Eine Rezension von Ulrich Blankenfeld


Die größten Großen?

Edward Lucie-Smith:
Die großen Künstler des 20. Jahrhunderts
100 Lebensbeschreibungen.
Europa Verlag, München 1999, 352 S.


Der europäische Kontinent wird überschwemmt von den Publikationen des Kunsthistorikers Edward Lucie-Smith, der in Oxford lehrt. Der Mann trifft den Ton, der Fakten-, Fakten-Fakten-, Comedy-gebildeteten Gesellschaft. Lucie-Smith drischt nicht das leere Stroh der Kunsttheorie. Er ist keiner der stinklangweiligen Interpreten der Kunst, der sich zum Selbstgefallen räuspert. Lucie-Smith riskiert's, in seinen Künstler- und Kunstdarstellungen munter am Rande des Klatschs zu spazieren. Künstlergeschichten unterhalten den Historiker, und er unterhält mit den Geschichten, die wenig über Kunst und Künstler sagen. Entsprechend entspannt schaut Lucie-Smith zurück auf Die großen Künstler des 20. Jahrhunderts. Hundert müssen es sein! Sind es! „100 Lebensbeschreibungen“ mit hohem Unterhaltungswert. Nicht schlicht in alphabetischer Folge aneinandergereiht, von Josef Albers bis Andy Warhol, hält sich der Experte an die Reihenfolge der ereignisreichen Epochen und epochalen Ereignisse der Kunst des 20. Jahrhunderts. So bekommen auch weniger Eingeweihte sofort mit, daß die Kubisten vor den Futuristen da waren, der Dadaismus vor der Pop-Art und was die Verwandtschaft des einen mit dem anderen ausmachte. Die Mehrzahl der von Lucie-Smith geadelten Großen waren am Kunstgeschehen in Deutschland, Frankreich, Rußland, Amerika beteiligt. Kleinere Aktien hat die spanische, italienische, englische, skandinavische Szene. Weite Teile Europas sind in der Rückschau künstlerisches Niemandsland. In das ist auch die deutsch-deutsche Kunstlandschaft integriert. Tatsächlich kein Großer unter den ost- oder westdeutschen Künstlergrößen? Den gehätschelten John Heartfield wird wohl niemand der DDR-Kunst zuschlagen wollen. Bleibt nur noch Joseph Beuys! Dem hat Lucie-Smith im abschließenden 24. Kapitel „Der Künstler anstelle des Kunstwerks“ einen Platz eingeräumt. Mancher Großkotz der deutschen Kunstszene wird sich die Haare raufen - sofern noch vorhanden. Mancher wird sich schadenfroh auf die Schenkel klopfen. Wie auch immer, in hundert Jahren werden wir wissen, ob Edward Lucie-Smith den richtigen Griff getan hat. Bis dahin ist für Unterhaltung gesorgt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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