Literaturstätten


Ein unheimliches
Selbstgespräch

Brigitte Kronauer las aus ihrem neuen Roman Teufelsbrück

„Brigitte Kronauer (geb. 1940) gehört seit zwanzig Jahren zu den Großen der deutschen Literatur. Bereits bei ihrem ersten Roman Frau Mühlenbeck im Gehäuse (1980) hatten die Kritiker ihre sprachliche Kunstfertigkeit, ihre Stilsicherheit und vor allem die Originalität der Beobachtung gelobt. Seitdem gilt sie als ,Wahrnehmungsartistin`, die dem Alltäglichen mit Benennungslust zu Leibe rückt.“ - Mit diesen Worten stellte Liane Dirks die Autorin anläßlich einer Lesung aus ihrem neuesten Roman Teufelsbrück im Berliner Literarischen Colloquium vor. Das anschließende Gespräch über den Roman führte die Moderatorin mit den Literaturkritikern Sybille Cramer (Berlin) und Hermann Wallmann (Münster) und natürlich mit der Autorin selbst.

Brigitte Kronauer, die bereits als Achtjährige Geschichten schrieb, erlebte - wie sie sagte - Literatur im ganz ursprünglichen Sinne, nämlich über das Geschichtenerzählen ihrer Mutter. Sie habe damals fasziniert beobachtet, wie ihre Mutter dem eigenen Erleben Dynamik und Struktur gab, ein Prozeß, der für ihr eigenes Schreiben wichtig wurde. Literatur, die nicht dokumentarisch oder autobiographisch sei, sei immer etwas Künstliches, ein Konstrukt, vergleichbar einem Werk der Architektur. Das Individuum, das in Gefahr sei, vom Terror der Realität zertrümmert zu werden, schaffe sich eine Schutzzone, eine eigene Welt, so auch die stellvertretenden Ichs in ihren Büchern. Übrigens verfahre jeder Mensch auf diese Weise mit der Wirklichkeit.

Obwohl Brigitte Kronauer immer Schriftstellerin werden wollte, lernte sie zunächst einen Brotberuf und war bis 1971 Lehrerin. Danach lebte sie als freie Schriftstellerin in Hamburg. Es erschienen ihre Romane Rita Münster (1983), Berittener Bogenschütze (1986), Das Taschentuch (1994) sowie Erzählungen und Essays. Von der Kritik hochgelobt, wurden ihr u. a. der Fontane-Preis (1985), der Heinrich-Böll-Preis (1989) und der Berliner Literaturpreis (1994) verliehen.

Mit ihrer ersten Arbeit knüpfte sie an den Nouveau roman an. Er habe ihr das ABC des Schreibens geliefert. Sie habe sehr asketisch, beinahe schulmäßig angefangen und anspruchsvollere literarische Mittel, die ihr bombastisch erschienen, damals abgelehnt. Diese seien ihr seitdem langsam zugewachsen, berichtete die Autorin. Sie hoffe, daß sich ihr Schreiben mit jedem Roman ändere.

„Brigitte Kronauers Texte sind immer suggestiv, sie verfügt heute über alle Register des Erzählens“, urteilte Hermann Wallmann. Sybille Cramer erläuterte, die Autorin sei am besten über ihre Poetik zu verstehen. Sie folge dem Grundsatz der modernen Lyrik: Es gibt keine Ideen, außer in den Dingen. Während der klassische Schriftsteller das Wesentliche der Wirklichkeit in einer Geschichte erfaßt, fühlt sich Brigitte Kronauer nicht als Herrin der Wirklichkeit. Sie wendet sich gegen jede vorgefertigte Art der Behandlung der Realität, was auch ihre Liebe zu Joseph Conrad erklärt. Sybille Cramer sah ein künstlerisches Grundkonzept im Gesamtwerk der Autorin, auch wenn deren Texte einmal mehr dramatisch, einmal mehr bildbetrachtend seien, während Hermann Wallmann gerade die radikalen Sprünge innerhalb der Bücher von Brigitte Kronauer hervorhob.

Im Anfangskapitel ihres neuen Romans Teufelsbrück (nach einer Anlegestelle an der Elbe), den die Autorin las, stürzt die Heldin, Maria Fraulob, im EBZ (Elbe-Einkaufs-Zentrum) zu Boden und fühlt sich von den Armen eines Mannes umfaßt, eines gutaussehenden südamerikanischen Mafiosi, so scheint ihr, den sie mitgerissen hat. Als sie sich erheben will, trifft ihr Blick die Schlangenlederpumps der vor ihr stehenden Dame, seiner Begleiterin. Anstatt sich für das Anrempeln zu entschuldigen, sagt sie nur: „Schöne Schuhe“ und noch einmal: „Schöne Schuhe“. Daraufhin reicht ihr die Dame - eine Schuhfetischistin - ihre Visitenkarte und lädt sie ein, sich ihre private Schuhsammlung anzusehen. Maria Fraulob wird dieser Einladung folgen. So beginnen ihre Erlebnisse mit diesem extravaganten Paar.

Die Heldin erzählt ihre Geschichte an neun Abenden. Der Text entwickelt sich zum literarischen Kriminalroman. Sibylle Cramer lobte die Exposition als ein „Wunderwerk der Knotenkunst“, das bereits alle Kennzeichen der Täuschung und des Verkennens - die für den Roman typisch seien - in sich trägt. Erzählt wird - so konnte man erfahren - von einem Lebensabschied. Die Erzählsituation wird erst nach und nach deutlich. Die Heldin erzählt unter Druck. Ihr Gegenüber ist eine ziemlich unheimliche Person. Der Leser befindet sich ständig auf der detektivischen Suche nach der dialogischen Figur. Vermutlich ist das Gespräch ein Selbstgespräch außerhalb der gesellschaftlichen Kommunikation, eine Darstellung des modernen Bewußtseins, das den Schrecken der Einbildungskraft erlebt. Der Roman ist eine Teufelsgeschichte. Die Sprache des Herzens und die Sprache der realen Welt werden hier gegenübergestellt. Die Zweistimmigkeit des Buches, das erzählende Ausmalen der Wirklichkeit und die reflektierende Stimme, die das Erzählte deutet, finden erst kurz vor Schluß des Buches zusammen. Sibylle Cramer wurde bei der innigen Verzahnung von Wunder- und Normalwelt in diesem Roman an E.T.A. Hoffmanns Märchen „Der goldene Topf“ erinnert. Die Welt erscheine als irreparabel. Die Apokalypse könne nicht ausbalanciert werden. Maria, die geglaubt hatte, ein Recht auf die Erfüllung ihrer Sehnsüchte zu haben - sie bekommt den „Mafiosi“ zum Schluß -, verliert sich dabei völlig. Der Roman wird vom Rand aus erzählt, vom Endspiel eines Dramas her, dessen Kern in der Vergangenheit liegt. Einmal scheint das Bild Arkadiens auf: ein glückliches Paar mit einem Kind am Meer. (Marias Mann und Kind waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.) - Der Roman, so Hermann Wallmann, sei auch als politisches Buch zu lesen. Brigitte Kronauers sehr genau beschreibende Prosa könne auch allegorisch interpretiert werden.

Wie die Autorin im Gespräch betonte, sei ihr das Irisierende der Erzählung wichtig, die wechselnden Perspektiven, der schwankende Lichteinfall. Wenn Maria glücklich sei, stelle sich ihr die Welt überschwenglich dar, wenn sie weniger glücklich sei, trübe sich ihr Blick. So schließt der Roman - übrigens wie der „Goldene Topf“ - ambivalent, im Ungewissen, er hat ein schwebendes Ende. Der letzte Abend des Erzählens bleibt ein Fragment. Der märchenhafte Vogellaut des Anfangs kehrt zurück. - Auf diesen klassisch abgerundeten Schluß bei gleichzeitiger Unabgeschlossenheit der Handlung sei sie ein bißchen stolz, gestand die Autorin.

Dorothea Körner


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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