Eine Rezension von Kathrin Chod


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Vom Volkshelden zum Staatsfeind

A. Scott Berg: Charles Lindbergh
Ein Idol des 20. Jahrhunderts.
Karl Blessing Verlag, München 1999, 528 S.

Charles Lindbergh war 25 Jahre alt, hatte ein abgebrochenes Maschinenbaustudium hinter sich, einige Stunden Unterricht an einer Flugschule, hatte in Flugshows getingelt und als Chefpilot die Luftpostlinie Chicago - St. Louis geflogen. Irgendwann hatte er etwas vom Raymond-Orteig-Preis gehört. Raymond Orteig, ein in Frankreich geborener Amerikaner, versprach dem, der in einem einzigen Flug als erster den Atlantik nonstop von Paris nach New York oder umgekehrt überqueren würde, 25 000 Dollar. Zu diesem Zeitpunkt hatten schon über 70 Menschen den Atlantik auf dem Luftweg überquert, aber in Luftschiffen oder im Flugzeug mit mehreren Zwischenstopps. Berühmte Fliegerasse nahmen im Wettlauf gegeneinander das Vorhaben in Angriff und scheiterten. Im Gegensatz zu diesen war Lindbergh zuvor weder über große Wasserflächen noch über längere Entfernungen geflogen. Was ihn von anderen unterschied, war aber nicht nur seine mangelnde Erfahrung, sondern der Wille, allein und zudem mit einer möglichst leichten Maschine zu fliegen. Geschäftsleute aus St. Louis finanzierten Maschine und Flug, was dem Flugzeug den Namen Spirit of St. Louis einbrachte. Als Charles Lindbergh am 21. Mai 1927 nach 33 Stunden und 30 Minuten Flugzeit in Paris landete, war aus einem unbekannten Postflieger des amerikanischen Mittelwestens der berühmteste Mensch der Welt geworden.

A. Scott Berg legte mit diesem Werk ein Buch vor, das mehr enthält als eine Biographie. Es ist die Beschreibung des Phänomens des ersten Weltstars des 20. Jahrhunderts. Nie zuvor waren so viele Menschen zusammengekommen, um eine einzelne Person, um Charles Lindbergh, zu sehen, und noch nie zuvor hatte ein Mensch soviel Fanpost auf einen Schlag erhalten. Nach seiner Rückkehr in die USA waren es allein 3,5 Millionen Briefe, 100000 Telegramme und 15 000 Päckchen. Und mit den Massen kommen die Massenmedien. Alles, was wir heute an Zerstörung der Privatsphäre, Sensationsberichterstattung, Verdrehung, erfundenen Geschichten und Diffamierung von „Personen des öffentlichen Interesses“ erleben, beschreibt Berg schon anhand von Charles Lindbergh. Bereits einen Tag nach der Landung kann Lindbergh in der „New York Times“ ein Tagebuch seines Fluges lesen, das er jedoch nie geschrieben hatte. Und als Lindberghs erster Sohn zur Welt kommt, werden in der Presse so lange Berichte über das angeblich behinderte Baby veröffentlicht, bis Lindbergh ein Foto seines Sohnes freigibt. Bergs Buch ist natürlich auch die Liebesgeschichte zwischen Charles Lindbergh und Anne Morrow, erst eine Bilderbuchromanze, dann eine Krankengeschichte. Anne Morrow versucht, an der Seite des Idols ein eigenes Leben zu führen und sich als Schriftstellerin zu etablieren, sie verliebt sich in ein anderes Idol - Antoine Saint-Exupéry -, der ihren künstlerischen Neigungen entspricht, und sie wird zu einer bekannten Feministin. Ein tragischer Akt dieser Liebesgeschichte ist eine der Kriminalgeschichten des Jahrhunderts - die Entführung des Lindbergh-Babys. Die fieberhafte Suche nach dem Kind, die Ermittlungsarbeiten, schließlich der grausige Fund der Kinderleiche und der Prozeß gegen Bruno Richard Hauptmann werden von Berg ausführlich geschildert. Der Autor verfährt bei diesem Thema genau wie bei anderen später umstrittenen Fragen: Er versucht, keine neuen Theorien zu konstruieren, sondern bemüht sich, eine möglichst objektive minutiöse Darstellung zu geben, die nur sparsam kommentiert wird. Thesen, wie die, ob der später auf dem elektrischen Stuhl hingerichtete Hauptmann eventuell doch unschuldig war, scheinen so weitestgehend entkräftet, obwohl auch Berg offene Fragen nach Mittätern, eine schlampige Ermittlung und einen unfairen Prozeß konstatiert. Während Lindbergh bei der Entführung seines Sohnes Sympathie und Anteilnahme durch die Öffentlichkeit erfährt, sollte sich das bald ändern. Aus dem Helden wurde in den Medien ein Defätist und ein Verräter. Die Gründe hierfür wurden in der Vergangenheit ähnlich kontrovers diskutiert wie die Kindesentführung. Lindbergh wurde mal für verrückt erklärt, ein anderes Mal zum Nazi-Agenten gestempelt. Berg erhielt als erster Autor Zugang zu dem vollständigen Nachlaß von Charles Lindbergh und bekam von Anne Morrow auch ihre Tagebücher zur Verfügung gestellt. Das Bild, das auf dieser Grundlage entstand, zeichnet einen geradlinigen Menschen, der unbedingt zu seinen konservativen Überzeugungen steht. Lindbergh war von Anfang an nicht bereit, das Spiel der Medien mit ihm mitzuspielen. Lukrative Angebote, wie die des Medienmoguls William Randolph Hearst, lehnt er einfach ab, weil ihm die sittlichen Maßstäbe der Hearst-Presse nicht paßten. Zudem glaubte er, daß nur er selbst bestimmen könne, wann er was in der Öffentlichkeit sagt, was einschloß, auch zu Falschmeldungen keine Stellung zu beziehen. Er versucht, sein Privatleben vor der Öffentlichkeit abzuschirmen, was schließlich sogar zur Flucht seiner Familie nach Europa führt, und er sucht sich neben seiner Tätigkeit für den Ausbau des Luftverkehrs „Beschäftigungen hinter verschlossenen Türen“. Lindbergh studiert Biologie, arbeitet mit Medizinern zusammen und konstruiert eine Perfusionspumpe, die es ermöglicht, Organe außerhalb des Körpers am Leben zu erhalten - eine Voraussetzung für Organtransplantationen. Doch Lindbergh gelangt wieder in die Schlagzeilen, wie Berg darstellt, nicht aus eigener Schuld, und das ist die politisch brisante Geschichte des Buches.

Ab 1936 besucht Lindbergh mehrmals Deutschland. Da die USA über keine sicheren Informationen zum Stand der deutschen Luftfahrt verfügen, hoffen sie, über den prominenten Flieger an diese zu gelangen. Tatsächlich kann Lindbergh Luftfahrteinrichtungen in Deutschland besichtigen, die bislang kein Amerikaner zu Gesicht bekam. Berg weist den eindeutigen militärischen Auftrag für Lindberghs Mission nach, und tatsächlich erhalten die Amerikaner wertvolle Angaben. Lindbergh mahnt daraufhin sowohl eine Forcierung und Modernisierung der US-Luftrüstung an, da er eine geheime Raketenentwicklung in Deutschland vermutet, auch eine Entwicklung dieses in den USA bislang vernachlässigten Zweiges. Seine Botschaft ist klar - die Stärkung der amerikanischen Verteidigungsfähigkeit. Diese Seite von Lindberghs Besuchen sollte in Medien jedoch keine Rolle spielen, dafür aber seine Anwesenheit bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, eine Privataudienz bei Hermann Göring und die Verleihung des „Verdienstkreuzes Deutscher Adler“. Tatsächlich ist Lindbergh von dieser Aufmerksamkeit, in erster Linie aber von den technischen Leistungen in Deutschland beeindruckt, zudem glaubt er, in der Sowjetunion den wahren Feind der westlichen Zivilisation ausgemacht zu haben, weshalb er sich klar gegen einen Krieg mit Deutschland ausspricht. Die US-Regierung versucht, ihn mit einem Ministerposten zu ködern, aber Lindbergh beteiligt sich an der isolationistischen Bewegung America First, einer Bewegung von Konservativen und Liberalen, Demokraten, Republikanern und Unabhängigen gegen den Krieg. Kaum einem der Beteiligten, dazu zählten u.a. der Präsident des Olympischen Komitees Avery Brundage und der spätere US-Präsident Gerald Ford, wurde dieser Einsatz später vorgeworfen. Nicht so bei Charles Lindbergh. Ein Grund dafür war seine nach Darstellung von Berg provozierendste Rede „Wer sind die Kriegstreiber?“ Lindbergh sieht diese in der Regierung, die mehr Macht haben wolle, in den Briten, die verständlicherweise ihre Belastung verringern wollten, und in den Juden: „Kein Mensch mit einem Gefühl für Menschenwürde kann stillschweigend über die Verfolgung der Juden in Deutschland hinwegsehen. Aber andererseits kann auch kein Mensch mit Anstand und Weitblick ihre kriegstreiberische Politik hier und heute sehen, ohne die Gefahren zu erkennen, die in einer solchen Politik enthalten sind - für uns und für sie.“ Berg führt an, daß Lindbergh selbst sich niemals als Antisemit fühlte, und er zudem auch fand, daß seine Rede Mitgefühl für die Juden zeige. Für die Medien gab es keine differenzierte Sicht, der Fliegerheld war von nun an nicht mehr „Volksheld Nr. 1“, sondern „Staatsfeind Nr. 1“.

In seiner fulminanten Arbeit zeichnet A. Scott Berg das Bild eines Menschen, der durch ein Ereignis in etwas hineinstürzt, auf das er mit 25 Jahren nicht im mindesten vorbereitet war. Mag sein, daß der Leser, der große Enthüllungen und Sensationen erwartet, enttäuscht wird, er erhält jedoch neben der detaillierten Erzählung des Lebensweges auch plausible Darstellungen der Anschauungen Lindberghs, der sich später für den Umweltschutz engagiert und in den 60er Jahren zu einer eher pessimistischen Einschätzung seiner Leistung kam. Im Laufe seines Lebens habe er sich oft gefragt, „ob Aeronauten und Astronauten eigentlich ein Segen für die Menschheit waren. Heute muß ich das verneinen. Zwar hat das Fliegen die Völker in Friedenszeiten einander nähergebracht, aber diese Leistung wird zunichte gemacht durch das gnadenlose Bombardement im Krieg - ein Töten, das wenig oder nichts zu tun hat mit der natürlichen Auslese der Evolution. Einerseits haben uns Raketen unerforschte Bereiche des Weltraums zugänglich gemacht, andererseits kann unsere Kultur durch sie innerhalb von Stunden ausgelöscht werden.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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