Eine Rezension von Bernd Grabowski


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Des Kaisers neue Kleider oder Wie man ein Buch verlegt

Peter Brasch: Schön hausen
Eulenspiegel Verlag, Berlin 1999, 159 S.


Warum kam mir beim Lesen immer wieder die Vermutung, ich hätte es mit einer modernen Fassung des Märchens von dem Kaiser und seinen neuen Kleidern zu tun?

Die erzählte Geschichte, gegliedert in 55 kurze Kapitel, wirkt recht märchenhaft. So zählt zu den Hauptfiguren neben dem Autor und dem sizilianischen Glöckner Gianluca Cardinale, den es 1996 auf wundersame Weise nach Berlin verschlagen hat und der sich in einen wetterzaubernden Meteorologieprofessor verwandelt, auch ein Rotkehlchen, das sich, als Taube verkleidet, einführt, sich als Schluckspecht entpuppt und trefflich mit den Leuten italienisch und deutsch parliert. An ein Märchen erinnert auch die Wiedererweckung der Arbeitsvermittlerin Isolde Terzki. Verärgert über fehlende Stellenangebote, wirft der gar nicht so fromme Kirchendiener aus Sizilien in der Art eines Mafiosos die Frau kurzerhand aus dem Fenster. Das hatte zur Folge, daß sie einige Zeit „als Blumenrabatte vor dem Arbeitsamt VII, Storkower Straße 118“ ihren Dienst versehen mußte. Aber nach ein paar Monaten tauchte sie wieder quicklebendig in ihrem Büro vor dem Computer auf. Ebenso rätselhaft erscheint die Verkäuferin, der jener rabiate Berlin-Tourist in Rudis rudimentärem Reste-Reich begegnet, denn auf sie soll folgendes Signalement zutreffen: „Sylvia Seewalde, geboren am 32. Februar 1892 in Berlin“.

Märchenhaft, weil unwirklich, erscheint auch das Marx-Engels-Denkmal aus Bronze, in sprechenden Stein verwandelt und auf den Alexanderplatz versetzt. Oder auch „die tapferen vietnamesischen Zigarettenverkäufer“, die sich angeblich „nur in Dämmerstunden“ auf die Schönhauser Allee trauen. Und „während des großen Festivals der Jugend der ganzen Welt“ ist nicht „der ehemalige Vorsitzende des Staatsrates, Walter Ulbricht“, sondern der damalige Vorsitzende gestorben - bei „Regen“ und „hellem Sonnenschein“.

Vielleicht wollte der Autor gar nicht historische Detailtreue anstreben. So hat er - für den Leser nicht nachvollziehbar - manche Ortsbezeichnungen in Berlin genau wiedergegeben, andere dagegen mehr oder weniger verfremdet. Die Anspielungen auf Zustände und Ereignisse sind nur teilweise erschließbar, vermutlich ist manches auch inhaltsleer. Jedenfalls bleibt die Botschaft unklar.

Wiederholt wirft der Autor die Frage auf, „ob Engels mit Helene Demuth gevögelt hat“. Dieser an sich belanglosen Frage mißt er erstrangige Bedeutung bei, läßt sich jedoch nicht über Anhaltspunkte für eine bejahende oder verneinende Antwort aus. Mir scheint, daß er nur einen Aufhänger gebraucht hat, um stolz ein Wortspiel zu präsentieren: „Engel vögeln immer demütig.“ Abgeschmackt, nicht einmal witzig. Substanzlose Spielereien, die eine wohl unergründliche Bedeutungsschwere vortäuschen sollen - das bestimmt das ganze Buch.

Das alles hat mich also nicht nur einfach an Märchen erinnert, sondern speziell an jenen Kaiser, dem zwei Schneider angeblich die herrlichsten Gewänder anlegen, von denen sie behaupten, daß sie unsichtbar für Dummköpfe seien. Da habe ich mich als ein solcher Dummkopf gefühlt, der hier eine interessante Erzählung, eine lesenswerte Geschichte, ein Essay, eine Fabel oder sonst etwas von literarischem Wert vergeblich gesucht hat. (Welches Genre eigentlich bedient werden soll, darüber schweigt sich das Buch aus.) Die Stiftung Kulturfonds und die Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten, die das Unternehmen gefördert haben, sowie der Eulenspiegel Verlag, der das Manuskript drucken ließ, haben dagegen bewiesen, daß sie für ihr Amt taugen und wahrhafte Kenner sind. Hätten sie sonst in Schönhausen schöne Literatur gesehen!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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