Eine Rezension von Gerhard Keiderling


Eindimensionale Berlin-Krisen

Burghard Ciesla/Michael Lemke/Thomas Lindenberger (Hrsg.):
Sterben für Berlin?
Die Berliner Krisen 1948-1958.
Metropol Verlag, Berlin 2000, 272 S.


Der Band umfaßt zwölf Beiträge, die 1998 auf einer gleichnamigen Tagung vorgetragen worden waren. Dem Thema voll gerecht wird allein die Einführung von Peter Bender, weil er deutlich macht, daß es sich bei den Berliner Krisen von 1948/49 und 1958-1962 um Konfliktfälle von weltpolitischer Dimension handelte, in denen beide Seiten mit großem Risiko spielten. Sowohl 1948 als auch 1962 erwogen die Militärs den Einsatz von Gewaltmitteln, sogar von Atomwaffen; die US-Pläne sind bekannt, die sowjetischen werden es sicherlich auch noch werden. „Sterben für Berlin?“ war daher eine berechtigte Sorge der Öffentlichkeit. In den folgenden Beiträgen ist davon keine Rede. J. Laufer fragt, ob die Sowjetunion in die erste Krise „hineingeschlittert“ sei; eine schlüssige Antwort kann er nicht bieten. F.Zschaler „überrascht“ in seinem Beitrag zur Währungsfrage in Berlin 1948/49 mit der Feststellung, daß am Anfang der Spaltung Berlins eine währungspolitische Grundsatzentscheidung gestanden habe. P. Steege fragt, ob die vielen Lücken während der Abschnürung der Westsektoren überhaupt den Begriff „Blockade“ rechtfertigten und inwieweit das heutige Geschichtsbild noch immer vom „Blockademythos“ aus der Zeit des Kalten Krieges bestimmt wird; für den Kenner der Materie auch nichts Neues. In der 1948 in den Westsektoren gegründeten Freien Universität sieht P. Poutrus keinen Spaltungsakt, sondern eine Zufluchtstätte der von der SED-Hochschulpolitik Enttäuschten und Vertriebenen. Hingegen weckt der Beitrag „Der vergessene Sektor“ von D. Führe großes Interesse. Die Rolle der französischen Besatzungsmacht ist in der Berlin-Literatur lange unterbelichtet geblieben. Neben militärischer Präsenz und Versorgungsfragen wird das Verhalten während der Blockade betrachtet. Es bleiben aber noch viele Fragen offen, so die Einflußmöglichkeiten der Franzosen auf die anglo-amerikanische Berlin-Politik.

Die fünfziger Jahre sind im Band noch mehr (Ost-)Berliner Innenansichten. S. Heimann berichtet über die Verfolgung der Ostberliner Sozialdemokraten, I. Stoehr über die Spaltung der Frauenbewegung, K. Pence über Grenzgängerei und B. Ciesla über die Auswirkung der Spaltung auf den von der Deutschen Reichsbahn der DDR betriebenen Eisenbahnverkehr in und um Berlin. Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit der prekären DDR-Wirtschaftslage von 1960/61 (A. Steiner) und dem Anstieg der „Republikflucht“ (P. Major). Lediglich M. Lemke wendet sich der zweiten Berlin-Krise zu, verharrt aber auch auf der DDR-Ebene, wo er Divergenzen zwischen „sowjetischen Interessen und ostdeutschem Willen“ registriert.

Aus der Absicht der Herausgeber, „abseits von Legenden und festlichem Gedenken eine etwas andere Geschichte über Berlin zwischen 1948 und 1962 erzählen“ zu wollen, wird am Ende ein augenfällig „ostlastiges“ Bändchen. Wie hatte doch Peter Bender eingangs treffend formuliert: Berlin wie auch nach der Spaltung seine Halbstädte jeweils für sich genommen waren nach der Logik des Kalten Krieges Ursache von und Vorwand für Konflikte, also Ziel und Werkzeug in einem. „Wenn es West-Berlin nicht gäbe“, nannte Bender seinen scharfsinnigen Essay von 1987. Die Potsdamer Zeithistoriker-Gilde, die den vorliegenden Band verantwortete, wird sich gewiß auch dieser Fragestellung einmal annehmen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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