Eine Rezension von Henry Jonas


Langweile nie dein Publikum

Reinhard Lakomy:
Es war doch nicht das letzte Mal
Erinnerungen.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2000, 264 S.


Autobiographien sind in Mode (heißt es doch „Wer schreibt, der bleibt“), werden aber eigentlich erst im hohen Alter geschrieben, als Lebensrückblick, wenn die Öffentlichkeit sonst keine Leistungen mehr erwarten kann. Dafür ist Lakomy - als Komponist, Pianist und Sänger höchst populär - mit 54 Jahren noch zu jung, aber er hat einen guten Grund für die vorzeitigen Memoiren: Er will von einem Leben in der DDR erzählen, um gegenzuhalten. Gegenzuhalten gegen die Wessis, die den Ossis nun schon zehn Jahre erklären wollen, wie ihr Leben war. Er will sich zu Wort melden, weil sonst der Westen die DDR-Geschichte schreibt. „Wir sollten ihnen und auch uns selbst erzählen, wie es war. Wir sollten darauf bestehen, daß unser Leben seinen Wert und seinen Sinn gehabt hat.“

Und so berichtet er von seiner schwierigen Kindheit, den Problemen mit den Lehrern, seinem lebenslangen Hang zur Musik. Er beschreibt, wie er zum erstenmal zum Tanz aufgespielt hat, dem Jazz und dem Rock huldigte, wie er Günter Hörig, Klaus Lenz und Günther Fischer begegnete, dem Texter Fred Gertz und den Sänger(innen)n Wolf Biermann, Veronika Fischer, Manfred Krug und Angelika Mann. Wir erfahren, wie seine Hits „Es war doch nicht das erste Mal“ und „Heute bin ich allein“ entstanden und wie er heranreifte zum Komponisten der „Geschichtenlieder“, für die er bei jung und alt bekannt ist, die weder Schlager sind noch Pop, weder Chanson noch Rock, aber vielleicht tiefer und gründlicher, wahrhaftiger und aufrichtiger, wie wir wissen. Und Lakomy erzählt natürlich, wie er zum Pionier der elektronischen Musik wurde.

Ja, er kann wirklich verteufelt schreiben; treffende Formulierungen, die eine Person kurz umreißen oder eine Situation prägnant beschreiben, wachsen ihm scheinbar mühelos zu. Mancher rüde Ausdruck freilich wäre entbehrlich; was sich Kids und Teenes zurufen, das nimmt sich im gesetzten Alter und noch dazu auf Papier gedruckt nicht mehr so originell aus. Im übrigen scheint, was er festgehalten hat, durchaus ehrlich. So wahrheitsgemäß und unbeschönigt sogar, daß manche Illusionen platzen. Wenn als Motiv, Musik zu machen, genannt wird, Weiber flach zu legen, so mag man das kaum glauben oder als Koketterie abtun. Aber da steht tatsächlich: „Musizieren ist das subtilste aller Balzrituale des Tieres, das Mensch genannt wird.“

Und im Leben der von einem Auftritt zum nächsten tingelnden U-Musiker muß neben zahlreichen Frauen und Alkohol im Übermaß auch zerstörerischer Übermut eine Rolle gespielt haben, wenn seine Band, wie Lakomy berichtet, in den gängigen Hotels republikweit verrufen und gesperrt war. Auch stellt man sich die Unterschrift unter eine Biermann-Resolution meist als klug bedachte und weitreichende politische Entscheidung vor; hier aber wird die Zustimmung ohne Nachdenken schlaftrunken und restalkoholgesättigt durch die Hotelzimmertür erteilt, ohne daß der Wortlaut überhaupt bekannt ist.

Lakomys Leben war offenbar wild, kraus und bunt, bis ihm ein wohltätiger Mensch Zentrum, Richtung und Ziel gab. Gemeint ist Monika Ehrhardt, die nicht nur Lakomys Ehefrau und die Mutter seines Kindes wurde, sondern die ihm seit 1977 auch als Texterin und Librettistin schöpferische Partnerin ist und seine Interessen klug auf das jüngste Publikum lenkte, auf die Kinder. Für diese Beziehung findet auch der Autor, der andere sonst selten gelten läßt, warmherzige Worte. In dieser Frau hat er sich endlich selbst gefunden.

Eine Prise Selbstgerechtigkeit und Eitelkeit fehlt ihm natürlich nicht - das ist nur menschlich. Seine Erlebnisse in der DDR aber scheinen nur schwarz und trostlos, die Funktionäre sind fast alle geistlos und borniert, das Leben erscheint vergittert und wird reglementiert. Sicher ist das richtig, die Bitternis in den meisten Fällen durchaus berechtigt. Aber war da nicht noch mehr? War da nicht auch anderes noch, das es zu erinnern lohnt? War die DDR nicht kinderfreundlich, war sie nicht frei von Arbeits- und Obdachlosen, von Bettlern, professionellen Prostituierten und Drogentoten? Und war das künstlerische Leben dank Brecht und Felsenstein, Tübcke und Mattheuer, Konwitschny und Masur, Seghers und Christa Wolf, Palucca und Cremer, Adam und Schreier, Eisler und Dessau, Maetzig und Konrad Wolf, Weigel und Busch nicht vielgestaltig und welthaltig? Die Straßen waren sicher, die Kriminalität war sehr niedrig, alle Studenten erhielten Stipendien, und Nazi-Verbrechen standen unter Strafverfolgung. Ärztliche Betreuung, Medizin und Kuren waren kostenlos. Einiges muß dem Autor entfallen sein, oder er fand es nicht des Notierens wert. So kommt es, daß die resümierenden Sätze: „Ich empfinde alle meine Jahre hier im Osten als Wurzeln meiner kreativen Kraft. Gerade jetzt spüre ich das regelrecht mit Genugtuung“, als echte Überraschung wirken. Sie sind durch das Buch kaum gedeckt. Auch wenn Lakomy fortfährt: „Wir brauchen keine DDR-Nostalgie, aber wir sollten viele Dinge behalten aus einer Zeit, wo wir alle ein wenig aufeinander angewiesen waren“, klingt das etwas fremd aus dem Munde des Menschen, der sich weitgehend als Einzelkämpfer darstellt. Und welche Dinge wir seiner Ansicht nach behalten sollten, wird auch nicht recht klar.

Der Begegnung mit Robert Havemann schreibt Lakomy seine Erkenntnis zu, daß die Gesellschaftsform des Sozialismus ohne Alternative ist. „Ein hoffnungsvoller Sozialismusversuch ist, auch dank der anmaßenden lemurenhaften Rezeptbesitzer, gescheitert ... Aber alles ist in Bewegung, so wie es jetzt ist, bleibt es auch nicht.“ Nein, auch Lakomys Erfahrungen mit dem Westen, mit der BRD, waren bisher alles andere als gut. Auch hier Sarkasmus, Polemik und Wut, wenn er darauf zu sprechen kommt. Sicher ist das eine Eigenart echten Künstlertums: die ewige Unzufriedenheit mit dem Zustand der Welt, wie sie ist, und die Sehnsucht, es möchte sich etwas ändern, zum Besseren wenden. Das ist ein produktiver Zustand, sofern der Autor nicht vergißt, die Unzufriedenheit auch mal gegen sich selbst zu wenden.

Stoff zur intelligenten Auseinandersetzung bietet das Buch auf jeden Fall. Denn auch bei diesem Abstecher aus dem Reich der Noten ist Lakomy seiner Devise treu geblieben: „Langweile nie dein Publikum.“ Der Verlag hat den Text reich illustriert und rasch gedruckt, aber unglaublich flüchtig. Die Druck,- Satz- und Zeichenfehler sind Legion, und die Worttrennung findet dort statt, wo der Computer willkürlich verweilt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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