Eine Rezension von Helmut Hirsch


Gnädige Frau Gräfin - Sehr geehrter Herr

Hugo von Hofmannsthal/Christiane Gräfin Thun-Salm:
Briefwechsel
Mit Briefen von Hofmannsthal an Paul Graf Thun-Hohenstein.
Herausgegeben von Renate Moering.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1999, 384 S.


Kein dramatischer, kein aufregender Briefwechsel zwischen dem Dichter und der Gräfin. Wenn auch die Porträts der beiden auf dem Schutzumschlag anderes vermuten lassen. Der schöne, ernst blickende Mann und die verträumt, ein wenig sehnsüchtig in die Ferne schweifende Frau. Blicke, die dem Leser gelten. Eine Täuschung des Publikums. Denn sie war fünfzehn Jahre älter, doch hier erscheint sie eher als die jüngere von beiden.

Daß Hofmannsthal ein unerschöpflicher Briefeschreiber war, ist bekannt, all denen, die mit Hofmannsthal etwas anfangen können - literarisch. Das glaubte vermutlich auch die charmante Gräfin Thun-Salm, die Hofmannsthal vermutlich bei einer Aufführung im Wiener Burgtheater Anfang 1901 kennengelernt hatte. Denn sie schrieb poetische Texte, schickte ihm gar bald ein Gedicht über Grillparzer zu, das Hofmannsthal diplomatisch lobte. Denn ihm war am Gedankenaustausch mit der Gräfin gelegen, das drücken seine Briefe ganz unverstellt aus. Und sie mochte seinen Rat, liebte das Gespräch mit dem nicht ganz unbekannten Dichter. Die Gräfin, bemerkt die Herausgeberin dieses Bandes, „fühlte sich durch die Gespräche über Literatur in ihrer Identifikation als Schriftstellerin bestärkt“. Bei Hofmannsthal hingegen war die Lage etwas anders. Ihm blieb, was für einen gebürtigen Österreicher bis auf den heutigen Tag ein Manko erster Güte ist, „die Welt der Hocharistokratie verschlossen“. Doch im Gespräch, im Brief war er ihr und ihrer Gattung nahe, und sei es nur zum Besuch im Garten, zum „Frühstück“ bei ihr. Eine Teilnahme Hofmannsthals an den großen gesellschaftlichen oder familiären Ereignissen fand nicht statt. Doch verstand man sich in den Grenzen des Möglichen auch so.

Hofmannsthal, der zeitweilig heftig unter Depressionen und geistiger Vereinsamung litt, gesteht der Gräfin sogleich, daß diese Bedrückungen kein Salon zu lösen vermag, „sondern nur einzelne Menschen und die kleinen, ganz kleinen Gruppen, die um solche Menschen herum sich bilden. Das andere verstehe ich gar nicht. Der Wagner-Kreis ist mir ein Rätsel.“ In diesem letzten Punkt waren beider unterschiedlicher Auffassung. Nur wenige Tage später steht die Gräfin in Bayreuth „ganz unter dem Einfluß der großen Bayreuther Kunst“. Lange kann sie davon zehren. Was ihr in Bayreuth hingegen mißfällt, ist „der große Antagonismus gegen Österreich und alles Österreichische“. Bei den Preußen sieht sie Mitleid und Verachtung, aber auch „sehr viel Neid und das sichtliche Bestreben, den großen Zauber nicht zu empfinden, den unser gutes Österreich besitzt und ausübt“.

Auch Hofmannsthal scheint in diese Kerbe zu schlagen, wenn er ihr schreibt, daß „das eigentlich nicht auszusprechen ist, was uns Österreicher im tiefsten zusammenhält“. Von solchen Erörterungen der Welt-Zustände geht es schnell wieder hinüber zu den kleinen Nuancen des Alltags. Einmal befürchtet er, „ich hätte Sie enerviert durch zu viel Sprechen“, während ein andermal sie ganz unsicher ist, weil er „neulich einen so kritischen Blick auf meinen beklexten Schreibtisch geworfen“ haben könnte. Kleinkram ist auch ein Teil, und nicht der kleinste im Leben aller Leute. Erst ist alles klein, dann wird's sowieso rasch wieder wichtig. Hofmannsthal wurde Vater und berichtet der Gräfin, daß Mutter und Baby recht wohl seien: „Aber doch ist mit dem ganzen - besonders in einem kleinen Haushalt - recht viel undefinierbare Unruhe und Praeoccupation verbunden“, so daß er wieder nicht zur Arbeit an seinem „Traumstück“ kommen konnte.

Der Gedankenaustausch ist teilweise recht intensiv. Und die Gräfin zeigt Spürsinn für Figuren, für Beweggründe und eigensinnige Situationen. „Ihr Zuhören“, lobt Hofmannsthal, „bei einem Gespräch ist wie die Gegenwart eines stillen Feuers, das nicht flackert und nicht sprüht, und das man daran fühlt, wie aufgetaut und bis ins Innre erwärmt man selber worden ist.“ Ein schönes Zeugnis lebendiger, nicht ganz feuerloser platonischer Liebe und aktiver Verehrung.

Dieser Briefwechsel ist voll feiner Schwingungen. Die geringsten Dinge, von grobschlächtigen Menschen als Mumpitz abgetan, werden hier erörtert. Hofmannsthal freut sich über eine Einladung der Gräfin, jeder Tag ist ihm recht, doch „sollte sehr schlechtes Wetter sein, solches, daß man nicht spazierengehen kann, so würde ich abtelefonieren“. Erwägungen, Vorsichtsmaßnahmen, freudianische Ängste. So gut es geht, wird offener Ton geübt. Die Gräfin soll sich zum Stück „Elektra“ äußern, tut dies auch, lobt aber nicht rundheraus. Mancher Ausdruck ist ihr „zu derb oder zu stark“.

Nicht frei von Selbstquälerei ist manche Passage in den Briefen beider. Die Gräfin grübelt über einen Roman, der noch lange nicht fertig ist, „im Kopf wohl - aber nicht niedergeschrieben“. Eine melancholische Geschichte: „Die Heldin durchlebt ein trauriges Leben und wird sich dessen selbst nie bewußt.“

Außer von Literatur ist noch von Reisen, kleinen und größeren, die Rede. Im Januar ist das Zimmer für die fröstelnde Gräfin auch in Palermo noch zu kalt (1905), Capri findet sie ohne Blick in die Blaue Grotte ein scheußliches Eiland: „Die vielen Deutschen, die auf Capri leben, machen es nicht anmutig. Sie haben die Insel, seitdem Scheffel den Trompeter dort gedichtet hat, ganz mit Bier begossen.“

Hofmannsthal weiß hingegen aus Berlin folgendes zu berichten: Ein Stück von ihm („Das gerettete Venedig“) kam nicht gut an, doch der Direktor, der den Erfolg erwartet hatte, nimmt auch den Mißerfolg „kühl lächelnd, gewissermaßen historisch“ hin. Und in Berlin erfährt er 1905 etwas, das ihm in Wien nicht wahrscheinlich zu sein scheint: „Eine Presse, die einem nicht mitteilt, daß man kein Talent mehr hat oder nie eines gehabt hat, sondern die im Gengenteil sagt: jetzt muß man mehr und noch mehr erwarten.“

Später häufen sich im Briefwechsel kleine Mißverständnisse, die Gräfin hat zuviel mit ihrem schwerkranken Mann zu tun. Oft denkt er an Sie, sie tut es offensichtlich unter dem Schwall der familiären Ereignisse um so weniger. So fragt er sich, „ob Sie mir ganz zur Phantasiegestalt werden sollen“; sie hingegen, es bleibt eine Unsicherheit in den Beziehungen allemal, schreibt 1908: „Verzeihen Sie, daß ich so ausführlich geschrieben habe!“

Rundum eine vielstimmige Freundschaft, eine facettenreiche Korrespondenz, die Nähe und Ferne beschreibt und beschwört. Und der Herausgeberin Renate Moering ist löblich zu danken, daß Sie mit viel Feinarbeit in einem großen, sehr fein differenzierten Anmerkungsteil den Hintergrund aller Briefe beträchtlich aufgehellt hat. Der genießende Leser kann das Buch von der ersten bis zur letzten Seite lesen. Aber auch an den mehr literarhistorischen Leser ist hier gedacht. Ihm hilft das diffizil erarbeitete Personenregister von Fall zu Fall weiter.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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