Eine Rezension von Ursula Reinhold


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Zukunftsmusik

M. G. Burgheim: Future Pop
Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1999, 204 S.


Der Autor nimmt in seinem Debütroman Anlauf zu einer anspruchsvollen literarischen Gattung. Er versucht es, eine negative Utopie zu schaffen, die am Beginn des neuen Jahrtausends in Berlin spielt. Hiermit will er auf Gefahren verweisen, die sich aus sozialer Misere entwickeln können, aus der heraus Jugendliche falschen Idolen hinterherlaufen, Gewalt und Ausländerhaß das Denken bestimmen. Die Gefahr geht von einer Rock-Gruppe mit dem ostalgischen Namen „Pioniere“ aus, die im Begriff steht, die ganze Republik zu erobern. Am Ende wird überlegt, ob man ihr das Bundesverdienstkreuz geben soll, um sie staatlicherseits für ihre Leistungen bei der Integration der irrenden und suchenden Jugend zu ehren. Diese Gruppe erobert seit einiger Zeit die Jugendlichen der Republik mit frechen Sprüchen, ideologischen Rundumschlägen und mitreißender Musik. Sie hat es geschafft, entwurzelte Jugendliche wieder in Gruppen zu integrieren, sie zur Aktivität anzuregen und ihnen ein neues Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln. Ihr Programm ist eine Mischung aus Versatzstücken ehemaliger Pionier- und FDJ-Kultur und aus westlicher Popmusik. Mit ihrem großstädtisch schrillen Auftreten vermittelt die Gruppe bei den Jugendlichen eine neue Zukunftsgläubigkeit. Es ist offensichtlich, daß der Autor seine Zukunftsangst vor einer neuen Rechtsentwicklung bei vielen Jugendlichen mit Versatzstücken totalitärer Zuschreibungen stützt. Damit beläßt er den wirklichen Miseren im Jugendalltag, den eigentlichen Beweggründen für entsprechendes Denken und Verhalten, nur wenig analytischen Raum. Dennoch verfährt er erzählerisch nicht ungeschickt. Er verpackt seine Warnung in eine spannungsreiche Geschichte, erzählt von seiner Protagonistin, einer Lehrerin, die im Berliner Bezirk Kreuzberg wohnt und in einem Gymnasium des Brandenburger Umlands unterrichtet. „Ich habe mich für Arietta entschieden. Irgendeinen Namen muß ich in meiner Geschichte ja haben, und der hat mir schon immer gefallen. Nicht, daß mein richtiger Name nicht ebenfalls sehr schön wäre, aber nach allem, was geschehen ist, erscheint es mir doch unvernünftig, ihn zu benutzen.“ So der Romanbeginn, von dessen erstem Erzählabschnitt an der Autor Spannung aufzubauen versteht. Er stellt den Leser unvermittelt in eine Geschichte, in der sich die Protagonistin in ihrer Wohnung nicht mehr sicher fühlt und Zuflucht bei einem Freund gefunden hat. Vor unbegreiflichen Ereignissen hat sie die Flucht angetreten: Sie bekommt anonyme E-Mails, findet ihren Hund vergiftet vor und erlebt, daß ihre beste Freundin verschwindet. Sie sieht sich in ein Geflecht undurchdringlicher Fragen verstrickt. Schließlich verdichtet sich langsam bei ihr der Verdacht, daß die unheimlichen Dinge mit der neuen Pop-Gruppe „Pioniere“ zusammenhängen könnten, der sie seit einiger Zeit mit Skepsis begegnet, nachdem sie sie zunächst in ihren Bemühungen um die Jugend als Partner gesehen hatte. Arietta nimmt zunehmend die nationalistischen Töne wahr, sieht den Gruppenzwang, der in der Kleidung und auch sonst herrscht, und ist alarmiert. Aber sie scheint die einzige zu sein, die hier Gefahren heraufziehen sieht. Als ehemalige Westberlinerin ist sie im Brandenburger Umland weitgehend fremd, glaubt an paranoide Neigungen bei sich, weil niemand außer ihr die bedenklichen Tendenzen im jugendlichen Verhalten wahrzunehmen scheint.

Der 1968 in Hessen geborene Debütant spielt selbst in einer Berliner Underground-Band und kennt sich offensichtlich auch sonst in der jugendlichen Musikszene aus. Er hat seinem aus zwei Teilen bestehenden Roman Kapitelüberschriften gegeben, die sämtlich auf Songtitel oder Namen von Rockbands anspielen. Ihr Witz hat sich mir, als Pop-Musik unkundiger Leser, leider nicht erschlossen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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