Eine Rezension von Edwin Kratschmer


„Habe ich mein Leben vielleicht nur geträumt?“

Bogdan Bogdanovic:
Der verdammte Baumeister
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999, 298 S.


Der „verdammte Baumeister“ ist ein bunter Vogel unter Architekten und Literaten, ein Phantast, Gegenweltler und Anarchotyp, der die totale Welt, in der er an die siebzig Jahre gelebt hat, auf sonderbare Art befruchtet hat. Er selbst bezeichnet seine Existenz als die eines Jakobiners, Trotzkisten und schließlich als die eines Neoneopythagoräers. Dabei bin ich mir nicht sicher, wie ernst von einem Menschen das gemeint ist, der die Welt mit „surrealistischem Humor“ betrachtet. Mit „Jakobiner“ meint er wohl den „wild gewordenen Träumer“, der unversehens in eine blutige Revolutionsfarce geraten ist, mit „Pythagoräer“ wohl den Liebhaber närrischer Paradoxien. Wie dem auch sei, am Ende seines Erinnerungsbuches und Selbstberichts Der verdammte Baumeister stellt er sich verwundert die Frage: „Habe ich mein Leben vielleicht nur geträumt?“

Immerhin beinhaltet dieses „geträumte Leben“ eine „leidenschaftliche, lebenslange Erregung“ zwischen Lust und panischer Angst: „Wie viele Schritte darf ich gehen, ohne in das Loch zu fallen?“ Dabei stößt er in der „Rumpelkammer seiner Erinnerungen“ en passant auf mehrere Kriege, verschiedene Besatzungszeiten, quichottehafte Aufbegehr, couragierte Gegenwehr und ernsthafte Lynchbedrohung. Er erlebt seine Geschichte als halsbrecherische Gratwanderung im Zeitalter „moderner Teufelsaustreibung“. Und dennoch verlegt er in ihr seine lange „Spur der Steine“ in Form surrealistischer Skulptur und Architektur. Er nennt sie „metaphysische Landschaft“. Etwa seine hart attackierte „Blume des Bösen“, eine Ikonografie des Schrecklichen am Ort der Todesmanufaktur und des äußersten Verbrechens „Jasenovac“, dem mehrfach dimensionierten serbisch-kroatischen Buchenwald mit Hunderttausenden gemeuchelter Schlachtopfer.

Da saßen die Genossen Auftraggeber, die ein sozialistisch-realistisches Mahnmal wie das von Fritz Cremer auf dem Ettersberg erwartet hatten, zum erstenmal zu Gericht über ihren Genossen Bogdanovic. Sie begriffen das „Pflanzenungeheuer“ als Symbol für nationalen Verrat. Freilich hatte ihr Schöpfer nichts gegen eine Auslegung als gefährliche Fleischfresserpflanze. Ihm war es aber auch Blume vergeblicher Hoffnung.

Daß er sich dann auch noch per Philosophie in die Ideologie mengte und - nachdem er es in politischen Tauwetterzeiten an der Belgrader Universität gar bis zum Dekan gebracht hatte - trotzig und demonstrativ eine „Dorfschule für Philosophie der Architektur“ einrichtete, in der er seine Studenten gegen die Betonwelt mobilisierte und sie eine alternative Architektur lehrte, die weder im Himmel noch auf der Erde einen Platz fand, verzieh ihm die Obrigkeit nicht. Und hier in Male Popovic trieb der Mystagog närrische Spiele zur Befreiung der gefangenen Phantasie, setzte mittels Brainstormings neoromatisch-luzid und trutzig phantastische Kreativität frei und provozierte, ein Advocatus Diaboli, seine Studenten zu künstlerischen Phantasmagorien.

Aus der serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste war er längst ausgetreten. Da „wehte“ ihn, der von Verwaltung keine Ahnung hatte, „ein Wind“ auf den Stuhl des Bürgermeisters der „Heldenstadt“ Belgrad. Vorstellbar wird das nur so: Jugoslawien, vorübergehend reformbereit und weltoffen, kam der Paradiesvogel, Mystagog und wunderliche Kauz, der inzwischen im Ausland als Alternativer bekannt war, als Alibi für Freigeistigkeit gerade recht. Doch den Eintritt ins ZK lehnte er ab. Nach vier Jahren wollte er an die Universität zurück, hielt dort aber gerade noch seine Abschiedsvorlesung. Denn inzwischen war ein Slobodan Miloševic dabei, sich als „auserwählter Führer und Retter der Nation“ zu inthronisieren und „alle gesunden Kräfte aus Partei und Gesellschaft“ um sich zu scharen. Der Wahn von einem Groß-Serbien begann.

Nun wirft Bogdanovic seinen ganzen Einfluß in die Waagschale. Es scheint ihm der letztmögliche Zeitpunkt einer Einmischung. Zunächst schreibt er ein Stalino-Wörterbuch der serbisch-grusinischen Begriffe. Bald wird es ein Essayband Mentale Fallen des Stalinismus, darin Passagen wie: Serbien sei seiner Halb- und Viertelführer müde, müde der Pauken und Trompeten, müde des leeren Geredes, des Hasses auf alles Neue, seiner Sucht nach Selbstzerstörung und Selbsteinschließung, müde des Exodus der Talentierten, und im Visier stehen Nationalisten, Nationalkommunisten und Kommunofaschisten, besonders aber die als Bürgerkrieg drohende Gefahr einer Rückkehr in die Barbarei, die bald darauf in der Tat auch ausbricht. Nach einer Samisdat-Veröffentlichung erscheint das Buch im kroatischen Zagreb. Sofort beginnt ein wüstes Kesseltreiben mit Scherbengerichten, und es kommt zu organisierten Ausschreitungen gegen den Autor auf offener Straße. Da bricht der Bruderkrieg in Bosnien-Herzegowina realiter herein, furchtbarer als geahnt.

Ab 1993 treffen wir Bogdanovic in Wien, wohin er mit seiner Frau, einer Sprachwissenschaftlerin, emigriert ist. Seine Berufsbezeichnung ist nun Schriftsteller. Eine erste launische Verbindung zwischen Literatur und Baumeisterei hat er bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit versucht. Er begann diesem Binom nachzugehen. Architektur und Literatur schienen ihm einen gemeinsamen Nenner zu haben: die Poesie. Ihr folgte der Architektur-Equilibrist immer konsequenter, und ob als lithophiler Choreograf der „Steinschnitzerei“ oder als „pythagoräischer Adept“ und „neoneopythagoräischer Geheimbündler“ - immer ist er nun auf der Suche nach dem Poetischen. So war es nur selbstverständlich, daß er in Wien endgültig zum Schreiben fand und seither mit nahezu heitrem Blick zurück Buch um Buch über das Leben dieses „verdammten serbischen Baumeisters“ schreibt, vom hysterischen Überfall der Historie auf sein Leben, über sein Lebensabenteuer, das er Kon-Tiki nennt und von dem er nicht glauben kann, daß es das seine gewesen sei.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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