Eine Rezension von Reinhard Mocek


Faszinierender Mythos unterhaltsam eingefangen

Hagen Boßdorf/Beate Boßdorf:
100 Highlights Tour de France
Momentaufnahmen 1903-1998.
Mit exklusiven Vorworten von Eddy Merckx, Bernard Hinault und
Jan Ulrich.
SVB Sportverlag Berlin, Berlin 1999, 128 S.


Sport ist längst nicht mehr die „schönste Nebensache der Welt“, sondern Präsentation von wissenschafts- und technikgeprägter Körperlichkeit, laborüberprüfter Leistungsfähigkeit und bewegungsstereotyper Darstellungskultur mit nach wie vor hochdotiertem nationalem Repräsentationscharakter. Und damit ist er Politikum, Technikum und Ökonomikum zugleich - für viele schon Grund genug, um sich von den millionenschweren Akteuren der modernen Sportszene abzuwenden. Aber wer kann das schon durchhalten, zumal der Sport eben gerade durch das Ausloten der anthropologischen Grenzbereiche wohl nie seine Faszination verlieren wird. Und so steht die durch das Feuilleton der großen Presse vermittelte Einsicht, daß der Fußballabgott wie natürlich auch der Radsportprofi und all die anderen Hochleistungsstars längst unverzichtbare Bestandteile des High-Tech-Zeitalters geworden sind, neben der starrköpfig behaupteten Überzeugung, daß sich gerade im Sport noch all die guten alten menschlichen Tugenden, das Edle und Ritterliche der Menschnatur bewahren würde, das im übrigen Leben längst schon keine Chance mehr habe. Wer mag wohl recht haben? Die Autoren des reichbebilderten und flott geschriebenen Buches über die Geschichte der Tour de France werden von solchen Zweifeln nicht geplagt. Für sie und gewiß auch für ihre Leser (der feuilletonisierende Sportphilosoph ist eh nicht angezielt) ist der große Sport der radelnden Zunft eine faszinierende Summe von menschlicher Größe und menschlichem Leid, von himmelhoch jauchzen und zu Tode betrübt sein. Wer einmal mit der Lektüre begonnen hat, der - das möchte ich fast garantieren - legt dieses Buch nicht eher aus der Hand, bis er sich auch das letzte der hundert staunenswerten Ereignisse der Tour begierig eingesogen hat. Sport und - wie hier - Sportgeschichte ist eine Droge. Damit wäre ein scheußliches Reizwort zitiert, um das die Autoren allerdings keinen Bogen schlagen. Da der Report ausgerechnet mit dem Jahre 1998 endet, schließt auch das Buch mit der fatalen Dopingtour 1998; der Abschnitt ist überschrieben mit „Tour de Farce“. Haben die Deutschen mitgedopt? Solche Fragen werden süffisant ironisch abgehandelt, in diesem Falle mit dem Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen darf: „Die deutsche Telekom AG dankt ihren Fahrern mit dem Slogan: ,Saubere Leistung`“. Nun ja, was soll's - ein Weiterverfolgen dieser Thematik hätte aus dem Vorhaben ein ganz anderes Buch werden lassen. Und das hätten dann wohl andere gekauft.

Für den Sportstatistiker wie für den interessierten Fan gleichermaßen erfreulich ist der Anhang mit der Übersicht über sämtliche Fahrten seit 1903 (Länge, Anzahl der Etappen und Fahrer), den Etappenergebnissen (Plätze 1-3 der Einzelwertung und jeweilige Träger des Gelben Trikots) sowie den ersten 10 der Abschluß-Gesamtwertung. Die Bildauswahl - sämtlich schwarzweiß, dabei eine Vielzahl alter Aufnahmen - ist fern jeglicher Hochglanzmentalität. Und die Vorworte von Merckx, Hinault und Ulrich entheben die Verfasser von der Pflicht zu schreiben, daß es sich bei der Tour um das schwerste Radrennen der Welt handelt, um ein einzigartiges zudem und natürlich ein faszinierendes. Von Jan Ulrich erfahren wir, daß er sich 1989 noch ins Fernsehzimmer seiner Kinder- und Jugendsportschule schleichen mußte, um heimlich im Westfernsehen die Ankunft der letzten Etappe zu erleben. Aber das Radfahren hat er dann noch in dieser Schule gelernt. So liegt Gutes und Schlechtes oft beisammen.

Wer nach einem passenden Geschenk für seine sportbegeisterten Sprößlinge sucht, dem ist dieses preiswerte Buch unbedingt zu empfehlen. Und man möchte fast wetten, daß es dann bereits mit unübersehbaren Lesespuren auf den Geschenktisch kommt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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