Eine Rezension von Helmut Hirsch


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Ein Leben im Auf und Ab der Zeiten

 

Erika von Hornstein: So blau ist der Himmel
Meine Erinnerungen an Karl Schmidt-Rottluff und Carl Hofer.

Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1999, 147 S.

 

 

Wer lange lebt, kann vieles erleben. Erika von Hornstein, 1913 als Tochter eines preußischen Gardeoffiziers geboren, wuchs in Potsdam und Berlin auf. Die frühe Nähe zum nord- und süddeutschen Adel band sie an Konventionen, denen sie sich geschickt zu entziehen vermochte. Berlin in den zwanziger Jahren. Das waren für sie „diese wundervollen Ausflüge“ in die Museen. Im Kronprinzenpalais Unter den Linden sieht sie Bilder von Erich Heckel, Franz Marc und Karl Schmidt-Rottluff. Dessen Bilder liebt sie sofort über alles. Und sie beschließt, nachdem sie „ein strenges protestantisches Kloster mit Adelstradition: Stift Heiligengrabe in der Prignitz“ absolviert hat, mit neunzehn Jahren Malerin zu werden. In einer privaten Malschule lernt Erika von Hornstein den Maler Karl Schmidt-Rottluff kennen. Der Mitbegründer der „Brücke“ erscheint bei den Studenten, um Korrektur zu geben. Die junge Frau ist fasziniert, für eine nur kurze Zeit „wurde das Atelier der Raum, in dem sich mein Leben abspielte, alles andere rückte an seine Ränder und verblaßte“.

Doch die Zeiten, sie sind nicht so. 1932 besucht sie mit dem Stiefvater, er ist Flügeladjutant und Schatullenverwalter beim Ex-Kaiser Wilhelm II. in Doorn, den Abgedankten, „ein zierlicher alter Herr mit gleichsam hochgewehtem weißen Haarschopf und gepflegtem Spitzbärtchen“. Doch sie behauptet sich, nennt Schmidt-Rottluff ihren Maler und nicht die schönen Allegorienkünstler der Kaiserzeit. Eine Episode, die ihre Komik haben mag, aber sie zeigt die Begeisterungsfähigkeit der Autorin, und bald schon wird es sich zeigen, daß es ihr auch in schweren Zeiten ernst ist um Kunst und Menschen. Schmidt-Rottluff wird 1933 Lehr- und Malverbot von den Nazis auferlegt. Doch Erika von Hornstein hält zu ihm, versucht sich noch immer mit der Malerei, studiert ein Semester in München, dann geht es nach Italien. Sie erlebt die Wechselbäder der Zeit. 1936 ist Berlin nicht mehr ihr Ort zum Leben, ihre Liebe gilt Italien. Am Gardasee mietet sie für 90 Lire im Monat (!) „das weiße Türmchen auf dem Olivenhügel am Ortsende“ von Malcesine. Mehr Begeisterung als Kunst: Es ist ihre „Zelle, mein Paradies. Ich war verrückt vor Freude.“ Und als sie dort auch noch Carl Hofer trifft, scheint sie fast ganz aus dem Häuschen zu sein. „Mir war bang, jung, wie ich war, dem bewunderten Maler hier zu begegnen“, notiert sie, zugleich weiß sie längst, daß Hofer von der Berliner Kunsthochschule verjagt worden ist. Noch überwiegt die Freude, doch dann kommt im Sommer 1937 die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München. Immer tiefer zieht sich der Freund Schmidt-Rottluff ins pommersche Seedorf zurück. Abscheu und Abwehr, Solidarität und Freundschaft, aber auch Angst und Ungewißheit wachsen. In den vielen Briefen von Schmidt-Rottluff, die hier erstmals veröffentlicht werden, wird die ganze Malaise der Zeit sichtbar. Erika von Hornstein heiratet kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges einen Chemiker und Industriellen, zudem Besitzer der Papierfabrik von Neu-Kaliß in Mecklenburg.

Es wird geholfen, wo es nur möglich ist. Durch Bilderkäufe, und als die Bomben Hofers Atelier in Berlin vernichtet haben, hilft Erika von Hornstein, nun längst Frau Bausch, mit ihren Farben, Leinwänden, Pinseln und Spachteln aus. 150 Ölbilder zerstört, doch der unermüdliche Hofer malt alles neu, aus der Papierfabrik bekommt er Zeichen- und Aquarellpapier. Es ist, als fliege da ein Engel durch das verwüstete Land. Es gibt ständig Tief- und Höhepunkte in diesem Leben. Erika von Hornstein sitzt nachts mit den Männern des Kreisauer Kreises zusammen, läßt die Bilder Hofers nach Mecklenburg bringen; Freunde werden verhaftet, verschleppt, hingerichtet. Dann das Ende dieser barbarischen Zeit. Die Rettung der Bilder vor den Russen, Hofer wird Direktor der noch in den Trümmern liegenden Berliner Kunsthochschule. In Neu-Kaliß haben die russischen Offiziere vom Maltalent der Autorin gehört. So muß sie ran, ein Stalin-Bild wird gewünscht. So hatte sie sich den ersehnten Neuanfang mit der Kunst nicht vorgestellt. Das Bild, eher aus Angst als aus Freude gemalt, kommt gut an, und das Honorar, eine Tüte braunen Zucker und ein ganzes Kuhbein, „lieferte uns viele Mahlzeiten“.

Die Erinnerungen der Erika von Hornstein gelten nicht nur den beiden Malern Schmidt-Rottluff und Hofer, sie erinnert parallel dazu immer an ihr eigenes abenteuerliches Leben in einer maßlos verrückten Zeit. Manches, was sie erstrebte, verwirklicht sich nicht. Aus der Malerin wird nichts. Dafür beginnt sie zu schreiben. Erlebt hat sie ja inzwischen genug. Die Demontage der Papierfabrik, den Wiederaufbau, schließlich die Flucht nach West-Berlin, weil die DDR mit einem Wirtschaftsprozeß drohte. „Die Bilder, die in mir brannten, konnte ich nicht malen. So versuchte ich, sie mit Worten zu bannen.“ Zuerst Erinnerungsbücher, dann arbeitet sie für den Dokumentarfilm. Sie erlebt die Neuanfänge „ihrer“ Maler, beobachtet aufmerksam das Spätwerk, ist rundum noch immer voller Begeisterung für ihre Helden. Kritik kommt nicht auf, zu tief ist die freundschaftliche Verbundenheit. Der liebevolle Blick auf das Maler-Leben dominiert: „Schmidt-Rottluff stand da, leibhaftig, vor unserem Haus in Mecklenburg, wie herausgeschnitten aus meinem anderen Leben.“

Das sind die geheimen Spiegelungen einer großen Leidenschaft. Da kippt auch schon mal das Wort etwas zur Seite, wenn beispielsweise „mit goldenem Pinsel“ gemalt wird. Doch wird Schmidt-Rottluff zumeist trefflich charakterisiert. Gelobt wird seine Dezenz, „Schweres, fast Trotziges ging von ihm aus, ein monumentaler Ernst ... der schwere Mann mit seinem leichten Schritt“.

Die fünfziger Jahre, erneut eine Zeit voller Spannungen und Wirrnisse. Schmidt-Rottluff, nun im Sommer an der Lübecker Bucht weilend, schreibt einmal nach Berlin: „Die Westprovinzler sind allerdings keine Helden, wahrscheinlich Abkömmlinge vom Vogel Strauß. Dafür kriegen sie nun ordentlich Ostprovinzler - geschieht ihnen recht -, aber sie werden sich denen gegenüber wohl noch eine schwarze Brille aufsetzen.“

Und Erika von Hornstein erlebt in Berlin schließlich den Kunst-Krieg zwischen Hofer, der am figürlichen Malen streng festhält, und den neuen Abstrakten. Ein turbulentes Mediengeschrei, das erst mit dem Tod Hofers ein makaberes Ende nimmt.

Erika von Hornstein erzählt dynamisch und lebendig bis zur letzten Seite: „Unser Leben lief weiter im Auf und Ab der Zeiten.“ Noch träumt sie manchmal von den Farben auf der eigenen Palette, doch das war schon in einer anderen Welt. Nun gibt es Freude, Schmidt-Rottluff schenkt der Stadt Berlin viele seiner Bilder und spendiert sein Vermögen zur Gründung des „Brücke“-Museums. Das sind leuchtende Tage, auch das Haus am Gardasee, die Dokumentar-Filme nennt sie ihre „ungemalten Bilder“.

Das Leben und seine vielen Erlebnisse, Katastrophen und Glanzpunkte, Freundschaften, rastlose Tätigkeit und unaufhörliche Begeisterung für die Kunst. Hier ist alles in einem intensiv gelebten Leben beieinander. Erinnerungen und Abschiede: „Es braucht Mut, gegen das lebenslange Schweigen des starken Mannes die eigene Stimme zu erheben, ihn zu beschreiben, damit er selbst für Augenblicke sichtbar werde.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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