Eine Rezension von Eberhard Fromm


Wer ist prominent?

Gerald Grote/Michael Völkel/Karsten Weyerhausen:
Das Lexikon der prominenten Selbstmörder
Lexikon Imprint Verlag, Berlin 2000, 345 S.


Ein Lexikon ist ein Nachschlagewerk, das entweder über alle Wissensgebiete oder begrenzt über einen einzelnen Bereich umfassend und korrekt Auskunft erteilt. Beschränkt sich ein Lexikon auf nur ein Gebiet, bietet es also Spezialwissen an, erwartet der Nutzer besonders eindeutige Kriterien für die Auswahl. Leider befinden sich unter der gegenwärtigen Flut solcher „Fachlexika“ viele Arbeiten, die mehr eine willkürliche Zusammenstellung einzelner Begriffe liefern und so das gute alte Lexikon in Verruf geraten lassen.

Auch die Autoren der vorliegenden Sammlung konnten sich nicht eindeutig festlegen, was sie eigentlich sammeln wollten. Weder ihr Begriff vom Selbstmörder noch ihr Verständnis von prominent halten einer Überprüfung stand. Was im Anhang als „Kleines ABC des Selbstmordes“ angeboten wird, trägt wenig zur Klärung der Position der Autoren bei. Im knappen Vorwort wird zwar gesagt, daß man den Selbstmord weder glorifizieren noch verurteilen wolle. Aber wenn es heißt, daß die behandelten Personen oft nichts miteinander gemein hatten als die Art ihres Todes, dann kommt es zu einer fragwürdigen Gleichsetzung beispielsweise des Freitodes eines Seneca und dem Suizid eines Goebbels. Und wenn über die Hälfte der ausgewählten Personen aus dem Bereich des Films und des Schlagers o. ä. Musik stammen, wird auch die Wertung „prominent“ problematisch. Um Marilyn Monroe zur „bekanntesten Selbstmörderin der Welt“ zu machen, muß man schon eine recht enge (Medien-)Ansicht von prominent haben. Warum z. B. der ehemalige Kickbox-Weltmeister und Kriminelle Wieland Beust prominent ist und in das Lexikon gehört, der Tscheche Jan Palach oder der Pfarrer Oskar Brüsewitz mit ihren Selbstverbennungen nicht, ist wenig verständlich. Natürlich muß man den Autoren das Recht auf eine Auswahl zugestehen, aber eben deshalb müßten die Auswahlkriterien deutlich erkennbar sein.

Besonders problematisch erscheint die Aufnahme von Personen, bei denen der Freitod nicht endgültig geklärt ist. Es wäre wohl besser gewesen, auf Allende und Baader, Barschel und Diesel, Diogenes und Empedokles, Grams, Heß und andere zu verzichten, als mit Mutmaßungen zu argumentieren und mehr oder weniger offenzulassen, ob es sich nicht doch vielleicht um einen normalen Tod oder gar um Mord handelte. Bei Rudolf Heß wirkt diese Position besonders unangenehm. Überhaupt scheinen die Autoren eine Vorliebe für die „prominenten“ Selbstmörder des Nationalsozialismus zu haben: Goebbels, Göring, Himmler und Hitler werden besonders detailliert beschrieben. Nur noch Rex Gildo erhält soviel Platz wie diese Männer. Dabei sind diese Texte offensichtlich wenig durchdacht und widersprüchlich.

Die Autoren kündigen in ihrem Vorwort an, daß sie sich vor allem den Beweggründen für den Freitod der von ihnen behandelten Personen zuwenden wollen. Gerade das fehlt meist; oft wird nur die Tat oberflächlich beschrieben. Oberflächlich ist auch die Recherche zu den Lebensdaten. Bei vielen der Personen fehlen die konkreten Geburts- bzw. Todesdaten - eigentlich eine Minimalforderung an ein biographisches Lexikon.

Die im Anhang angeführten zehn Filme und zehn Bücher, in denen Selbstmord eine wichtige Rolle spielt, die größten Hits der prominenten Selbstmörder und 99 Selbstmord-Songs weisen darauf hin, was die Autoren offensichtlich am meisten an diesem Thema interessierte: der Freitod im Show-Geschäft.

Daß es zur Problematik des Freitods eine äußerst sachkundige Literatur gibt - man denke nur an den Klassiker von Durkheim, an die Überlegungen von Kierkegaard, Freud oder Dostojewski, aber auch an moderne Untersuchungen von Alvarez bis Haller/Lingg -, scheint außerhalb des Gesichtskreises der Autoren geblieben zu sein. Schade eigentlich, denn das Thema Freitod, behandelt als biographisches Lexikon, wäre es wert gewesen, ernsthafter abgearbeitet zu werden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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