Eine Rezension von Waldtraut Lewin


„Und sie werden nicht wiederkommen.“

Heinrich Mann: In einer Familie
Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2000, 320 S.


Mit diesen o.g. Worten schließt der Autor, dreißig Jahre nach Erscheinen seines Erstlings, In einer Familie den fiktiven Brief an einen jungen Autor namens Heinrich Mann, dessen Werk er zwar noch einmal überarbeitet und herausgegeben hat, von dessen Wirkung er aber so wenig überzeugt war, daß er sich zu diesem Nachwort entschloß. Und er bekennt 1947 angesichts dieser Bearbeitung: „Hat nichts geholfen.“

Es ist verdienstvoll, daß Fischer im Rahmen der Gesamtausgabe sich dieses Buchs angenommen hat; verdienstvoll vor allem, weil es einen interessanten Einblick in die Befind-lichkeiten und Entwicklungstendenzen eines der wichtigsten Romanciers des vorigen Jahrhunderts gewährt.

Klaus Schröter, dessen kenntnisreiches Nachwort den Roman ins historische und biographische Umfeld genau einordnet, zitiert die Anmerkung des Bruders Thomas Mann aus der Laudatio, die dieser anläßlich des 60. Geburtstages des großen Bruders in der Berliner Akademie der Künste hielt: „... wie denn überhaupt deine konservative Periode in deiner Jugend lag.“

Dieser Debütroman erschien 1894, und er ist Paul Bourget gewidmet, einem der wichtigen Geister der französischen Moderne, Monarchist und Verfechter des Gedankens von der inaktiven Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Heinrich Mann, dessen Verhältnis zur Familie und der übermächtigen Vaterfigur des Senators und Großkaufmanns Thomas Johann Heinrich Mann (genau wie bei seinem Bruder Thomas) mehr als zwiespältig war, wirft sich dennoch mit der ganzen Unbedingtheit der Jugend in den Sog dieser Ideen - wie Schröter in seinem Nachwort denn auch sehr genau expliziert, so daß man nahezu alle „modischen“ Gedankentendenzen der Zeit hier wiederfindet, vom Mystizismus über den Soziodarwinismus, vom fatalistischen Schicksalsbegriff bis zur Neoromantik.

Was geschieht also in diesem Buch? So gut wie nichts. Die Handlung ist in drei Sätzen hergesagt: Labiler junger Mann heiratet reiche und geradlinig-moralische Tochter eines in Ästhetik dilettierenden Majors in Ruhe, der wiederum in zweiter Ehe eine junge Frau von schillernder Faszination geehelicht hat. Junger Mann verliebt sich in seine „Schwiegermutter“, sie haben ein leidenschaftliches Verhältnis. Schließlich sagt er sich von ihr los und kehrt in den Hafen der Ehe zurück, die völlig zerstörte andere stirbt an gebrochenem Herzen. Happy-End im Schoß der Familie - Nachwuchs in Sicht. Was sich über mehr als dreihundert Seiten abspielt, sind vor allem die inneren Vorgänge, die Reflexionen der Figuren, ihre Gedanken, Gefühle, Leiden, Schmerzen, Ekstasen, „psychologische Verknüpfungen“, Entzückungen, Wandlungen. Dämmrige Boudoirs, Wagner-Musik. Lampen, die hereingetragen werden (1894 gab es noch kein elektrisches Licht, von Autos ganz zu schweigen), Diener, die den „Thee“ servieren, Roben in Lila und geschmackvolle chinesische Vasen vor schön verzierten Mamorkaminen. Eine Welt von gestern, die sich selbst für unvergänglich hält.

Von Wellkamp, dem Helden des Romans, heißt es an einer Stelle: „Diese Patrizierfamilien schienen ihm Fürstenhäusern zu gleichen, so erhaben waren sie über die von Tag zu Tag stattfindenden sozialen Wandlungen. Auch konnte sie keiner der Vorwürfe treffen, welche gegen Kapital und Bürgertum geschleudert wurden.“ Die Meinung der Figur scheint in diesem Fall von der des Verfassers nicht weit entfernt zu sein - eine Meinung, die zu revidieren unter anderem die Größe und historische Bedeutung des Romanwerks von Heinrich Mann ausmacht. In der Statik dieser beschriebenen Welt, im völligen Fehlen gesellschaftlicher Prozesse, ja überhaupt des anderen Teils der Sozietät, im Fehlen von „denen da unten“ erstarrt Literatur in der Pose eines Bildes, unveränderlich, ewig unbeweglich.

Der hoch dahertönende Schwung der pathosgeladenen Sätze erinnert an die Salongemälde der Zeit: prunkvoll, selbstgefällig - und kitschig.

So, nun ist es heraus. Denn bei den Vorbildern und literarischen Parallelen, die Schröter in
seinem Nachwort in reichlicher Fülle aufzeigt, wird schamhaft eins ganz verschwiegen: die Nähe zur Trivialliteratur der Zeit. Diese Beschreibungen von Damenroben und -frisuren (mit eingesteckten Rosen, die sich, gemeinsam mit einer schimmernden Strähne, im entscheidenden Moment lösen und „hinabgleiten“) bis zu den krausen Interieurs im Mackart-Stil und der Zurschaustellung üppigen „Reichthums“, der nie fragen muß, woher's denn kommt, das alles erinnert fatal an die Werke der Damen Courths-Maler und Marlitt, ist der Welt von Agnes Günthers Die Heilige und ihr Narr viel verwandter als etwa Flaubert oder Fontane.

Was lehrt uns das? Die Beschreibung von Stagnation bringt keine Kunst hervor, Konservatismus kann nur bewahren, nicht bewegen.

Vor dem jungen Literaten Heinrich Mann lag ein steiler Weg. Wir wissen, wie grandios er ihn bewältigt hat - auch wenn es nach seinem Erstling kaum zu ahnen ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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