Eine Rezension von Sabine Kaldemorgen


Ausbruch aus der Leere

Antonio Muñoz Molina:
Die Augen eines Mörders
Roman. Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2000, 478 S.


Verrät sich der Mörder durch seinen Blick? Spiegeln seine Augen Wesenszüge wie Gewalt, Eigenbrötlerei und Gefährlichkeit wider? Für Antonio Muñoz Molina bedeutet Schreiben „zu sehen ohne Unterlass und gefangen in den Blicken Anderer zu leben“. Sein neuer Roman handelt von der Wahrnehmung der Vergangenheit, nicht der jüngsten spanischen Geschichte wie in Beatus Ille (Rowohlt 1989), sondern der seiner Protagonisten. Die Handlung von Die Augen eines Mörders ist schnell erzählt. Der Inspektor streift ziellos durch die Stadt, um den Mörder der 9jährigen Fatima zu finden. Seine Intuition sagt ihm, daß er den Mörder an der Ausstrahlung seiner Augen erkennen wird. Der Täter schlägt ein zweites Mal zu, und dem Inspektor gelingt es, ihm eine Falle zu stellen.

Obwohl es um einen Mord und die Ergreifung des Täters geht, ist es keine Detektivgeschichte im angelsächsischen Sinne. Im Klappentext des Buches wird der Roman als „Seelenkrimi“ ankündigt, was den Kern der Handlung ganz gut trifft. Der Mord setzt zwar die Geschichte in Gang, die Aufklärung ist aber eher nebensächlich. Das Verbrechen dient dem Autor zum Aufzeigen menschlicher Schwächen und störrischer Positionen im menschlichen Miteinander. In Rückblenden und wechselnden Perspektiven erzählen der Inspektor, der Mörder und Susana Grey, die Lehrerin des ermordeten Mädchens, von ihren Lebenswegen. Nach eigenem Bekunden sind sie gescheiterte Existenzen, deren Wunsch nach Veränderung sich durch den gesamten Roman zieht. Nach und nach fügt sich in ihren Geschichten eine Kette von Indizien aneinander, die zu den Wurzeln ihrer permanenten Unzufriedenheit führt.

Der Mörder hält nicht seine Augen für sein auffälligstes Körperteil, sondern seine Hände. Sie offenbaren seinen Beruf als Fischhändler. Nicht er, sondern seine Hände bedrohen die Opfer mit dem Messer. Bevor sie anderen Leid zufügten, brachten sie ihn durch den aufdringlichen Geruch in die Isolation. Eltern und Nachbarn erkennen die Nöte des freundlich wirkenden Mannes genausowenig, wie der Inspektor die Ängste seiner Frau ernst nimmt. Er ist alles andere als ein sorgsamer Gatte und aufrichtiger Polizist. Er ist bestechlich, ignoriert die Morddrohungen gegen ihn im Baskenland, schiebt seine Versetzung in den Süden Spaniens immer wieder hinaus und macht seine Frau sehenden Auges zum nervlichen Wrack. Verfolger wie Verfolgter haben eine unsichtbare Schranke um sich errichtet, unüberbrückbar für die Gefühle anderer.

Der Mord an dem Kind bewirkt beim Inspektor, daß seine Schutzmauer langsam bröckelt. Er verliebt sich in die Lehrerin Susana, die ihrerseits in ihren Problemen gefangen ist. Sie erfüllt nicht die Maßstäbe ihres dogmatischen Ehemannes und des pubertären Sohnes. Ihr Schicksal ist es, von einen Tag auf den anderen verlassen zu werden. Antonio Muñoz Molina entwirft ein Mosaik dreier Personen, die an den Ansprüchen anderer gestrauchelt sind und die verschiedene Wege wählen, um aus der Leere auszubrechen: Öffnung, Flucht und Gewalt.

Der Inspektor und der Mörder werden nicht mit Namen eingeführt. Sie sind beide gleichermaßen Platzhalter für Opfer und Täter, x und y in einer Gleichung über den Zustand der heutigen Gesellschaft. Es gilt Erwartungen zu erfüllen und Klischees zu entsprechen. Die jeweilige Persönlichkeit bleibt dabei auf der Strecke. Die Augen eines Mörders ist eine Abrechnung mit denjenigen, die blind gegenüber ihren Nächsten sind.

Im Widerspruch zu den inneren Turbulenzen der Figuren steht der Ablauf der Ereignisse.

Die Erzählzeit ist unbestimmt, irgendwann, vor nicht allzu langer Zeit. Die Geschichte entwickelt sich mit der Ruhe und Gemächlichkeit, wie sie Kleinstädten eigen zu sein scheint.

Die Vergangenheit des Inspektors als Spitzel für das Franco-Regime, die Angst vor der Enttäuschung seines Lehrers, eines anarchistischen Jesuitenpaters, und der Terror im Baskenland werden in dezenten Tönen angeschlagen und bleiben der Phantasie des Lesers überlassen. Trotz des tragischen Höhepunktes endet der Roman mit einem Hoffnungsschimmer.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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