Eine Rezension von Gerhard Keiderling


cover

Noch einmal die Berliner Luftbrücke

Wolfgang J. Huschke: Die Rosinenbomber
Die Berliner Luftbrücke 1948/49.
Eine Geschichte der Menschen und Flugzeuge.
Metropol Verlag, Berlin 1999, 344 S.


Zum 50. Jahrestag der Berliner Luftbrücke von 1948/49 erschien eine Reihe von Veröffentlichungen zu ihren Hintergründen, Abläufen und Folgen. Auch die flugorganisatorische und -technische Seite dieser spektakulären Militäroperation fand eine Würdigung. Die anzuzeigende Arbeit von Dr. Wolfgang J. Huschke, einem heute in Frankreich lebenden Volkshochschuldirektor i. R., leistet einen wertvollen Beitrag zum bereits Bekannten. Denn hier steht die Geschichte der Piloten und ihrer Maschinen im Vordergrund. Nachdem eingangs der Begriff „Luftbrücke“ an Beispielen aus dem Zweiten Weltkrieg (Kessel von Demjansk und Stalingrad sowie die US-Operation „The Hump“ in Südostasien) historisch-konkret erläutert und in einem anschließenden Kapitel die politisch-militärischen Eckdaten der Berliner Luftbrücke dargelegt wurden, wendet sich der Autor seinem eigentlichen Anliegen zu.

Die umfangreiche Spezialliteratur auswertend, beschreibt er die Organisation der Luftbrücke, den Wetterdienst und die Bedingungen innerhalb der drei Luftkorridore nach West-Berlin. Ohne das damals eingeführte modernste Anflugverfahren (Ground Controlled Approach) - es wird in einem besonderen Abschnitt erläutert - wäre die Flugdichte in den Luftkorridoren undenkbar gewesen.

Die in die Luftbrücke einbezogenen Flugplätze in West-Berlin (Tempelhof, Gatow und Tegel) und in Westdeutschland (Frankfurt a. M., Wiesbaden-Erbenheim, Wunstorf, Faßberg, Hamburg-Fuhlsbüttel, Hamburg-Finkenwerder, Celle-Wietzenbruch, Lübeck-Blankensee und Schleswig-Land) werden in ihrer Geschichte, Anlage und Bedeutung für die Operation detailliert mit Luftbildern und Lageplänen vorgestellt. Die Umstände der Sprengung der Sendetürme des Berliner Rundfunks am 16. Dezember 1948, die die Flugsicherheit für den neuen Flugplatz Berlin-Tegel gefährdeten, werden erstmals in allen Einzelheiten geschildert. Übrigens handelte es sich hierbei um den wesentlichsten Beitrag der Franzosen zur anglo-amerikanischen Militäraktion.

Die Leidenschaft des Verfassers fürs Technische spürt man in allen Teilen der Arbeit, besonders bei der Beschreibung des damaligen Flugmaterials. Ein gutes Dutzend verschiedener Flugzeugtypen kam auf amerikanischer unbd britischer Seite zum Einsatz. Huschke stellt sie alle mit ihren technischen Daten vor und beschreibt die aufwendigen Wartungs- und Reparaturarbeiten am Flugpark, die teilweise in den USA ausgeführt wurden. Die sogenannte Osterparade vom 15./16. April 1949, als alle 31 Sekunden ein Transportflugzeug in Berlin landete oder startete, nennt er den absoluten Höhepunkt der Luftbrücke.

Ein besonderes Kapitel widmet sich den fliegenden Besatzungen, die die Hauptlast und das größte Risiko trugen und am Ende auch die meisten Todesopfer brachten. Über 350 Veteranen der Luftbrücke - Piloten, Navigatoren, Bordingenieure und -mechaniker, Funker, Radiotechniker, Meteorologen und andere - hat Huschke angeschrieben oder interviewt. So kann er ein anschauliches Bild vom Alltag und von Zwischenfällen, vom fliegerischen und manchmal allzu sportlichen Können des Flugpersonals, von seinen Haltungen und Gefühlen zeichnen. Schließlich waren die meisten im Kriege Bomberpiloten gewesen, die ihre todbringenden Lasten über jener Stadt abgeworfen hatten, die sie jetzt mit lebensnotwendigen Gütern versorgten. Natürlich ist dem populärsten „Candy Bomber“, dem „Schokoladenflieger“ Gail S. Halvorsen, der beim Anflug von Berlin-Tempelhof Süßigkeiten an kleinen Fallschirmen abwarf, ein besonderer Abschnitt gewidmet.

Mit seinem Material, in langer Forschungsarbeit zusammengetragen, bietet Huschke eine Darstellung aus einem Guß, klar gegliedert, nüchtern abgewogen, trotz der vielen technischen Daten anschaulich geschrieben und den fachlichen Wissensstand in vielem bereichernd. Wer wußte schon, daß es eine Luftbrücken-Zeitung gab, nämlich die in Wiesbaden hergestellte „Task Force Times“. Im Anhang befinden sich Angaben über die Frachtleistungen der Luftbrücke, über die Todesopfer der Operation, über die beteiligten Verbände der US Air Force und der Royal Air Force sowie ziviler britischer Chartergesellschaften. Eine Chronologie und eine Bibliographie runden das Ganze ab. Es ist dem vorzüglich recherchierten und verfaßten, mit zahlreichen, meist bislang kaum bekannten Fotos, Karten, Skizzen und Statistiken ausgestatteten Buch zu wünschen, daß es trotz des verspäteten Erscheinungstermins von der Fachwelt in gebührender Weise zur Kenntnis genommen wird. Unter dem Titel The Candy Bombers gibt es eine englische Ausgabe.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite