Eine Rezension von Helmut Caspar


Aktien fürs Berliner Schloß

Wilhelm von Boddien/Helmut Engel:
Die Berliner Schloßdebatte - Pro und Contra
Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 2000, 149 S.


Wenn es nach Wilhelm von Boddien geht, steht in zehn Jahren das Berliner Schloß, genauer gesagt, eine Kombination aus Schloß und Palast der Republik. Der visionäre Vorsitzende des Fördervereins Berliner Stadtschloß träumt schon jetzt von einem rauschenden Einweihungsfest. Allerdings ist Konkretes in Berlins historischer Mitte noch nicht zu sehen, abgesehen von einigen Fundamentstücken, die in den vergangenen Jahren von Archäologen des Berliner Denkmalamtes ausgegraben wurden. Es existieren zahlreiche sichergestellte Steinfragmente und jede Menge alter Bilder. Weitere Ausgrabungen in ehemaligen Trümmerbergen sollen die Materialbasis für die Schloßrekonstruktion verbreitern, denn jedes Steinfragment, das der vor 50 Jahren vom damaligen SED-Chef Walter Ulbricht veranlaßten Sprengung des Hohenzollernbaues entging, ist wichtig für die Rekonstruktion, sollte sie denn kommen. Eine hochkarätig besetzte Expertenkommission, die Wiederaufbau-, Nutzungs- und vor allem Fianzierungsfragen erörtern soll, ist noch im Entstehen. Für den Herbst 2000 plant von Boddien eine umfangreiche Werbekampagne, und dann will er auch die ersten Aktien für den Wiederaufbau ausgeben.

Um Politiker, Parlamentarier und die Öffentlichkeit über den aktuellen Stand der Debatte zu informieren und sie von der Realisierbarkeit des auf 1,5 Milliarden Mark teuren Projekts zu überzeugen, haben von Boddien und der bisherige Berliner Landeskonservator Helmut Engel ein Buch herausgebracht, in dem Politiker, Architekten, Kunstwissenschaftler, Historiker und Denkmalpfleger ihre Meinungen über den vor zehn Jahren in Folge der Wiedervereinigung in Gang gekommenen Plan vortragen, das Schloß aus dem Nichts wiedererstehen zu lassen. Der reich illustrierte Band Die Berliner Schloßdebatte - Pro und Contra vermittelt den Eindruck, als sei der Zug in Richtung Wiederaufbau bereits abgefahren, Bebauungsvarianten für Berlins Mitte jenseits einer Schloßrekonstruktion werden ausgeklammert. Es scheint, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, wann der erste Spatenstich erfolgt und der riesige Kuppelbau dann „modulgerecht“ errichtet wird.

Der Bauhistoriker Wolfgang Schäche verneint die Frage, ob der Wiederaufbau eines Bauwerks etwas mit Unmoral zu tun hat, und verweist auf zahlreiche Beispiele im In- und Ausland, wo die Rekonstruktion verlorener Monumente mit Erfolg praktiziert wurde, ohne daß jemand heute noch einen Gedanken daran verschwendet, daß es sich nur um eine Kopie handelt wie die Münchner Residenz oder das Schloß Charlottenburg. Es gebe kein rationales Argument, welches den Nachbau real nicht mehr existenter Bauwerke per se ausschließt. Die Entscheidung sei allein der sorgfältigen Abwägung aller mit dem Gebäude verbundenen Bedeutungsebenen sowie der Einbeziehung des ökonomischen, technischen, ästhetischen Aspektes sowie des Zweckmäßigkeits- und Nutzungsaspektes verpflichtet, nicht aber fragwürdigen Geschichts- und Architekturtheorien. Berlins Landeskonservator Jörg Haspel warnt vor dem „Gespenst der Denkmalimitation“ und zählt konservatorische Vorbehalte gegen Rekonstruktionen auf, „die in der Substanz nicht historisches Zeugnis ablegen, sondern als Gegenwartszeugnis heutige Geschichtsbilder vermitteln“. Haspel setzt sich dafür ein, den Palast der Republik, in dem 1990 die frei gewählte Volkskammer der Währungsunion und dem Einigungsvertrag zustimmten, als wichtigen Ort der deutschen Nachkriegs- und Parlamentsgeschichte zu respektieren. „... gerade wer den Denkmalort des Schlosses durch eine sinnfällige Rekonstruktion der Schloßfaßade markieren will, müßte den Verlust des Denkmals durch den an seine Stelle getretenen Nachkriegsbestand thematisieren, wenn nicht sogar respektieren.“

Dem Leser wird an anderer Stelle des Buches eingeredet, daß im Zeitalter des Computers alles möglich ist, auch die millimetergenaue Nachbildung von Fassaden und Bildhauerschmuck. Das mag stimmen und wird sicher auch beim „Neuen Schloß“ in Berlin, so die noch gewöhnungsbedürftige Bezeichnung der Kombination aus ausgeschlachtetem Palast der Republik und der Schlüterschen Schloßfassade, praktiziert. Ähnlich dürfte man auch beim Potsdamer Stadtschloß vorgehen, sollte auch dieses wie ein Phönix aus der Asche erstehen, doch ob das Ergebnis wirklich den alten Hohenzollernpalästen gleicht und ob man nicht ganz erhebliche Zugeständnisse an Stil und Ausführung wird hinnehmen müssen, steht auf einem anderen Blatt.

Vom Berliner Schloß existieren sehr genaue Meßbilder und Aufrisse, die mit erhalten gebliebenen Spolien nun rechnergestützt ausgewertet werden. Verschiedene Autoren sind überzeugt, daß alte Aufnahmen und neue Technik zu brauchbaren Ergebnissen führen. Entgegen früheren Planungen, die „neutrale“ Säle vorsahen, sollen auch im Inneren die ehemaligen Prunkräume - sie machen etwa ein Zehntel der Gesamtfläche aus - zentimetergenau wiederhergestellt und mit seinerzeit geretteten Möbeln, Bildern und Ausstattungsstücken geschmückt werden, so die Aussage des Buches. Verlorengegangene Stuckaturen und Deckengemälde sollen „abstrakt“ den Vorbildern nachempfunden, nicht aber nach alten Fotos kopiert werden. Der Sammelband informiert darüber hinaus auch über die Nutzung des „Neuen Schlosses“ als Konferenzzentrum der Bundesregierung, als Gästehaus und Hotel sowie als großes Museum, das die Tradition des Schloßmuseums nach dem Ende der Monarchie aufnimmt und nach neuesten Plänen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die in Dahlem gezeigten Exponate außereuropäischer Kulturen aufnehmen könnte. Außerdem erfährt man von Plänen für die Gestaltung des Umfeldes und die Beziehungen zwischen Schloß, Lustgarten und Museumsinsel. Die mit neuen Nutzungsideen und jetzt auch mit dem Debattenbuch angefachte Diskussion sollte schon bald zu ersten Entscheidungen führen, hofft Wilhelm von Boddien, wobei allerdings noch lange nicht klar ist, woher angesichts großer Haushaltslöcher die gewaltigen Bausummen kommen sollen, wenn der Aktienplan mißlingt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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