Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold


Analyse und Warnung

Chalmers Johnson: Ein Imperium verfällt
Wann endet das Amerikanische Jahrhundert?
Aus dem Amerikanischen von Thomas Pfeiffer und Renate Weitbrecht.

Karl Blessing Verlag, München 2000, 320 S.

 

Die bei Metropolitan, New York, verlegte Originalausgabe hat den Titel Blowback: The Costs of the American Empire. Ein Erscheinungsdatum ist nicht angegeben, es dürfte sich um das zweite Halbjahr 1999 handeln. Blowback bedeutet Rückstoß und ist in den USA ein von der CIA geprägter Begriff, der auf die unbeabsichtigten Folgen amerikanischer Politik abzielt. Im Deutschen könnte man salopp sagen: Uncle Sam betreibt eine äußerst kostspielige, rücksichtslose, imperialistische Politik - hoffentlich kann er das Echo vertragen!

Johnson meint, sein Land könne auf Dauer weder die Kosten aufbringen und verantworten noch die Reaktionen auf seine weltweite Machtpolitik abblocken und aushalten. Der Autor, Jahrgang 1931, ist sachkundig. Er hat während drei Jahrzehnten bis 1992 Politikwissenschaften an der Universität von Kalifornien in Berkeley gelehrt, ist durch zahlreiche Publikationen ausgewiesen und leitet inzwischen ein spezialisiertes Forschungsinstitut (Japan Policy Research Institute).

Die vorgelegte Analyse der Außen- und Militärpolitik der USA ist schonungslos. Die damit verbundene Warnung ist begründet und ernst zu nehmen. „Auf lange Sicht ist die amerikanische Bevölkerung weder militaristisch noch wohlhabend genug, die ständigen Polizeiaktionen, Kriege und finanziellen Rettungsmanöver hinzunehmen, welche die Fortsetzung der hegemonialen Politik Washingtons nach sich ziehen muß.“

Bereits heute „sind die Vereinigten Staaten außerstande, die Kosten ihrer globalen militärischen Präsenz und ihrer Kriseninterventionen alleine zu tragen, und fordern von den ,Gastländern‘ ein immer höheres Maß an Unterstützung oder sogar direkte Subventionen von ihren ,Alliierten‘“. So wurde allein Japan für den Krieg am Persischen Golf, das Unternehmen Wüstensturm, mit 13 Milliarden Dollar zur Kasse gebeten (der Autor hätte auch die von der Bundesrepublik Deutschland gezahlten Milliarden nennen können).

Das US-Militär, stellt Johnson in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Autoren fest, „ist auf dem besten Wege, sich in ein autonomes System zu verwandeln“. Das riesige militärische Establishment ist ein Instrument, „ohne das sich das amerikanische Imperium nicht aufrechterhalten läßt“. Und: „Gewöhnt an das Leben in einem mittlerweile ein halbes Jahrhundert alten, fest im Sattel sitzenden Imperium, hat das Militär angefangen, seine eigenen Interessen höher zu bewerten als das alte Ideal, da es nur eines von mehreren Mitteln ist, welcher sich eine demokratische Regierung zur Umsetzung ihrer Politik bedienen kann.“

Der Begriff Rückstoß bringe auf einen Nenner, daß ein Land eben das erntet, was es ausgesät hat, warnt der Autor, und zwar sowohl mit Hinweis auf den internationalen Terrorismus als auch auf die unmittelbaren Kosten des Imperiums, die „seinen Fortbestand am akutesten gefährden“. Imperien, schlußfolgert er, „sind kostspielige Gebilde, und je länger sie existieren, um so teurer wird ihre Aufrechterhaltung“. Fazit: „Das Imperium selbst ist das Problem.“

Zwar holzschnittartig verknappt, doch diskussionswürdig, ja sogar überzeugend, jedenfalls eine haltbare Hypothese ist der Vergleich UdSSR/USA. Johnson bezeichnet die politische Instinktlosigkeit der sowjetischen Machthaber vor Gorbatschow als eine der Ursachen für den Zusammenbruch der UdSSR, nennt in diesem Zusammenhang aber auch die wirtschaftliche Überforderung durch das Wettrüsten als einen wesentlichen Faktor. Da die USA sich in ähnlicher Weise egoistisch und skrupellos in die Politik ihrer Satellitenstaaten einmischen, so Johnson, werde die einzig verbliebene Supermacht dasselbe Schicksal erleiden und untergehen.

Man hat in den neunziger Jahren keine vergleichbar zugespitzte und zugleich begründete Kritik der US-Großmachtpolitik von einem Wissenschaftler aus dem eigenen Lande gelesen, wie sie Johnson in den zehn Kapiteln dieses Buches vorbringt. Es mag sein, daß dabei die Pazifik-Anrainer ein etwas zu großes Gewicht haben, Ostasien sogar im Blickpunkt der Betrachtung steht, während Westeuropa keine seiner Bedeutung entsprechende Rolle spielt. Eine gewisse Kopflastigkeit der Untersuchungen erklärt sich wohl aus Johnsons Forschungstätigkeit zu Ostasien, aber er hätte gut daran getan, in seine Beweisführung Mittel- und Südamerika stark einzubeziehen, weil auch dort der US-Imperialismus (diesen Begriff verwendet Johnson ständig) in Reinkultur zu beobachten ist.

In seinen locker geschriebenen autobiographischen Notizen wird Johnsons Fähigkeit zu Selbstkritik und einer angenehmen Selbstironie deutlich. In diesem Vorwort gibt er - auch hier durch eigenen Augenschein sachkundig - eine interessante Einschätzung der Entwicklung Chinas unter Mao und speziell der Kulturrevolution, Chinas „brutalstem Regime seit Beginn des 20. Jahrhunderts“, die „bald stark an Stalins brutale Säuberungspolitik der späten dreißiger Jahre“ erinnerte und „zu einem Schauspiel des Schreckens ausgeartet war“. Für den deutschen Leser, speziell den aus der DDR stammenden, wird unter anderem aufschlußreich sein, wie Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre auch in der Öffentlichkeit der USA die tatsächlichen Vorgänge in China weitgehend nicht wahrgenommen, sondern von Schwärmerei für ein Land verdeckt wurden, das man zu sehen glaubte. Man hatte sich in den USA ein ähnlich unrealistisches, unkritisches, geschöntes Bild vom damaligen China gemacht wie in der DDR, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Ebenso originell erscheinen die einleitenden Bemerkungen, mit denen Johnson den Aufstieg Japans zur modernen - er sagt sogar zur modernsten - Industrienation kommentiert. Allerdings können wir ihm aus prinzipiellen theoretischen Erwägungen nicht folgen, wenn er Japan „als einziges Beispiel eines erfolgreichen Sozialismus“ bezeichnet: „Eine Ministerialbürokratie lenkt die Wirtschaft und setzt soziale Ziele“ - solche Vereinfachung läßt sich aus Tradition und Wirklichkeit der japanischen Ökonomie wie der gesamten Gesellschaft nicht ableiten.

Bedenklich ist ebenso die Überschätzung des Ministeriums für Internationalen Handel und Industrie (MITI) als eine Art „Urheber des Wirtschaftswunders“. Johnson ist sich dieser These wohl nicht ganz sicher, relativiert sie dann auch.

Schon eher zu akzeptieren ist der allgemein gehaltene Vergleich, wonach der gewaltige bürokratische Staatsapparat „die japanische Wirtschaft in ganz ähnlicher Weise unterstützte und lenkte wie das amerikanische Verteidigungsministerium den ,militärisch-industriellen Komplex‘ in den Vereinigten Staaten“. Hier hätte sich ebenso ein Blick auf die wichtige Rolle der Handelskammern in den USA und in Japan angeboten, die dort keineswegs weniger bedeutend sind wie MITI, zumal die Handelskammern viel stärker regional wirksam werden. Nicht zuletzt vermißt man, wenn schon auf Nippon eingegangen wird, nähere Ausführungen zu einem besonderen Phänomen: „die Eliten, die das Land regierten“ und es auch heute regieren (und sich dabei ausländischem Einfluß weitgehend entziehen). Aber es wäre wohl zuviel verlangt, wollte man ein Buch mit komplizierten Details über das komplizierte Japan erwarten, da Johnson in der Hauptsache die fehlgeleitete Außen- und Militärpolitik der USA analysiert.

Das Buch steht durchaus im Kontrast zum Tenor eines Lobliedes auf die USA, vor allem auf seine Wirtschaft und deren Überlegenheit über den Rest der Welt, wie es von Lester Thurow zu lesen war: Die Reichtumspyramide (Harper Collins, New York 1999, deutsch bei Metropolitan, Regensburg 1999, siehe LeseZeichen 1/2000). Auch als notwendiges Korrektiv einer verbreiteten euphorischen Sicht auf die USA sollte man Johnsons kritische Einschätzung des großen Verbündeten, heimlichen Vorbilds und unheimlichen Schulmeisters bundesdeutscher Politik der vergangenen fünfeinhalb Jahrzehnte gelesen haben. Nicht zuletzt, um zu begreifen, daß eine Distanzierung von der US-Globalpolitik sehr wohl im Interesse einer deutschen Bevölkerungsmehrheit ist und eine der Möglichkeiten sein kann, Washington einen heilsamen Rückstoß beizubringen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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