Eine Rezension von Helmut Eikermann


Alles wie gehabt?

Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht 1975-1995
Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts.

Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 496 S.

 

Auch der zweite Teil der Erinnerungen des engagierten Anwalts Heinrich Hannover ist ein Nachschlagewerk zur Geschichte der politischen Justiz in der BRD und sagt nicht weniger über den tatsächlichen Zustand ebendieser Justiz aus als der erste (s. LeseZeichen 6/99). Zweiundzwanzig Fälle aus seiner Praxis hat Hannover diesmal ausgewählt; die Terroristenhatz der siebziger Jahre und ihre Folgen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Man hatte schon beinahe vergessen, daß 1978 damit im Zusammenhang ausgerechnet der RAF-Verteidiger und heutige Innenminister Schily wegen Verleumdung und Beleidigung eines Polizeibeamten vor dem Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt stand und erst sechs Jahre später in der neuerlichen Berufung vor dem Landgericht endgültig freigesprochen wurde - nicht zuletzt dank Hannovers brillanter Verteidigung.

Hannover, der übrigens auch Kinderbücher geschrieben hat, berichtet über seine Fälle in einer für den juristischen Laien gut verständlichen, lakonischen Sprache, die einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Und gelegentlich kann einem schon das Gruseln kommen angesichts der im Rechtsstaat möglichen Justizpraktiken und -schikanen. Gilt etwa immer noch Adolf Glaßbrenners Feststellung: „Gerechtigkeit ist ein schön Ding. Aber es gibt auch Justiz“? Die ZEIT sieht es in ihrer Rezension etwas milder: „Dieser Rechtsstaat, auf den man sich immer gern beruft, leidet gelegentlich unter Gleichgewichtsstörungen ...“

Genau dagegen kämpfte Hannover an. Das Spektrum seiner anwaltlichen Tätigkeit reichte vom Widerstand gegen die dubiosen Praktiken der Verfassungsschützer über den „normalen“ Mordprozeß, Nazi-Euthanasie, Thälmann-Mord und die nach wie vor verweigerte Rehabilitierung Carl von Ossietzkys bis zum Wahlfälscher-Prozeß gegen Modrow. Exemplarisch der Fall 20: Aufforderung zur Fahnenflucht. Die Grünen und der Golfkrieg (1991-1993). „Laßt euch nicht als Kanonenfutter für einen Krieg am Golf oder anderswo einplanen!“ hieß es auf den Flugblättern der Grünen. Das war 1991. Ob der grüne Außenminister wenigstens einmal an diesen Satz gedacht hat, als seine Partei vor einem Jahr dem Einsatz der Bundeswehr im Kosovo zustimmte? „Die wenigen, die widersprachen“, resümiert Heinrich Hannover, „... werden mit dem Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit bedroht und wie Landesverräter ausgegrenzt. Alles wie gehabt. In Deutschland wird mal wieder an der Zeitmaschine gedreht. Ein Carl von Ossietzky stünde auch in der Berliner Republik auf verlorenem Posten.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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