Eine Rezension von Wolfgang Buth


Streifzug durch die Welt der Wörter

Hartwig Lödige:
Ketchup, Jeans und Haribo
Die letzten Rätsel unserer Sprache.
Ullstein-Taschenbuch-Verlag, München 2000, 253 S.


Kennen Sie ein Radler? „Den Ausdruck Radler kennen wir als Kürzel für Radfahrer und als Bezeichnung für ein Mischgetränk, das zur einen Hälfte aus Bier, zur anderen Hälfte aus Limonade (meist Zitronenlimonade) besteht.“ Wie kommt nun ein alkoholisches Getränk zu einem solchen Namen? Um die Antwort zu finden, muß man Franz Xaver Kugler kennen. Der nämlich ist der eigentliche Erfinder des Radler. Franz Xaver Kugler war ein Gastronom, der in Deisenhofen - etwa 15 Kilometer von München entfernt - die Kugler-Alm betrieb, ein überaus beliebtes Ausflugslokal. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Radfahren immer beliebter, und Franz Xaver Kugler ließ einen Radweg von München quer durch den Wald zu seiner Kugler-Alm anlegen. Dies machte sein Lokal noch populärer. An einem Samstag im Sommer 1922 geschah es dann: „Etwa 13 000 Radfahrer sollen dem Vernehmen nach (Hartwig Lödige vermutet, es waren allenfalls 130) die Kugler-Alm gestürmt haben. Da die Biervorräte ohnehin zur Neige gingen, aber noch unglaublich viel Zitronenlimonade vorrätig war, mischte Franz Kugler kurzerhand Bier und Limo und präsentierte seinen Gästen das Getränk als Radlermaß, das er eigens für Radfahrer erfunden habe, damit diese nicht besoffen nach Hause fahren müßten.“

In unserer Sprache treten sie ständig auf - Firmennamen, Produktnamen, Alltagsbegriffe und Fremdwörter. Ob Milupa oder Melitta, ob Minister, Chauvi oder Tifosi, von Montag bis Freitag, von Amerika und Afrika, von der Adventszeit bis zum Oktoberfest, ob Tchibo oder Eduscho, Sekt oder Selters: Für (fast) alles gibt es eine plausible Erklärung - Hartwig Lödige hat sie gefunden. Der Autor studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaften. Er lebt in Marburg an der Lahn und veröffentlichte bisher ABC Deutsch (Grammatik, Rechtschreibung, Zeichensetzung), Aufsatz Klasse 5 und 6 und Kurz und bündig: Grammatik. Das vorliegende Buch Ketchup, Jeans und Haribo versteht sich als kleines Wörterbuch der deutschen Sprache mit dem Schwerpunkt Produkt- und Firmennamen, ein kleines Herkunftswörterbuch also. Herkunftswörterbücher gibt es viele - kleine und große. Das vorliegende Büchlein kann und will vor allem den großen etymologischen Lexika keine Konkurrenz machen. Was will es dann? Lödige gibt selbst die Antwort: „Begonnen hat das Projekt irgendwann einmal mit der Frage: Warum heißt die Kartoffel Kartoffel? Bei der Kartoffel blieb's nicht, und so habe ich weitere Wörter aufgeschrieben, deren Herkunft mich interessierte.“ Außerdem hat er Begriffe, Abkürzungen, Firmennamen und dergleichen notiert, die jeder kennt, deren Bedeutung und Herkunft aber kaum jemand erklären kann. Viele Unternehmen gaben bereitwillig Auskunft über Firmen- und Produktnamen (beim anfangs genannten Radler steuerte z. B. der Bayerische Brauerbund e. V. Informationsmaterial bei). Und HARIBO (im Wörterverzeichnis sind die Produkt- und Firmennamen generell in Versalien geschrieben), Deutschlands größter Gummibärchenproduzent, erlaubte es dem Autor und dem Ullstein-Taschenbuch-Verlag freundlicherweise, den geschützten Produktnamen in den Titel des Buches aufzunehmen. (Auf den Seiten 90/91 erfährt man, daß der Bonbonkocher Hans Riegel aus Bonn 1920 die Firma HARIBO gründete und 1922 die beliebten Bärchen erfand.) Ergänzt hat der Autor die Liste um Wörter, deren Ursprung älteren Semestern vielleicht noch geläufig ist, die aber vielen Jüngeren unbekannt sein dürften.

Die wissenschaftlich exakten Erläuterungen werden in gefälliger Art dargeboten - die einzelnen Stichwörter (alphabetisch geordnet) informieren den Sprachinteressierten nicht nur, sondern unterhalten ihn auf angenehme Weise. Oder wußten Sie, daß der Name Bikini für einen zweiteiligen Badeanzug wenig oder doch viel mit den Atombombenversuchen der Amerikaner über dem Bikini-Atoll auf den Marshall-Inseln im Pazifik zu tun hat? Oder wußten Sie, daß die Kaffee trinkende und sich über den Kaffeesatz ärgernde Sächsin Melitta Benz 1908 in Dresden den MELITTA-Filter und die dazu gehörende Filtertüte erfand?

Die Leser sind angehalten, alles, was ihnen gefällt oder nicht gefällt oder zu den einzelnen Stichwörtern noch einfällt, dem Autor Hartwig Lödige und dem Ullstein-Taschenbuch-Verlag mitzuteilen. So wird beim Stichwort ORWO der Name richtig erklärt (aus Original Wolfen), Filme werden aber heute dort nicht mehr hergestellt. Stichwort Draisine: Von einer generellen Abschaffung 1979 kann wohl nicht die Rede sein, gibt es doch schon seit vielen Jahren eine touristische Wiederbelebung auf der stillgelegten Eisenbahnstrecke von Fürstenberg (Havel) über Himmelpfort nach Templin. Beim Stichwort Rikscha als Symbol für unmenschliche Arbeit in Indien stimme ich dem Autor voll zu, aber müßte man die Fahrrad-Rikschas in Berlins Mitte nicht zumindestens erwähnen?

Das kleine Büchlein Ketchup, Jeans und Haribo. Die letzten Rätsel unserer Sprache von Hartwig Lödige ist allen Freunden der deutschen Sprache zu empfehlen. Neben dem Duden. Die deutsche Rechtschreibung und einbändigen Universallexika füllt es insbesondere bei der Erklärung von Produkt- und Firmennamen, Alltagsbegriffen und gängigen Fremdwörtern eine Lücke.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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