Eine Rezensionen von Willi Glaser


Prost, auf ein zweites!

Jürgen Roth: Bier! Das neue Lexikon
Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 1999, 316 S.


Nach dem 1997 im gleichen Verlag erschienenen Bier! Das Lexikon nun auch zwei Jahre später im „neuen Lexikon“ ein recht fragwürdiger Versuch, per zotenhafter Produktverunglimpfung Frohsinn ins Haus des mehr oder weniger geneigten Lesers zu bringen. Leider ist es nicht so, wie Reclam es eingangs verkündet (... „die letzten Geheimnisse werden gelüftet“), wohl aber werden „skrupellose Urteile gefällt“. Von der angekündigten „Bewertung des aktuellen Standes der Weltbiererzeugung“ ist man quantitativ wie qualitativ meilenweit entfernt.

Der Co-Autor des Vorgängerwerks, Michael Rudolf, trägt ein Grußwort bei, in dem Roth, der Freund von Weizen- und Lagerbier (weil diese Sortimentsanteile eben gerade „in“ sind), als Amateurverkoster symbolisch zur „heißersehnten“ Neuauflage beglückwünscht wird. Rudolf warnt ausdrücklich davor, daß auch nur ein Jota der neuerlichen Ergüsse von irgendeinem dahergelaufenen Deutschen Brauerbund bemängelt wird.

Das „Lexikon“ kann man als Schmunzelalmanach lesen. Als Wissenserweiterungsfundus finden sich leider (mit hoher Wahrscheinlichkeit wohl auch nicht beabsichtigt) keine Ansätze. Mit Bierernst jedenfalls ist das meiste, was einem per haarsträubender Qualitätsanalyse aufgetischt wird, weitgehend unverdaulich.

Reichlich Verständnis für Rothschen Humor müssen sicher solche Brauherrn aufbringen, die wie Alpirsbacher Klosterbräu davon Kunde erhalten, daß ihr „Spezial“ von der Lieblichkeit eines stillgelegten Hochofens, mithin also ausgedient und unnötig sei. Oder wenn die renommierte Veltins-Brauerei mit der Frage konfrontiert wird, ob es nicht besser wäre, statt deren Konfektionspils „von der Stange“ zu trinken, sich lieber ebenda aufzuknüpfen. Andere Lobpreisungen lesen sich so: „Berliner Bürgerbräu“ - „alles Kehricht“ oder „... das erschießungswürdige Brauhaus Oettingen“, wie auch „Ganzjährig Brechwochen bei DAB- Pilsner“.

Die Testergebnisse des Laientrinkers scheinen wohl in der Tat so zustande gekommen zu sein, wie es Rudolf sagt (eins zu eins als Herrengedeck konsumiert) ... oder wie J. R. es im Fall des Bamberger Dunkel dem wackeren Zecher empfiehlt: „Bei geschlossener Flasche und per Anblick verkosten!“

Von einer Reihe von Fehlinformationen ganz zu schweigen (z. B., wenn man erfährt, daß Bratislava Lager aus Tschechien stammt. Nun gut, Geographie ist nicht jedermanns Stärke), versteigt sich Roth unter „Islambiere“ zum Gipfel der Taktlosigkeit: „Koran als Präventivaspirin“.

Interessant ist auch der Umgang mit (scheinbarer) Konkurrenzliteratur. Das Vielleicht-Bierbuch aus dem Eichborn Verlag erfährt die wenig schmeichelhafte Wertung, „ein Sack freudloser Schrullen“ zu sein, und man nimmt erstaunt zur Kenntnis, daß „der Rotznasenton nervt“. Wo (bitte schön) liegt da der Unterschied zur vorliegenden Bier-Satire des „Schnitzelethnologen“ (Titel verliehen von Michael Rudolf)?

Übrigens wird auch dezent an der Vorgängerbuch-Tradition angeknüpft, beispielsweise in Sachen Ossi-Seitenhiebe. Das geschieht teils rücksichtsvoll versteckt, teils mit starkem Tobak. Den Meininger Brauern wird empfohlen, ihr „Sortiment zu entstalinisieren“, und die Brauerei Rostock muß sich „Rotzstocker Rübensoße“ gefallen lassen. Selbst eine längere Einlassung über „Zonenbiere“ schien wohl unvermeidbar.

Roth sieht sich „gedungenen Spinnern“ haushoch überlegen und ist anscheinend mehr als zufrieden, daß sein Werk nichts mit den von „Branchenpinseln diktierten Bierbüchern“ gemein hat.

Sieht man von der erneuten Irreführung durch die Genrebezeichnung „Lexikon“ ab, so kann man letztendlich doch resümierend notieren: „Spaß gehabt“. Der Leser kann sich bei der massenhaft unorthodoxen Aneinanderreihung von Gags und Bonmots oftmals nicht ein dezentes Grinsens verkneifen („Kein Mundefutter“, „Müllenniumbier“).

Ein sich über etwa fünfzig Seiten erstreckender Anhang bringt eine Wiederholung bereits erschienener Kurzschnurren. Verdacht auf Lückenfüllerei.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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