Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold


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Abenteuer im Pantanal

 

John Grisham: Das Testament
Roman.

Aus dem Amerikanischen von K. Schatzhauser.
Wilhelm Heyne Verlag, München 2000, 511 S.

 


 

Ein Buch von John Grisham ist durch den Erfolg seines jeweiligen Vorgängers zum Bestseller prädestiniert. So war es bisher bei allen acht Romanen, die auf seinen ersten folgten, Die Firma (1990 bei Doubleday, New York, deutsch 1992 bei Heyne). Mit einem Erstling weltweit in die Bestsellerlisten zu kommen ist schon ein ungewöhnlicher Treffer. Ihn danach mehrfach zu wiederholen darf als Seltenheit gelten. Das vorliegende Buch dürfte sich hier einreihen.

Die Verkaufszahlen der bis 1998 - in Deutschland bis 1999 - erschienenen neun Grishams sind nicht bekannt, wahrscheinlich differieren sie etwas, weil der Autor die Themen weitgehend im gleichen Milieu angesiedelt hat, was von Teilen der Leserschaft vielleicht als langweilig empfunden worden ist, aber diese Teile wiederum dürften nicht allzu groß gewesen sein. Sicherlich aber hat dieser relativ junge Autor des Jahrgangs 1955 inzwischen die Umsätze der Altmeisterin Dorothy James, Jahrgang 1920, weit übertroffen. Baroness James schreibt seit 1962 und ist seither auf vierzehn Bücher gekommen.

Grisham hat bisher seine Romane etwa im Jahrestakt vorgelegt. Diese Tatsache ist ein besonderes Phänomen. Wenn man davon ausgeht, daß er ohne literarische Zuarbeiter auskommt, und für solche Helfer gibt es keine Anzeichen, muß man von ungewöhnlicher Phantasie, ungewöhnlichem Talent und nicht zuletzt von ungewöhnlichem Fleiß sprechen.

Mit seinem zehnten Buch hat dieser also höchst ungewöhnliche Schriftsteller nun einen weiteren Schritt getan, der ihn aus seiner bekannten - und sicherlich selbst gewählten - thematischen Enge herausführt. Zwar verläßt der gelernte Jurist, der jahrelang eine Anwaltspraxis hatte, das forensische Terrain nicht (man fragt sich, ob er dies wohl überhaupt noch kann), aber er schafft zum Anwalt- und Gerichtsmilieu ein mindestens gleichwertiges Gegengewicht: Einerseits erleben wir nach dem spektakulären Selbstmord eines schwerstreichen Geschäftsmannes einen saftigen Erbschaftsstreit, bei dem es immerhin um rund elf Milliarden Dollar geht, und andererseits begeben wir uns mit einem versoffenen Anwalt auf die abenteuerliche Suche nach der Alleinerbin dieses ungeheuren Vermögens, die als Missionarin weitab von jeglicher Zivilisation im Pantanal arbeitet und weder gefunden werden noch das Erbe antreten will. Das Pantanal ist ein riesiges, kaum zugängliches Schwemmlandgebiet, ein von Flüssen durchzogenes Urwaldareal in den brasilianischen Staaten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul, von Grisham im Nachwort des Buches als ökologisches Wunder bezeichnet.

Der alkoholkranke Anwalt, eben aus einer noblen Entziehungsklinik entlassen, macht sich auf den gefahrvollen Weg in diese Wildnis, zu Indios, die dort noch wie ihre Vorväter leben. Diese Fahrt, mehrfach am Tod vorbei, und die Begegnung mit der Missionarin sind mit solcher Eindringlichkeit geschildert, daß sie zum beherrschenden Teil des Buches werden, ohne es im Umfang zu dominieren. Als Kontrast hierzu schildert Grisham genüßlich das Gefeilsche um das Erbe, ein würdeloses Schauspiel, fast eine Posse, aufgeführt von den mißratenen Kindern des Milliardärs, der ihnen per Testament nur die reichlichen Schulden zahlen will, den großen Batzen aber einer bis dato unbekannten unehelichen Tochter hinterlassen hat, ebenjener Missionarin. Mit gewohnter Meisterschaft läßt Grisham seine Leser an den Dialogen und Geplänkeln und Intrigen vor Gericht teilhaben.

In seinem vorhergehenden Roman, Der Verrat (LeseZeichen 5/1999), hat der Autor sich bereits, ohne das Anwaltmilieu zu verlassen, in die Niederungen der Sozialpolitik begeben, sein Publikum mit der massenhaften äußersten Armut in den USA konfrontiert, realistischer starker Tobak, der in Geborgenheit lebenden Menschen durchaus unter die Haut gehen kann. Nun übt er seine bisher schärfste Kritik am Gros der US-Rechtsanwälte, denen er standeswidrige und auch direkt kriminelle Praktiken vorwirft: Zeugen werden gekauft und für faustdicke Lügen unter Eid vor Gericht präpariert, monströse Erfolgshonorare werden ausgehandelt - zwanzig, dreißig, fünfzig Prozent der vor Gericht erstrittenen Summen kassieren die Anwälte bei ihren Mandanten ab. Und nicht nur die Winkeladvokaten sind käuflich, sondern auch die Mitarbeiter großer Kanzleien, geschniegelte Advokaten, die - so Grisham - mit dem Schmutz der Straße nicht in Berührung kommen. Ein vernichtendes Urteil über manche oder viele oder die meisten Vertreter dieses Berufs.

Grisham kommt auch zu allgemein sozialkritischen Aussagen, die er der schließlich im Pantanal entdeckten Missionarin zuschreibt. Dem Anwalt, der sie über die Erbschaft informiert, sagt sie, er gehöre einer Kultur an, in der „Geld der Maßstab für alles ist. Es ist eine Religion.“ Und: „Eine traurige Kultur. Die Menschen machen sich verrückt. Sie arbeiten ununterbrochen, um Geld zu verdienen, damit sie sich Dinge kaufen können, mit denen sie andere Menschen beeindrucken wollen. Man schätzt jeden nach dem ein, was er besitzt.“ Mit solchen Sentenzen verbreitet Grisham zwar keine umwerfenden Erkenntnisse, aber er gibt seinem Buch doch eine Substanz, die mit Denkangeboten aufwartet und es - ebenso wie Der Verrat - über den Anwalt-und-Polit-Krimi erhebt. Übrigens wird in Nr. 10 niemand umgebracht. Es muß wirklich nicht immer Mord sein.

Bleibender Eindruck, den das Buch hinterläßt: Es ist eine verblüffende Idee, die gierigen Erben - die nebst ihren miesen Anwälten zum Schluß doch noch einen Trostpreis abbekommen - als eigentlich betrogene Betrüger aufmarschieren zu lassen. Es ist ein spannendes Abenteuer, zu erleben und zu überleben in einer offenbar einmaligen Landschaft, die der Autor nach eigenen Angaben immerhin mehrere Stunden selbst befahren hat und wiedersehen möchte. Es ist ein hoffnungsvolles, wenn auch wohl nur märchenhaftes Ende, wenn die Milliarden Dollar zu menschen- und umweltfreundlichen Zwecken in eine Stiftung fließen, wie es die Missionarin vor ihrem seligen Ende bestimmt hat. Und der Anwalt, durch bestandene Fährnisse vom Suff geheilt, wird oberster Verwalter der Stiftung. Ein Buch, dem man wegen dieses so versöhnlichen Ausgangs ein ironisches Lächeln widmen mag, das man aber bis zum Ende in einem Zug lesen wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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