Eine Rezension von Waldtraut Lewin


Verdienstvolle Wiederentdeckung

Viktor Auburtin: Sündenfälle
Feuilletons.
Herausgegeben von Heinz Knobloch.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2000, 380 S.


Gepriesen sei Heinz Knobloch, der nimmermüde und akribische Bewahrer und Sammler von Alt-Berlinischem, ob es sich nun um Grabsteine, Berliner Juden, Freundinnen der Rosa Luxemburg oder Feuilletonisten handelt. Er bescherte mir bereits 1979 die Bekanntschaft mit Viktor Auburtin, mittels des im Eulenspiegel-Verlag erschienenen Bändchens Bescheiden steht am Wegesrand ... Mir unvergeßlich, wie wir, mein Gefährte und ich, irgendwo unterwegs in einem miesen Hotelzimmer bei Dauerregen uns den Tag vergoldeten, indem wir uns gegenseitig unter schallendem Gelächter die pointierten Sottisen Auburtins vorlasen.

Nun, zwanzig Jahre später, hat sich diese Auslese geweitet zu üppigen 380 Seiten, und es wird nicht gespart mit Anmerkungen, Bibliographie und Biographie und einem schönen Essay des Herausgebers. Eine wahre Freude.

Wie Erich Polgar und Alfred Kerr gehört Viktor Auburtin zu den großen Berliner Feuilleto-
nisten des angehenden und nun vergangenen Jahrhunderts. Seine Arbeiten veröffentlichte er im „Berliner Tageblatt“, und es heißt, daß viele diese Zeitung nur seinetwegen lasen.

„Ein Feuilletonist“, so Auburtin selbst, „ist ein Mann, der sich mit vielen Sachen - nicht nur mit einer - beschäftigt, der kurz schreibt oder spricht und der ein verständliches Deutsch schreibt oder spricht. All das ist den Deutschen sehr verdächtig und wird deshalb mit dem unerfreulichen Fremdwort Feuilletonismus bezeichnet ...“

Dies nicht nur Erläuterung der Sache an sich, sondern gleichzeitig auch zur Illustration des Stils dieses Mannes, seine sanfte und elegante Bosheit, die gespielte Einfalt und poetische Eleganz seiner Sprache.

Man darf dies Buch nicht in einem Stück lesen wollen, es wäre, als wollte man einen alten edlen Wein aus Bierkrügen trinken. Drei, vier Piecen hintereinander, und dann Pause, damit man auch alles recht genießen kann. Da sind die vergnüglichen Alltagsbetrachtungen genauso wie die von Resignation überschatteten Fragen nach dem Sinn der Welt und den Regeln der Humanität, und auf einmal wird einem klar, was Journalismus sein kann und daß Medien etwas mit Ethik zu tun haben könnten ...

Wichtig und ergänzend, was man über die Lebensumstände dieses vergessenen Zeitgenossen unserer Großeltern erfährt: von seiner Verhaftung in Paris und seiner Internierung in einem französischen Lager während des Ersten Weltkriegs, von seiner verzweifelten weltbürgerlichen Liebe zu Europa und Europas großen, gefährdeten Werten bis zu seinem Tod in geistiger Umnachtung 1928, an der Schwelle zum Faschismus, dessen Heraufkommen er ahnte.

Knobloch, ich sage es noch einmal, sei gedankt dafür, daß er den Vergessenen wieder in unser Bewußtsein gerufen und bei chaotischer Quellenlage in nahezu kriminalistischer Arbeit Verschollenes ans Licht gebracht hat - bis hin zu einem Fotoporträt und der authentischen Unterschrift des großen Journalisten, Humanisten, Moralisten - und Lebemannes.

Schließen wir mit Auburtin selbst, mit seinem „Rat an den Schriftsteller“: „Schmieden sollst du dir selbst deine Worte, biegsame schwirrende Worte wie Stahlklingen, die züngelnd fest ins Herz der Dinge stoßen.“

Ach ja.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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