Eine Rezension von Julius Waldschmidt


Erster König in einem Erdöl-Reich

Uwe Pfullmann: Ibn Saud
König zwischen Tradition und Fortschritt.
Edition Ost, Berlin 1999, 466 S.


Man hört wenig über Saudi-Arabien, obwohl dieses große Land mit einer Fläche von mehr als zwei Millionen km2 nur gut sechs Flugstunden von uns entfernt liegt und in seiner Erde 32 Milliarden Tonnen Erdöl lagern dürften. Allerdings fließen die Gewinne, die das schwarze Gold bringt, nicht mehr so reichlich. Die Weltmarktpreise schwanken empfindlich, der Staatshaushalt des Königreiches weist Defizite aus, und Sparmaßnahmen, bislang ein Fremdwort in der Sprache saudischer Politik, nähren öffentliche Unzufriedenheit. Wie „Le Nouvel Afrique Asie“ (Mai 1999) meldet, wünscht der Chef der Nationalgarde, Emir Abdallah, moderne Anti-Terror-Ausrüstung für seine Einheiten.

Zwar gilt nach wie vor, „daß die Saud-Dynastie das Land wie einen Familienbetrieb verwaltet“, notiert Uwe Pfullmann in seiner eben erschienenen Ibn-Saud-Biographie. Doch eine vielschichtige Opposition ist unleugbar Realität geworden. Ihre Anhänger „wollen einen islamischen Staat wie unter den ersten Chalifen, ohne Prunksucht, Sittenverfall, Verwestlichung und ausländisches Militär“.

Die Aktionen dieser Opposition machten schon den Boden auf der Arabischen Halbinsel beben. Da stürmte und besetzte eine Fundamentalistengruppe im November 1979 die heilige Große Moschee von Mekka. Als man in Er-Riad danach Iraks Krieg gegen Iran finanzierte, „um die Revolution Khomeinis aufzuhalten“, und General Schwartzkopfs „Wüstensturm“ gegen Saddam Hussein mit der eigenen Armee 1991 unterstützte, sammelte die Opposition neue Kräfte und manifestierte sich in Streiks, regionalen Aufständen und schließlich in Bombenattentaten, die die US-amerikanischen „Schutztruppen“ direkt trafen. „Die reichen Ölmonarchien sind verwundbarer als andere Staaten der Region“, stellt Pfullmann fest.

Das Buch hat den Leser zuvor über die markanten Stationen der langen Geburtsgeschichte des Königreiches Saudi-Arabien geleitet. Dabei zentriert es natürlich um das Leben des Abdel Aziz bin Abdur Rahman bin Faisal Al Saud, der am 24. November 1880 in einem düsteren Lehmpalast in Er-Riad geboren worden war und nun als Staatsgründer Ibn Saud unter den prominenten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts seinen Platz gefunden hat. Ein auf den ersten Blick verwirrendes Panorama von Männern und Mächten, Ereignissen und Entwicklungen wird ausgebreitet. Es ist eine Überschau über acht Jahrzehnte in einer Welt, die manchem Mitteleuropäer noch immer „hinten, weit in der Türkei“ vorkommen mag. Doch gingen und gehen nicht von dort Wirkungen aus, die längst auf unserem Kontinent spürbar geworden sind? Der Emir Ibn Saud bahnte sich durch das Gestrüpp der Interessen rivalisierender Stämme und Herrscher wagemutig, geschickt und zielstrebig den Weg nach oben. Im politisch-diplomatischen Schachspiel mit dem Osmanischen Reich und dem Britischen Empire und unter Nutzung der Gegensätze zwischen London und Washington im Nahen und Mittleren Osten gelang es ihm, die haschemitischen Vorfahren des jüngst verstorbenen Königs Hussein II. von Jordanien, die den Hedschas regierten und auf die (lukrative) Oberhoheit über die Heiligen Stätten des Islam in Mekka und Medina pochten, von 1924 bis 1926 aus dem Felde zu schlagen und dieses Landstück zu erobern. Erst am 16. September 1932 erklärte Ibn Saud das Doppelkönigreich Hedschas und Nedsch zum Saudischen Arabischen Königreich.

Damals, vor dem Zweiten Weltkrieg, im Kriege sowie in den Jahren danach, waren in der Region (und auf beiden Seiten) deutsche Militärs wie Major Hans Steffen und Fritz Grobba, Diplomaten wie Hans-Joachim von Bassewitz und Eberhard von Stohrer (zuletzt Hitlers Botschafter in Franco-Spanien), vor allem Oskar Ritter von Niedermayer tätig.

Ibn Sauds Stern stieg in den Zenit, als die Standard Oil of California (SOCAL), später mit der Texas Oil zur CALTEX verbunden, in El Has Erdöl fand und 1938 zu fördern begann. Einer der stärksten Widersacher Ibn Sauds, Emir Muhamad bin Raschid, hatte jene Golf-Provinz in Besitz und, ahnungslos über den zähflüssigen Goldschatz unter seinem Wüstenboden, einen englischen Orientreisenden nach der Herkunft des Petroleums in den gerade modern gewordenen Lampen gefragt. Der Brite Charles Doughty hatte geantwortet: „... aus Amerika.“

Erst 1946 saß Ibn Saud zum ersten Mal in seinem Leben in der Eisenbahn und drängte die Amerikaner, ihm eine Eisenbahnlinie von Damman bis Riad zu bauen. Eine schwere Krankheit hatte ihn inzwischen halb blind und nur mühsam gehfähig gemacht. Als er im Februar 1945 den gelähmten USA-Präsidenten Roosevelt auf dem Kriegsschiff „Quincy“ traf, brachte er zum Entsetzen der Gastgeber 48 Begleiter, Reis, Gemüse und 100 lebende Schafe mit. Unter den Gegengeschenken gab es auch einen Rollstuhl.

Geschichten solcher Art hat Pfullmann in sein Buch eingeflochten, was die Lektüre belebt. Einprägsam nicht zuletzt die Schilderung um den Tod des Königs, der 1953 in Taif, dem Sommerschloß in den Bergen, starb. Aber das Lesen der Biographie ist ebenso anstrengend wie fesselnd, da eine Fülle von Anmerkungen die Textabschnitte präzisieren. Spürbar ist das Fehlen einer Karte, einer Zeittafel sowie eines Namens- und Sachwortregisters, die als Orientierungshilfen notwendig bleiben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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