Eine Rezension von Hans-Rainer John


Zwischen Lebensglück und Seelentod

Elke Schmitter: Frau Sartoris
Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2000, 160 S.


Dieser Tage ging die Mitteilung durch die Presse, Elke Schmitter, geboren 1961 in Krefeld, sei für Frau Sartoris mit dem Literaturpreis der Stadt Krefeld ausgezeichnet worden, es sei ihr ein herausragendes Romandebüt gelungen. Die Entscheidung der Jury ist nachvollziehbar. Die Journalistin Schmitter („Die Zeit“, „Süddeutsche Zeitung“) entpuppt sich tatsächlich als literarisches Talent. Hier ist mehr als allgemeine publizistische Schreibfähigkeit, hier deutet sich ein eigenwilliger Stil an und eine besondere Erzählhaltung; was die Autorin beobachtet und wie sie es mitteilt, das hat schon eine eigene Qualität.

Dabei hat sie diesmal noch die weitgespannte Handlung mit mehreren Strängen und großem Personal, die epische Großform eben, die wir unter Roman verstehen, vermieden, es handelt sich mehr um eine ausführliche Erzählung, streng genommen um ein Psychogramm, mit wenig Figuren und kaum verändertem Schauplatz: ein kleiner Ort irgendwo in Westdeutschland, wo Frau Sartoris, etwas über vierzig, mit ihrem Mann Ernst und der fast erwachsenen Tochter Daniela lebt. Spektakuläre Aktionen gibt es nicht. Der Alltag im begrenzten und überschaubaren Terrain freilich wird wacker ausgeschritten, das Leben der Frau wirklich ausgelotet. Sie ist hier als Kind kleiner Leute aufgewachsen. Sie arbeitet in einer Firma für Groß- und Einzelhandel mit Maschinenteilen und Werkzeugen, und hier ist ihr einen Sommer lang die große Liebe begegnet, als sie noch jung und sehr hübsch war und hoffnungsvoll ob der vielen in ihr schlummernden Talente. Aber es war Philip Rhienäcker, ein Gutsbesitzersohn, der ihr trotz Heiratsversprechen dann doch den Laufpaß gab und eine standesgemäßere Verbindung vorzog. Aus tiefer Enttäuschung und verletztem Stolz floh sie postwendend in die Ehe mit einem ungeliebten Mann, einem braven Sparkassenbeamten, für den die Ehe mit der schönen Frau die kaum erhoffte Erfüllung kühnster Träume bedeutete und der ihr fortan alle Wünsche von den Augen ablas. Damit waren alle hochfliegenden Pläne begraben, sie war dem träge fließenden Alltag in dem wenig aufregenden Kaff ausgeliefert. Als sie nach zwei Jahrzehnten Michael begegnet, erweist sich, daß ihr Verlangen nach Glück nicht dauerhaft erstickt ist. Er ist der neue Kulturamtsleiter, der eigentlich in die Großstadt gehört, aber durch Frau und Kinder an den Ort gefesselt ist. Unversehens lodert Leidenschaft hoch, der beide bedenkenlos nachgeben. Frau Sartoris blüht auf, sie pflegt und kleidet sich besser, wird kaltblütiger und fordernder, entfaltet eine erotische Phantasie und ein sexuelles Temperament, von dem sie nicht gewußt hatte, daß es in ihr steckte. Sie will ihre Familie verlassen und mit Michael nach Venedig entfliehen. Am vereinbarten Treffpunkt aber wartet sie vergebens auf den Mann. Michael läßt sich anderentags verleugnen, zeigt sich in der Öffentlichkeit nur noch an der Seite seiner Frau. Das Leben von Frau Sartoris wäre nun an der Seite des wütenden Ernst die Hölle, wäre ihr nur noch gesunde Empfindungsfähigkeit geblieben.

Eigentlich ist die Geschichte damit auf Seite 131 zu Ende: der an Tolstoi, Flaubert, Fontane gemahnende Seelentod einer Frau, die von einem (Ehe-)Alltag vereinnahmt wird, der dem Reichtum ihrer Gedanken und Gefühle nicht entspricht, die nach langer Ehe noch einen Ausbruchsversuch wagt und der der Absprung nicht gelingt. Alles ist freilich alltäglich, die Heldin wirft sich nicht vor die Lokomotive, und weder Liebhaber noch Ehemann fallen im Duell. Im Unterschied zu den großen Vorbildern wird diese Geschichte hier freilich von der Heldin selbst erzählt. Das hat den Vorzug großer psychologischer Dichte, es nötigt den Leser wohl auch stärker zu anteilnehmendem Interesse. Aber der Vorzug wird mit dem Nachteil mangelnder Objektivierung und der Verengung des Gesichtswinkels erkauft: Berichtet wird nur, was und wie es die Heldin sieht, das Umfeld vermag nichts zu relativieren, und die Autorin selbst kann sich nur in dem Maße einbringen, das ihrer Heldin entspricht. Anna Karenina, Madame Bovary und Effi Briest wären wohl kaum in den Rang von Weltliteratur aufgestiegen, wenn lediglich die jeweiligen Titelfiguren zu Wort gekommen wären.

Dafür läßt es Elke Schmitter mit dem Seelentod noch nicht bewenden, auf den letzten 29 Seiten fügte sie eine neue Geschichte an. Frau Sartoris rappelt sich da noch einmal auf und beobachtet, wie ihre Tochter Daniela, die gerade das Abitur ablegt, von Willrodt, einem Bordellbesitzer, geblendet, verführt und gefühl- und gewissenlos mißbraucht wird. Da ein Gespräch mit Willrodt nur auf dessen Zynismus stößt, fährt sie ihn eines Nachts mit dem PKW um. Der Tod des Kontrahenten bewegt sie nicht, ob die Polizei sie als Täterin zu ermitteln vermag, bleibt offen. Die Autorin bemüht sich sehr, die neue Story frühzeitig vorzubereiten – Hinweise auf einen Unfalltod durchziehen schon den ersten Teil, ohne daß man weiß, um wen es sich handelt –, aber eine organische Verzahnung gelingt ihr nicht. Daß in die Wut auf Willrodt auch der Zorn auf Michael mit hineinspielt, wird nicht nahegelegt. Nur daß Ernst trotz ihrer Bemühungen nicht einschreitet, seine Tochter verblendet für unschuldig, eine Verbindung zu Willrodt für irreal hält, wurzelt in der Tatsache, daß er seiner Frau nach ihrer amour fou nicht mehr glaubt, daß das Band des Vertrauens und der Zusammengehörigkeit zerrissen ist.

Trotz der Einwände: Das Buch vermag dank sehr realer und gut beobachteter Vorgänge zu fesseln und zu bewegen. Es ist frei von Oberflächlichkeit. Die Titelfigur ist glaubhaft, und nachvollziehbar ist, was sie denkt und tut.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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