Eine Rezension von Gudrun Schmidt


Verschwundene Orte

Cornelia Carstens/Stefanie Höver/Stephanie von Ow/
Heike Stange/Rita Wolters (Hrsg.):
Frauen an der Spree
Ein Spaziergang durch die Geschichte.

be.bra verlag, Berlin 1999, 128 S.

 

Die Umschlagseite zeigt eine Frau am Steuer eines Spreekahns. Ungewohnt das Kleid mit langem Schalkragen anstatt zünftiger Schifferkleidung. Auf einer Ablage vor dem Steuerrad ein paar mickerige Blumentöpfe. Bloßer Schnappschuß fürs Familienalbum oder Alltag der Schifferfrauen? Frauen an Bord waren zu allen Zeiten der märkischen Kleinschiffahrt unersetzlich. Sie besorgten den Haushalt, die Erziehung der Kinder und ersetzten vielfach ein männliches „Besatzungsmitglied“. Aber das Bild ist trügerisch. Seit rund fünfzig Jahren erwerben zwar Frauen in zunehmendem Maß das Schifferpatent, und heute besitzt etwa die Hälfte von ihnen das entsprechende Zertifikat. Doch nur eine führt wirklich ein Schiff. Was mit den Schifferfrauen geschah, ist symptomatisch für die Anerkennung der Leistung von Frau en auch in anderen Berufszweigen. Ob die tatkräftige Lina Morgenstern, die nicht nur die erste Suppenküche Berlins gründete, sondern auch gegen den Widerstand der Generalität 1870 am Ostbahnhof die Verpflegung und medizinische Betreuung durchreisender Soldaten organisierte, oder die Ärztin Jenny de la Torre, die sich heute hier um die Ärmsten der Stadt kümmert - Mut und Beharrungsvermögen waren zu allen Zeiten gefordert, um sich durchzusetzen.

Das Material zu dem Buch Frauen an der Spree beruht auf Recherchen für historische Dampferfahrten, die die Berliner Geschichtswerkstatt seit Ende der achtziger Jahre veranstaltet. Traditionelle Frauenorte werden besucht, Biographien und Lebensweise erkundet, manche Personen und Ereignisse dabei wiederentdeckt. Von Wirkungsstätten bekannter Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen über Lesbenklubs der zwanziger Jahre bis zu neuen multikulturellen Projekten führt die Tour durch Berlins Mitte.

Oft, so mußten die Herausgeberinnen erfahren, sind die Spuren verwischt. So zum Beispiel zwischen Spree und Kleiner Präsidentenstraße 7, in Nähe der Museumsinsel. Hier hatte einst der Zirkus Busch seine Zelte aufgeschlagen. Obwohl Paula Busch als Direktorin und international berühmte Artistin tapfer für den Erhalt des Unternehmens stritt, wurde der Bau 1937 abgerissen. Er stand Speers Plänen für die künftige „Welthauptstadt Germania“ im Wege. Neben bekannten Namen und Geschichten ist es oftmals ein Detail, das uns anrührt. Nur wenigen dürfte zum Beispiel bekannt sein, daß es vor allem der Arbeit von Frauen zu verdanken war, wenn der Lindentunnel (die Unterquerung der Linden in Höhe des Maxim Gorki Theaters bis zur Behrenstraße) 1916 fertiggestellt und damit das Straßenbahnnetz Berlins von 27 auf 63 Kilometer erweitert wurde. Als Bau-, Kanal- oder Transportarbeiter mußten die Frauen unter unzumutbaren Bedingungen schwerste körperliche Arbeit leisten. Wie immer in Kriegszeiten, als die Männer an der Front waren, galten keine Einschränkungen mehr für Frauenarbeit. Aber ebenso schnell wurde die Berufstätigkeit danach wieder auf „frauentypische“ Berufe reduziert.

Unweit des Lindentunnels entbrannte nach der Wende ein Streit um zwei Frauen. Im Namensspektakel, ob Dorotheen- bzw. Clara-Zetkin-Straße, gab die Prüfungskommission 1995 der Kurfürstin Dorothea den Vorzug vor der Politikerin Clara. Die Herausgeberinnen bemühen sich um eine ausgewogene, sachliche Darstellung des ideologiebehafteten Streits. Die Leser sollen sich selbst eine Meinung bilden.

Oftmals werden ein Ort, eine Adresse zum Anlaß genommen, ein spezielles Sachgebiet ausführlich darzustellen. So zum Beispiel in dem aufschlußreichen Bericht über den Anteil von Ärztinnen am Gesundheitswesen. Ungefähr dort, wo sich heute das Haus der Kulturen der Welt befindet, existierte bis Mitte der dreißiger Jahre eine „Privatklinik weiblicher Ärzte“. Diese Privatkliniken, von denen es in Berlin im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts eine Vielzahl gab, entstanden, weil es Frauen in Preußen lange verwehrt wurde, sich als Ärztin niederzulassen. Bis 1890 praktizierten in Berlin nur zwei Ärztinnen. Erst 1899 wurde die Zulassung von Frauen zur ärztlichen Approbation gesetzlich erlaubt. Im Tiergarten, In den Zelten 5 (in Nähe des Hauses der Kulturen der Welt), führte Bettina von Arnim zwölf Jahre bis zu ihrem Tode im Jahre 1859 ein gastliches Haus. In unmittelbarer Nachbarschaft (heutiges Bundeskanzleramt) sorgte etwa zur gleichen Zeit eine weitere Frau für Aufsehen. Was dem Vater nicht gelang, eine Theaterkonzession zu erwerben, setzte die Tochter Auguste Kroll durch. Unter ihrer Leitung wurde das beliebte Gartenlokal auch als Spielstätte für Opern, Konzertaufführungen und festliche Bälle bekannt, die in Berlin Furore machten. Und mit ein wenig Phantasie kann man sich auch diese Szenerie vorstellen, wenn man liest, daß Mitte des 19. Jahrhunderts Fluß-Badeanstalten für Frauen hoch im Kurs standen. Schwärmerisch schrieb die Komponistin Fanny Hensel an ihren Bruder Felix Mendelssohn: „Mein größtes Vergnügen ist jetzt alle Tage in der Spree zu baden, wozu nahe bei Moabit eine sehr hübsche, von einer Hallerin geleitete Anstalt ist, in der auch Schwimmen gelehrt wird. Hier sieht man eine große Anzahl zum Theil recht hübsche Berlinerinnen als vollkommene Najaden mit nassen Haaren plätschern, was sich allerliebst ausnimmt.“

Schade, dieses Bild ist heute nicht mehr zu bewundern. Aber ein Spaziergang auf Frauenspuren entlang der Spree lohnt dennoch. Eine Übersichtskarte und zahlreiche Fotos geben nützliche Tips dabei.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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