Eine Rezension von Helmut E. Günter


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Im Westen nichts Neues ...

 

Hubertus Knabe: West-Arbeit des MfS
Das Zusammenspiel von „Aufklärung“ und „Abwehr“.
Ch. Links Verlag, Berlin 1999, 600 S.

ders: Die unterwanderte Republik
Stasi im Westen.
Propyläen Verlag, Berlin 1999, 592 S.

 

 

Jahrelang hat Dr. phil. Hubertus Knabe mit einem Forschungsauftrag in den Archiven der Gauck-Behörde gearbeitet. Dennoch ist es einigermaßen ungewöhnlich, daß ein Autor seine Forschungsergebnisse zum gleichen Thema in gleich zwei dickleibigen Bänden in unterschiedlichen Verlagen veröffentlicht. Bereits im Vorfeld gab es denn auch Streit um die Bücher, die sich inhaltlich allerdings kaum überschneiden und insgesamt wenig Sensationelles bieten. Dem Ch. Links Verlag fiel die wissenschaftlich reflektierende Darstellung als Band 18 seiner BStU-Reihe „Analysen und Dokumente“ zu. Ergänzend legte Knabe in einer der letzten größeren Propyläen-Ausgaben seine eher am Publikumsinteresse orientierte Arbeit zum Thema Stasi-Unterwanderung im Westen vor. Der traditionsreiche Propyläen Verlag wird - mit stark reduziertem Programm - künftig nicht mehr als selbständiges Label des Berliner Ullstein-Hauses (von dem ohnehin nur ein beklagenswerter Rest mit schmalem Programm in der Hauptstadt bleibt) sondern als Taschenbuchreihe bei Econ/Ullstein/List in München fungieren.

Bei den beiden nahezu zeitgleichen Veröffentlichungen zur Westarbeit der Stasi fällt natürlich die scheinbare Materialfülle auf. Ein Eindruck, der sich allerdings bei dem Links-Band schnell reduziert. Den knapp 300 Seiten Text von Knabe und acht weiteren Autoren und Autorinnen - von denen wiederum ein Fünftel ausschließlich methodische Probleme, den gegenwärtigen Forschungsstand und die dank der beiden letzten DDR-Regierungen (und westlicher Einflußnahme?) drastisch reduzierte Quellenlage reflektieren - stehen 21 vollständig veröffentlichte Dokumente gegenüber, die alleine die Hälfte des Bandes ausmachen und vom „Bericht über die Erfüllung der politisch-operativen Verpflichtungen der II. Etappe der Vorbereitung des 20. Jahrestages der Deutschen Demokratischen Republik, 18. März 1969“, bis zu einer 37seitigen Liste der Zielobjekte der HVA reichen. Als publizistische Ausbeute bleiben neben der sehr knappen „vorläufigen Bilanz“ nur die beiden Kapitel „Zur Bedeutung der West-Arbeit im MfS“ und „Zur West-Arbeit ausgewählter Diensteinheiten“, denen der fachkundig am Thema Interessierte wenig Neues entnehmen kann. Das plötzlich, wenn auch keineswegs gänzlich unerwartet so aktuell gewordene Thema der Abhörprotokolle streift Andreas Schmidt in seinem Beitrag über die „Aufklärung“ des Funkverkehrs und der Telefongespräche in Westdeutschland, der sich jedoch im wesentlichen mit den technischen und personellen Voraussetzungen beim MfS beschäftigt und die Aufgabenfelder auflistet. Immerhin waren im Jahre 1988 in der dafür verantwortlichen Hauptabteilung III 2 848 Tschekisten mit dem Abhören von u. a. 30 000 bis 40 000 Telefonanschlüssen in der Bundesrepublik beschäftigt.

Die unterwanderte Republik bietet wesentlich detailliertere Einblicke in die Instrumentalisierung, die gezielte Unterwanderung und Durchdringung der westdeutschen Parteien und Organisationen und die daraus resultierende politische Einflußnahme. Ob Bundestag, Studenten- und Friedensbewegung, Kirche, Wissenschaft und Wirtschaft - die HVA war überall dabei, wie jedermann seit den frühen neunziger Jahren weiß. Auch hier handelt es sich nur um ausgewählte, sicherlich exemplarische Themenkreise und Affären, die im Einzelfall zwar erschreckende Beispiele von böswilligen Kampagnen, Bestechungen und sogar Verfolgungen bieten, die gesamte West-Arbeit der Stasi (und eng damit verzahnt der SED) jedoch nur partiell und mit großen chronologischen Lücken abbilden. Obwohl das Personenregister wesentlich umfangreicher ist als bei der West-Arbeit des MfS, wird man vergeblich nach der direkten Abhängigkeit vieler Personen und Publikationsorgane in der BRD vom östlichen Nachbarn suchen; ausgeklammert bleibt beispielsweise auch das weite Feld des Kalten Krieges im Äther.

Fazit: Selbst wenn man beide Bände intensiv studiert, kann man nur eine sehr ungefähre Vorstellung von der wahren Dimension ideologisch begründeter Einflußnahme von Ost nach West in vier Jahrzehnten gewinnen. Vielleicht wäre weniger, sprich: Konzentration auf eine stringente Geschichte der West-Arbeit des MfS, mehr gewesen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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