist er erfahren: Lebensbeschreibungen über die Piaf, die Dietrich, die Streisand stammen aus seiner Feder, die beiden ersteren tangieren immer wieder auch das Leben der Callas. Bret sichtet genauestens eine unglaubliche Fülle von Material. Eine nahezu erstickende Fülle.

Maria Kalogeropoulos, die ungeliebte Tochter griechischer Einwanderer in New York, dick, gefräßig, kurzsichtig, zu Wutanfällen neigend, neurotisiert vom Ehrgeiz einer Mutter, die schon die 12jährige auf Gesangswettbewerbe schickt, ist von zwei Obsessionen besessen: dem Hunger nach künstlerischer Anerkennung und der Sehnsucht nach Liebe. Diese beiden Obsessionen treiben sie auf die steilsten Höhen der Kunst und in die tiefsten Höllen der Verzweiflung.

Besessene Arbeiterin sondergleichen, Profi von höchsten Graden, schafft sie sich ihren Platz auf den größten Opernhäusern Europas, wird, dank einer eisernen Diät, von einer Zweizentner-Frau zu jener überschlanken eleganten Schönheit, wie wir sie von den Fotos kennen. Die Ehe mit dem viel älteren, schwerreichen Meneghini gibt ihr finanziellen Background und einen ehrgeizig um ihre Engagements besorgten Mitstreiter, und in den fünfziger und sechziger Jahren ist sie die Primadonna assoluta.

Wir Heutigen kennen zwar dank vieler Plattenaufnahmen ihre Stimme, jenes hochdramatische, nuancenreiche Organ mit der traumhaften Leichtigkeit und der zupackenden Schärfe. Wovon wir uns aber keinerlei Bild machen können, ist ihre Bühnenpräsenz - weder Pasolinis „Medea“-Film noch ihre Konzertauftritte können das leisten, was da geschah, lassen es uns höchstens erahnen.

Es ist ein Verdienst Brets, daß er Beschreibungen ihrer Auftritte, soweit sie greifbar sind, zitiert, daß er etwas von ihrer theatralischen Konzeption der Figuren mitteilt. Erwiesen ist, daß die Gestalten der Callas, ihre Tosca, ihre Medea, ihre Norma, ihre Traviata, die Zeitgenossen zum Teil irritierten und verstörten. Im in Routine versandeten Opernbetrieb der Zeit, inmitten von Desinteresse und Schlendrian, müssen ihre leidenschaftlichen Psychogramme so fremd, so neu, so revolutionär gewirkt haben wie vielleicht an anderer Stelle Felsensteins Konzept des realistischen Musiktheaters. Die Einheit von Gesang und Darstellung, die völlige, professionelle Identifizierung, ihr unglaublich dichtes „Da-Sein“ können wir nur den Darstellungen der Zeitgenossen und ihrer Begeisterung entnehmen.

Nicht ohne Grund bestand ihre große Fan-Gemeinde, die „Callas-Boys“, überwiegend aus Homosexuellen. Mit dem sicheren Gespür von Menschen, die zu gesellschaftlichen Außenseitern gemacht wurden, erkannten sie das Exzeptionelle, das Outsidertum der Kunst ihres Idols. Callas war außerhalb.

Und sie war dann wieder so ganz, so unendlich menschlich - allzumenschlich. Ihre ständigen Liebeleien und Liebesaffären - oft ganz einseitig von ihr geführt -, ihre Versuche, ihre homosexuellen Freunde zu „bekehren“, schließlich ihre fatale „Amour fou“ zu Aristoteles Onassis, für den sie nichts weiter als Prestigeobjekt und Gegenstand sadistischer Unterwerfung war (er schlug, betrog sie, demütigte sie in der Öffentlichkeit, wo er nur konnte).

Die Beziehung zu dem märchenhaft reichen, im übrigen aber groben, grausamen und ungehobelten Reeder untergrub ihre körperliche und seelische Gesundheit, seine Heirat mit Jackie Kennedy brachte sie an den Rand des Zusammenbruchs.

Im Jahr 1965 singt sie das letzte Mal auf einer Opernbühne, die Tosca in Covent Garden. Dann schweigt La Callas. Ihre Konzerte mit Giuseppe di Stefano - ein Comeback, das nur ein Abglanz alter Zeiten sein konnte - liegen in der Mitte der siebziger Jahre. Im September 1977 stirbt die Jahrhundertprimadonna in ihrer Wohnung in Paris - bis heute und für immer bleibt ungeklärt, ob eines natürlichen Todes oder durch Selbstmord.

Natürlich verschweigt die Biographie die monströsen Seiten der Sängerin: ihre Launen, ihre Absagen (die meist künstlerischem Verantwortungsgefühl und der Angst vorm Versagen entsprangen), ihre Vertragsbrüche, ihre ungeheuerlichen Wutanfälle, in denen sie ihre Gegner mit dem ganzen Repertoire der Gosse überschüttete, Haß und Geiz gegenüber ihrer Familie.

Material, wie gesagt, gibt es in Hülle und Fülle, auch Neues, Unentdecktes hat Bret vorgestellt. Die Schwierigkeit bei einem solchen Unterfangen ist gewiß das Problem der Übersicht. Ich hätte mir manchmal mehr Stellungnahme des Biographen gewünscht, mehr Mut, Dinge zu ordnen und zu werten, mehr Wille dazu, eine „eigene“ Callas vorzuführen. Aber wenn man soviel hat und so wunderschöne Anekdoten, wird man vielleicht verleitet, sie einfach nur aneinanderzureihen. Das soll kein Vorwurf gegen diese verdienstvolle Arbeit sein, nur eine Anmerkung. Untadelhaft ist der Anhang, die Dokumentation aller Auftritte, die Bibliographie, das Register. Weniger glücklich macht mich der Bildteil. Bret hat verschiedentlich Fotomaterial beschrieben, das man sehr gern betrachtet hätte, auch wenn es nicht immer die strahlende Primadonna zeigt. Leider sehen wir nur weitgehend Bekanntes, die üblichen Kostüm- und Applaus-Bilder. Zwei anrührende Schnappschüsse: ein großkotziger Onassis, Zigarre im Mund, Hand in der Hosentasche, kraftvoll ausschreitend, neben einer in Pelz und Tuch vermummten, erschrocken stehenbleibenden Maria - und auf der anderen Seite der hingebungsvolle Kuß, den sie Pier Paolo Pasolini gibt.

Bei aller Fülle der Literatur über die Diva - ein nützliches, ein kenntnisreiches und Kenntnisse vermittelndes Buch. Und wer weiß - vielleicht lebt die Oper ja doch?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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