Eine Rezension von


Nietzsche - Niederschlag

Manfred Riedel: Nietzsche in Weimar
Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 2000, 358 S.

Ralph-Rainer Wuthenow: Friedrich Nietzsche
Insel Verlag, Frankfurt/M. 2000, 171 S.

 

Nicht nur in diesem Jahr jagt ein Nietzsche-Buch das andere. In diesem Jahr, dem des 100. Todestages des Philosophen, droht der Nietzsche-Niederschlag zu einer Sintflut zu werden. Sämtliche Werke, Ausgewählte Werke, aufs Aphoristische verknappte Ausgaben für den Abend zwischendurch, treiben die Wogen hoch. Wer nichts davon lesen kann und will, wer lesen läßt, wird bestens durch Begleit-Bücher zu Nietzsche bedient. Nun in der Reclam-Bibliothek, soll Manfred Riedels Aufklärungs-Entdeckungs-Band Nietzsche in Weimar zur Volks-Bildung beitragen. Nötig ist das, zumal im Osten Deutschlands, der eine Generation lang DDR hieß, abgesehen von einem Gedicht und einigen Briefen, keine Nietzsche-Texte veröffentlicht wurden. Zumal Nietzsche-Denunziationen und -Verhunzungen im Westen Deutschlands mehr Gehör fanden als der Originalton des Philosophen. Riedels Chronik der vertanen Chancen, „Ein deutsches Drama“ genannt, ist auch eine Chance, sich mal ranzutrauen an den Sonderbaren, Schwerbegreifbaren, Verkannten und Verbannten, der im neuen Jahrhundert mehr dabeisein kann als im vergangenen. - Wer den Lebensweg des im sächsisch-anhaltinischen Röcken geborenen Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), der in Weimar starb und in seinem Geburtsort bestattet wurde, nachlaufen will, der kann Ralph-Rainer Wuthenows gut handbares Buch Friedrich Nietzsche. Leben. Schriften. Zeugnisse als zweckmäßigste Landkarte benutzen. Der Autor, der angeblich keinen Spekulationen Stoff bieten will, neigt allerdings dazu, gelegentlich zu vermuten und eher von einem „mitgebrachten Schicksal“ statt einem entwickelten zu sprechen. Produktivität, Hochmut, Schroffheit, Dogma des Nietzsche und seines Denkens werden als Tatsachen eines Daseins und Arbeitens registriert, das sich ein Jahrzehnt vor dem natürlichen Tod von der gewöhnlichen Welt löste. Was weiß die Nachwelt wirklich von dem Friedrich Nietzsche, von dem es heißt, daß er seit dem 3. Januar 1889 „nicht mehr von dieser Welt war“, da er nicht mehr wußte, „wo er sich befand“. Hat der Philosoph je die Welt gelebt, in die er geboren wurde, deren Gott er entthronte, der die Welt entwürdigte, als deren Schöpfer er ausgegeben wurde? „Ich verachte das Leben“, schrieb Nietzsche im abschiednehmenden Jahr 1889 und lebte die Abkehr. Das wie nennen? Beachtlich? Beachtenswert? Über die Abkehr weiß Wuthenow kaum etwas zu sagen. Er hält sich an das, was er über den Lebenszweifler gelesen hat. Um, wieder, etwas Irritation über Friedrich Nietzsche aus dem Wege zu räumen?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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