Eine Rezension von Bernd Heimberger


Ohnmacht der Opfer

Janusz Bardach/Kathleen Gleeson:
Der Mensch ist des Menschen Wolf
Mein Überleben im Gulag.
Aus dem Englischen von Margret Fieseler.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000, 469 S.


Sie waren schweigsam. Schlimmer noch: Sie waren verschwiegen. Jene deutschen Antifaschisten, die aus dem sowjetischen Exil in die Sowjetische Besatzungszone und spätere DDR kamen. Worte wie Deportation, Verbannung, Internierung waren nie zu hören. Mutig fühlte sich, wer von Umsiedlung sprach. Zum Beispiel: Wir wurden nach dem Überfall auf die SU von Moskau nach Baku umgesiedelt! Das Wort Gulag war ungebräuchlich wie das Wort Holocaust.

Gulag, Holocaust, KZ sind zum Inbegriff der Gewalt des Menschen gegen den Menschen geworden. Kommt also der Gulag ins Gespräch, scheint ein Buchtitel wie Der Mensch ist des Menschen Wolf eher eine Verharmlosung. Janusz Bardach, der den Titel für seinen Überlebens-Bericht wählte, erinnert mit ihm an seine jüdische, polnische gebildete Mutter, die so urteilte. Mutter wie Vater, die Großeltern, die Schwester und Frau wurden Opfer des Holocaust. Janusz Bardach, als plastischer Chirurg international renommiert, wurde von der Roten Armee vereinnahmt, als Spion zum Tode verurteilt, zum Schaufeln seines Grabes gezwungen, monatelang von einem Transit-Gefängnis ins nächste befördert, um in der Hölle des Gulag zu landen. Das heißt auf Kolyma, dem fernsten, finstersten Landstrich, wo neun Monate bitterster Winter herrscht. Bardach war fast fünf Jahre im Gulag. Was er erlebte, übersteigt die Phantasie des Menschen, der sein täglich-alltägliches zivilisatorisches Leben lebt. Oft erscheint dem Überlebenden das Überleben „unglaublich“. Auch als das die tägliche Anstrengung verlangte, die gelegentlich seine Menschlichkeit in Frage stellte. Nach sämtlichen Gulag-Büchern - von Solschenizyn bis Kopolew - gibt's kaum grundsätzlich Neues über den Gulag in Bardachs Buch. Immer wieder neu ist jede Gewalttat, die der Mensch dem Menschen zufügt. Das Erschreckende ist die ständig praktizierte, gesteigerte Gewalt der gewöhnlichen Leute, die keine Stellvertreter der Staatsgewalt sind, die, als Opfer, zu Gewalttätern werden. Bardach erweitert mit seinem Bericht das Thema nicht. Er bringt weitere Details für die Bösartigkeit des Gulag-Systems ans Tageslicht. Das Buch ist ein Alptraum menschlicher Verwüstungen. Es ist ein Buch der Tröstungen, denn ohne Glück im Unglück, ohne das Menschliche im Unmenschlichen hätte Janusz Bardach die Lager nicht überlebt. Das Buch ist wesentlich für den Verfasser. Es ist kein Sachbericht, der als solcher für sich existiert. Bardach hatte eine Co-Autorin zur Seite. Sie hat den Bericht amerikanisiert. Hat die Lebens-Schicksals-Geschichte durch entschiedene Literarisierung emotionalisiert. Die Machart wird ihre Wirkung auf viele Leser nicht verfehlen. Der Sache ist wenig gedient, wenn die trivialisierende Darstellung die Oberhand gewinnt, ein Lenin-Zitat zu einem Stalin-Zitat wird. Wenn Czeskaw Milosz, der polnische Nobelpreisträger für Literatur, zitiert wird, der sagte, daß er „jede Zeile verschlungen“ hat, muß man sich fragen, wie er die Zeilen vertragen hat? Sicher ist, daß die Geschichte keinen Menschen unberührt läßt. Tränen der Wut und der Freude sind die Antwort auf das Geschilderte und darauf, wie es geschildert wird. Der Mensch ist des Menschen Wolf ist ein Buch, in dem nichts kaschiert werden kann. Nicht mal die Tatsache, daß der am 28. Juli 1919 geborene Janusz Bardach heute als 80jähriger in den USA lebt und nicht als 76jähriger, wie es im Klappentext notiert ist. Gott möge Janusz Bardach noch viele Jahre gönnen. Wir sollten ihm dankbar dafür sein, daß er nichts verschwiegen hat, so daß auch seine Erinnerungen alle Zeit im Gedächtnis der Menschheit aufbewahrt bleiben. Darauf kommt's an!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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