Analysen · Berichte · Gespräche · Essays


Friedemann Spicker

Über und über Aphorismen

Ganz beiderseits.
Ein Aphorismen-Essay


Was ist ein Aphorismus? Das ist eine große Frage über einen kleinen Gegenstand. Oder eine kleine Frage über einen großen Gegenstand? Ich bin Peter Altenbergs Korrektur jedenfalls immer noch dankbar: „,Herr Peter, ihre kleinen Sachen ... .` ,Sie meinen wohl meine kurzen Sachen ...`“. Für den Gegenstand also ist es allemal klar. Ob die Frage groß oder klein ist, sei dahingestellt (dahin, wo man schon so vieles in rhetorischer Verlegenheit hin- und abgestellt hat): sie ist jedenfalls von vielen gestellt und auf mehrerlei Art immer wieder neu beantwortet worden.

Einer zieht Wörter heraus und sucht ihre Mitte. Homunculus, Frühgeburt, Torso, Striptease, Einzelkämpfer, Hofnarr und Pfadfinder, Biene, Eule, Falke, Schwalbe, Holz, Kristall, Nagel, Faser, Stein, Scherbe, Span und Splitter, Scherenschnitt, Kleingeld und Scheidemünze, Musterkoffer und Mausefalle, Funkturm und Formel, Wegweiser und Glockenstab, Störsender und Waffenstillstand,

Schnaps und Statue, Eisberg und Blitz, Handschlag, Transparent, Insel, Florett, kandierte Frucht, unausgebrütetes Ei. Wie dies alles, so sind Aphorismen.

Der Aphorismus ist selbst Definition. Schließlich liegt in griech. aphorizein, lat. definitio, seine etymologische Wurzel. Aber welche Definition?! Wie kann man diese Art Abgrenzung von anderen abgrenzen? Schließlich wäre das nicht das erste Mal, daß die Etymologie böse auf den Holzweg führt.

Die Aphorismen über den Aphorismus können sich nicht am eigenen Schopf aus dem definitorischen Sumpf ziehen. Was haben sie bei diesen Versuchen nicht alles (zum Vergleich) mit heraus- und herangezogen? Das hat sie alles nur noch tiefer in die selbstbezügliche Falle versteckt. Da sind alle selbstverliebt und selbstverlogen. (Wann) sind sie selbst ein Aphorismus, wenn sie über den Aphorismus sprechen? Hier wartet manches Rätsel, aber keine Definition.

„Abgerissene, untereinander nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende Sätze, welche allgemein menschliche Wahrheiten enthalten“ (Meyers Konversationslexikon, 1894). „Den Hunger in den Kopf verlegen.“ Ein Satz? Eine allgemein menschliche Wahrheit? Dann nähmen wir also von dem Verfasser Elias Canetti als Aphoristiker Abschied?

Bleibt - dann doch lieber - nur die Wissenschaft: „Ein Aphorismus ist ein nichtfiktionaler Text in Prosa in einer Serie gleichartiger Texte, innerhalb dieser Serie aber jeweils von den Nachbartexten isoliert, also in der Reihenfolge ohne Sinnveränderung vertauschbar, zusätzlich in einem einzelnen Satz oder auch anderweitig in konziser Weise formuliert oder auch sprachlich pointiert oder auch sachlich pointiert“ (Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, 1997; Harald Fricke).

Was ist ein Aphorismus? Nach dem größten Fachlexikon, nach dem neuesten Stand: Das ist ein Aphorismus. - Das ist der vorläufig neueste Stand. Definitiv. Letztes Jahrhundert.

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Auf vielerlei Art also: immer wieder neu beantwortet. Vor allem aber: zu beantworten. Denn: Ein Aphorismus ist dies, ein Aphorismus ist jenes. All das mag richtig sein, all das stimmt nicht. Das war ein Aphorismus, das ist keiner. Der Aphorismus definiert sich, indem er da ist.

Wo kommt er her?

Der kommt von der Zeitung: Der moralische Fortschritt liegt in der virtuellen Sodomie.

Der von einem Schaufenster: Nackte Tatsache. - Oberhemd, Jacke oder Schal lassen sich nicht demütigen; aber Schale in der Peepshow?

Der kommt von einem Gesicht: Ein Problem, aufgeworfen wie diese Lippen, wäre lösbar?

Der kommt aus einem Gehör: „Die sind sechs Mark“: die Sprachsensibilität der Floristin. Der Preis als Sein.

Der kommt aus hilflosem Protest: Wir brauchen mehr Weniger.

Der aus kleinem Reiz: Blechreiz allerseiz. (Zur Unzeit IAA)

Und der aus großer Wut: Verlust: ein zu geringer Gewinn. Dies Denken der Verlust.

Der kommt aus einem Suffix: Die von wem gegebenen Heiten?

Der nur von einem Wort: Mögen sie die „Genossen“ auch überall sonst beibehalten, die Zeitgefährten.

Der kommt von der Literatur: Wer könnte sterben ohne den Trost der Steine?

Und der:
Der kommt aus klarer Projektion: Die Erfindung einer Krankenwaschmaschine ist geistesgeschichtlich irreparabel konsequent.

Der kommt aus Unklarheit: Mystik: das ist die abgrundgrüne Tiefe, die die Leselampe in das Chartreuse-Etikett hineinleuchtet.

Der kommt aus einem Paradoxen-Werk (wenn ich wüßte, wo es ist, wäre es nicht mehr da). Es ist nur mehr wenig, es ist nur mehr.

Der kommt aus Einbildung: Lese. - Zuerst fallen einzelne Buchstaben aus den Reihen und purzeln über den Rand des Buches hinunter, dann rutschen ganze Zeilen ab. Schließen, schnell, sonst wird es ein Blindband.

Der kommt aus uns: Ehe wir uns als Verlierer bekennen, verlieren wir lieber das letzte an Achtung.

Der kommt von sich selbst: Neben dem Teller beschriebene Blätter, Brosamen auf ihm. Beschriebene Brosamen.

Der kommt aus dem Traum: Homo homini lupus, Großmütterchen. (Rotkäppchen trägt eine Tarnkappe.)

Der aus dem Tagebuch: Im Traum über Fragmnese gestaunt.

Und der aus der Eisenbahn: Im Zuge der Bekenntnisse: Ich liebe meine Hoffnung, glaube ich.

Von diesem und von jenem weiß ich, woher er kommt.

Ich erlaß uns, ach, die beiden Seelen. Es gibt mich beiderseits. Zweimal? Der eine weiß alles und kann nichts. Der andre darf nichts wissen, wenn er was können will. Der eine wetzt sich mit glücklicher Regelmäßigkeit von acht bis fünf die Hosen durch. Dem anderen fällt schon mal was ein, wenn ihn der andere entläßt: An dem Buch hatte er drei Hosen durchgearbeitet, wie man zwischen den Fäden las.

Der kommt von dem andern, wie ich sehe: In der Manier der alten Lehrlinge: Wo ein Weg ist, da war auch ein Wille.

Keine Antwort, was er ist; zu viele Antworten, woher er kommt. Jeweilig Nuclei. Das heißt: auf jeden Fall zu wenige.

Zu Wenig gehört viel Zeit. Zu Etwas gehört viel Nichts. (Schon zu viel.)

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Von dem, der ein Gedicht erklärt, erwartet man kein Gedicht. Muß sich der rechtfertigen, der - wenn wir es als Nicht-Aphorismus definieren - mit vielen „im Zusammenhang stehenden Sätzen, welche keine allgemein menschlichen Wahrheiten enthalten“, einen Aphorismus erklärt?

Der mit vielen „im Zusammenhang stehenden - Sätzen, welche keine allgemein menschlichen Wahrheiten enthalten“, seinen Aphorismus erklärt: muß sich der rechtfertigen?

Der andere schreibt auf: Escher: Sowohl als entweder oder auch: Grammatik von der Art der Escherschen Gedankenbilder.

Er schreibt nieder: Eingeeschert. - Doch Narren sind wir alle vor der Zeit, sagte Shakespeare nirgendwo, und doch hat er recht.

Er schreibt auf und nieder und zerfällt: Eschers Treppen hinun und hinaufter.

Der eine geht dem anderen auf seine bewährte Weise nach: „Maurits Cornelis Escher, 1898-1972. Spielt in ,Gedankenbildern`, die meistens auf ausgeklügelten perspektivischen ,Fehlern` oder anderen technischen Kunstgriffen basieren, mit der Realität.“ Dann exzerpiert er den anderen; findet, wo der andere sucht:

Das Kind lernt: „Du mußt nicht alles nachmachen, was andere machen, mach es wie ich“, lernt das Kind.

Er kennt es auswendig, aber er liest es vor, weil er Angst hat, sich zu verlesen.

Du kannst das Öffnen nicht verbieten. Laß es zu!

Ich denke, es ist ein Gefühl, als ob sich der Kopf zu denken weigerte.

Wenn du mir's nicht wegnimmst, kannst du's haben.
Wachgelegen zu haben geträumt.

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Wir träumen, auf Integration bedacht, die selbstverfaßte Anthologie: Blütensplitter. Deutsche Aphorismen von Lichtenberg bis Benyoetz. Am Ende läuft die Forschung in ihren Gegenstand aus. Zu ihm über. Ein neuer Anfang.

Wir zitieren aus dem Kapitel: Karl Kraus: Wieder Sprüche pro domo. 1915:

Und er gedachte des Genitivs.

Beziehungsfehler. - Als er den Gedanken um die Ecke gebracht hatte, lebte er auf.

Es hilft nichts: der Zungenschlag ist zum Gehirnschlag zu verbesschlimmern.

Fürwahr! Nehmen! Bestätigte der Dieb in rechter Falschschreibung.

Und Sie leben davon? Nein, dafür!

Ohne Zweifel hat er alles bisher Übertroffene geboten. Aber im Zweifel war er, ob er damit alles Überbotene getroffen oder alles Getroffene überboten habe.

Ich will mich ja zufrieden stellen.

Wenn schon etwas geglaubt werden soll, was man nicht sieht, so würde ich immerhin den Wundern die Bazillen vorziehen.

Wie er sich müht, zu meinen, was er sagt!

Der Fortschritt ist eine Hure. Die Zuhälter wissen das. Und die anderen werden fortschreitend Freier.

Primitive Zeiten müssen das gewesen sein, in denen die bekleidete Gewalt nackt war!

Ich verstehe, daß ich das nicht begreife.

Flatus vocis: ein Bild, das vor innerer Wahrheit zum Himmel stinkt.

Nicht, wenn ich zuwenig geben muß, nicht um jeden Preis.

Lust allein in Druckerschmerze.

Schreiben, wie Magritte seine „Blankovollmacht“ gemalt hat. Nein: die Reiterin vor und hinter den Stämmen sein. Oder das Pferd? Oder der Raum zwischen den Stämmen?

Hat hier der andere geschrieben und der eine verfaßt?

*   *   *

Er liest die Zwischenräume: Sind das nicht zusammenhängende Aphorismen, was ich hier geschrieben habe? Hätten sie sich definiert, indem sie da sind? Können Sie uns vielleicht sagen, was das wird: Aphorismus?

Diaristisch handeln

Heute nacht schlief ich wie eine Zwei. Zur Erläuterung schicke ich gerne nach und weniger gerne meinen Abteilnachbarn vor: Er „schlief wie eine Eins“.

Er habe sich als Werkzeug gefühlt, führt der Doppelmörder zur Erläuterung an. Er weiß, wovon er spricht: Er ist Werkzeugmacher.

„Verträglich, aber nicht langweilig. Wenn WG, dann Uwe.“ Die Konjunktion als Menschenbild.

Reiseandenken: das Biowetter, die umweltfreundliche Tankstelle, die freie Haargestalterin. - Der Moralist von vorgestern hinge den Reflexionsseufzer an, daß Heuchelei, Lüge und Hochstapelei die Sprachentwicklung bestimmen. Der Karikaturist von gestern hinge den Verwandlungen an, dem umweltfreundlichen Wetter, der freien Tankstelle, dem Bio-Friseur. Der Minimalist von heute hängt an keinem „Ach!“

„Lyrik in Archiven zweier Universitäten“, empfiehlt er sich mit eindrucksvoller Verzweiflung.

„Das Buch ist schon ziemlich alt, 1972.“ Die Bibliothekarin ist ziemlich jung.

Aus Verzweiflung darüber, jetzt essen müssen zu können, keinen Bissen herunterbringen.

Über sein Aussehen erschrak er, als er die Leute ihn ansehen sah.

Du fühlst dich gedroschen und ganz Spreu. Aber ihn fühlst du ganz Spreu und nicht einmal gedroschen. Und das soll dir ein Körnchen sein?

Wer wäre geeignet, die Geschichte dieser Parkbucht zu schreiben?

Sie suchen eine Aufgabe; er sucht das Motiv der Suche.

Er sagte es so, daß man nicht meinte, er meine, was er sage. Wenn man es doch nur gut mit ihm meinte!

Ein Satz, an dem ich n o c h zehre.

Lesen wie leben. Einfach am Ende eine beliebige, nicht zu kleine Anzahl weißer Blätter hinzubinden. Sehen wir einmal zu!

Gefangen, mein Lieber. Wenn auch in Scherzhaft.

Sie trifft dich, wo du sie auch triffst: deine Entscheidung. (Und noch, wo du sie nicht zu treffen meintest, hat sie dich getroffen.)

Verzweifelt immer mit dem Pazifismus liebäugeln. Aber immer in den Papierkrieg ziehen.

Ein Sparbuch schreiben. Ein Telefonbuch schweigen.

Im Traum über Fragmnese gestaunt

Wenn Bildbände Geräusche, und wenn sie Gerüchte abbilden könnten.

Und wenn man mit dem Lesen die Zeichen löschte? Erstaunlicherweise nicht nur trostlos.

Die Mühe auf dem Weg zum Gipfel im Bewußtsein, unterhalb zu sein. Auf dem Gipfel das Bewußtsein, es wird abwärts gehen.

Die Wahl der Qual.

Der Dachziegel. Tragisch, wenn er dir vor die Füße, komisch, wenn er dir auf den Kopf fällt. Nein? Dann ist Hebbels Klara komisch und Kevin in New York tragisch.

Schelte ihn nicht, behalte den Spiegel als Hoffnung. Du bist dein Zerrbild.

Vor der Flucht auf der Hut. - Was nehmen wir mit auf unserer Flucht ins Unverbindliche? Was braucht man da? Einen fragen, der von da kommt? Was bleibt?

Ich bin geschlagen. Spräche das Kreuzzeichen.

Wie da einer von unten auf die Höhe der Zeit heruntersieht!

Wenn man sie in ihren Kronen beginnen läßt, wachsen die Bäume in den Himmel.

Wer könnte sterben ohne den Trost der Steine?

Schlaf Traum Schrei. Wohnen Dämmern Lügen. Körper Fieber Räuber, hecheln die GermanistInnen hinterher. Schlaf Dämmern Fieber.

Glauben wir an die Aufklärung!

In den 70ern: „Die Lösung liegt in den Paradoxen.“ In den 90ern läge sie da, in Gesellschaft der Lichtenbergschen Kartoffeln. Coniunctivus absolutus.

Sie ist ein guter Gedanke, sagt der Sinnenmensch bei Gelegenheit. Und erklärend zum Nebenmann, versonnen zitierend: „Ein guter Gedanke hat fast nichts an.“

Dann bequemen wir das bißchen Wirklichkeit eben der Literatur an.

Es ist zum Totlesen.

Wovon man nicht schweigen kann, davon muß man sprechen.

Gedankendämmerung.

Gibt es einen „führenden Schriftsteller“?

Einen Dieb stellen. So Schrift

In dem Maße, in dem das Fade durchdringender und undurchdringlicher zugleich wird, wird mehr und immer mehr „spannend“. Nicht einmal das ist spannend. Wenn auch nicht fade.

Er hatte keinen Grund, heimisch zu werden.

Im Amt; aber in Würden? Hat das nicht einer in Amt und Würden lanciert?

Er hatte keine (Satz-)Bildung.

Kleine wachsende Tragik: „Ist das richtig?“ Die Frage ist falsch, also alles.

Einen Einbildungskraftraum würde ich wohl regelmäßig aufsuchen.

Da hat den Deutschen aber auch der Teufel in die Semantik gespuckt, wenn er ihnen „wahrnehmen“ und „für wahr nehmen“ zu verwechseln zwingend anbietet.

Ich ertaste die „in ihn gesetzte“ Erwartung. Inkorporation. Implantation. Insemination.

Verändern zu Veränderung wie zu zeiten Zeitung.

Die Existenz des Beistrichs. - Dieser stellt sich denkend, jener stellt sich, denkend.

Der Dimininutiv verniedlicht die Sexualität der „Männlein und Weiblein“ bis zur Aussprechlichkeit.

Sind tiefe Wasser still?

„Angesichts des Todes.“ Da schau her!

Die Antwort und die Frage, die sie hervorruft.

Aufgemerkt. - Zugeredet. Zugehört. Zugefallen.

Eine mimetische Implosion, optimal konfiguriert.

Ein Versager, zweifellos. Über den reflexiven Anteil dabei blieb man im Ungewissen.

Das spricht nicht Bände, es schreibt sie. Und lesen mußt sie du.

Wie wir das Ganze zum Halben gemacht haben - aus Selbstschutz-Realismus: „Ich bin ganz zufrieden.“

Nur ein Mißverständnis mehr: man könne für das Belanglose nicht belangt werden.

Der Begriff „Buchwert“ bildet „keinen inhaltlich klar abgegrenzten Wertmaßstab“, belehre ich mich unnötigerweise.

Ist es eine Hoffnung, daß es Hoffnung gibt?

„Völlig einseitig“. Wird sich auch eine CD nicht zum Vorwurf machen lassen.

Wer weiß, vielleicht von Ludrigkeit ergriffen?

Polygame Sackgasse. - Er wurde mit der Zeit treu. Sie war es dagegen gleichfalls immer schon gelegentlich.

Er legte sein Sprachvermögen an.

Der freie Wille: gewollt werden.

„Bedacht besessen“: Nicht auszuschließen.
„Besessen bedacht“: Nicht auszudenken.

Nach dem Fall kommt erst recht Hochmut. Aus zwei Gründen: Er war seltenst schön. Und: Demut wäre anachronistisch.

Netzbeschmutzer, wortspiele ich prophylaktisch. Und bannbrechende Experimente? Um die Wortspielwiese ist Stacheldraht gelegt.

Eine Ausnahme machen; regelmäßig.
Eine Regel aufstellen; ausnahmsweise.

Immer noch geht er auf den Friedhof zu pflegen, auf dem seine Hoffnung begraben liegt.

Als aber seine Negation nicht mehr zu halten war, nahm er eine neue Position dazu ein.

Sein Thema war erschöpft, wie seine Hörer.

Analog heißt es digital, er sei sehr beklickt.

Et ego. Notbook.

Geschlechts- als Grenzverkehr.

Der Teufel wohnt im Detail. Als Untermieter Gottes. Oder etwa als Hausbesetzer?

Mehr Weniger

Von der permissiven zur immissiven Gesellschaft.

Daß man bezahlt für das Fehlen-von statt für das Haben-von: das hat die Zukunft für sich. Es fehlte unentgeltlich, bis es sich der mit allen dialektischen Wassern gewaschene Kapitalismus einverleibte. Wo ist Nicht-Lärm im Sonderangebot?

Tief ist der Brunnen der Gegenwart. Mein Seil mag hinreichen, aber das Eimerchen ist lächerlich.

Es hat keinen Sinn, vielleicht, aber es muß getan werden, sicher.

Ausverkauf. Gespannt auf die Montagszeitung, ob der Einzelhandel mit uns zufrieden ist.

Furchtbar! - Primitive Zeiten müssen das gewesen sein, in denen die bekleidete Gewalt nackt war!

Das Schämen kollektiv verlernt oder verdrängt. Wer sich also sich schämend zeigte, der müßte sich schämen.

Dürfen wir nicht die Geschichte befragen müssen?

Er lehnte sich gegen die Zustände der Umstände zurück.

Der Marsch durch die Resignationen institutionalisiert.

Freilich kannst du wählen: die Art der Zerstörung.

Die Mangelerkrankungen, die der Überfluß gebiert.

Klar ist dir, was du warst, selten, was du bist. Die klarsichtige Forderung kann nur heißen: sei immer gewesen.

Die potentiell (selbst-)beschädigende Provokation läßt sich heute doubeln. Haltungen werden mehr als Stunt vorgeführt.

Stumpfsinnige Messer.

Freiheit A: zwischen X und Y wählen zu können.
Freiheit B: diese Wahl unterlassen zu dürfen.
Freiheit C: diese Unterlassung als Unterlassungserlaubnis zu
ignorieren.

Ein zertröstetes Gesicht. Wer da mitmalen könnte!

Als Maske Antlitz.

Er war ästhetisch auf der Höhe. Derzeit.

Wie er sich müht, zu meinen, was er sagt!

Er hüllte sich in Lärmen.

Hat sie einen neuen User?

Er sitzt unter Frohsinn, aber steht unter Medikamenten.

Schlimmer noch: Er lebte nicht einmal seinen Abneigungen.

Er saß ihr Rede. Und Antwort?

Er war nicht in der Lage, in einer Lage zu sein. Worauf er allerdings bestand.

Klarer Fall. - Er hatte folglich im Kopf, was ihm auf der Zunge lag.

Er hatte allen ernstes die Wirklichkeitsregel für eine Spielregel gehalten. Nun war das Spiel für ihn aus.

Sie erinnerte sich, es vergessen zu haben, und fragte sich, wie darauf zu antworten sei.

Er erkundigte sich nach dem Befinden ihres Wellensittichs, bekam aber eine ausführliche Antwort.

Ratlos. - Er hat es erfolglos zurechtbestritten.

Er ist so konservativ, daß er immer noch seine progressiven Rollkragenpullover trägt.

„Im Moment ist keiner da“, verkündet sie in falscher Selbstbescheidenheit ins Telefon.

Etwas Neues über das Alte

Wer über das Neue neues sagen will, hat schon Stellung bezogen.

Es gibt keine neuen Methoden, aber es gibt neue Metaphern.

Alles Nichtzitierte ist neu. Und Zitieren schafft Neues.

Dem Neuen wird kurzer Alterungsprozeß gemacht.

Die Revolution wird auf dem Felde der Literatur naturgemäß metaphorisch vollzogen. Die Kinder, die sie nicht frißt, altern beiseite.

Das Neue kämpft, autoritär, gegen Autorität.

Bleiben will das Neue, selbst als das Alte.

Die Neueste Stimmung im Westen: Das Neue verendete hilflos in seinem Superlativ.

Neueste Ansichten einer künftigen Germanistik.

Selbst die neue Novelle ist alt. Unerhörterweise.

Der Aphorismus hat Spiel. (Setzen Sie ganz nach Ihrem Neuigkeitsverständnis zu den Spielen Beispiele (Neue Leiden. Neues Organon: Neue Herrlichkeit, Neue Sachlichkeit)!

Bibliographische Notiz:

Friedemann Spicker, geb. 1946. Dr. Phil. Freier wissenschaftlicher Schriftsteller. Veröffent-
lichungen u. a.: „Der Aphorismus. Begriff und Gattung von der Mitte des 19. Jahrhunderts
bis 1912“ (de Gruyter, 1997); „Aphorismen der Weltliteratur“ (Hg., Reclam 1999); „Studien zur Geschichte des deutschen Aphorismus im 20. Jahrhundert“ (Niemeyer 2000; im Druck). Als Aphoristiker kein unbeschriebenes, aber ein fast ungedrucktes Blatt; aphoristische Aufzeichnungen seit 1965. Lebt in Amsterdam und Köln.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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