Eine Rezension von Bertram G. Bock


Bedingungslos

Walter Foelske: Wahnsinn und Wut
Schwarze Geschichten.

MännerschwarmSkript, Hamburg 1998, 179 S.

 

Klappentexten und Waschzetteln, das ist hinreichend bekannt, sollte man nicht unbedingt trauen. Was darin von den Verlagen versprochen wird, ist vielleicht nicht immer gelogen, aber die Übertreibung in diesen Texten ist oft immens. Juristisch gesehen könnte man es „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ nennen, denn was mitunter als spannend und einmalig gepriesen wird, erweist sich nicht selten als dröge und längst bekannt. Der neue Stern am Literaturhimmel entpuppt sich als Kondenzstreifen. Um so erstaunlicher, daß der Erzählungsband von Walter Foelske fast genau das hält, was der Klappentext ankündigt. „Foelske“, so heißt es da, „malt in Schwarz und Weiß, für Zwischentöne ist in diesen radikalen Geschichten kein Platz“. Und mit „radikal“ sind die Erzählungen auch am besten beschrieben, wenngleich die Warnung im Waschzettel „Nichts für schwache Nerven!“ denn doch eine Übertreibung ist.

Radikal ist der Tenor deshalb, weil Foelske eine Obsession ungeschminkt darstellt, sie nicht verkleidet, nicht im mindesten versucht, sie zu erklären oder gar auf ein „normales“ Maß zu nivellieren, sondern die Dinge, die Sehnsüchte beim Namen nennt: die Besessenheit für männliche schwarze Körper. Dies ist das Thema aller sieben Erzählungen, variiert zwar, immer wieder von einem anderen Erzählstandpunkt betrachtet - aber es bleibt bei diesem Thema. Sozusagen auch eine fast radikale Auswahl. Die Befürchtung, dies könnte langweilig werden, könnte ermüden, erweist sich als unbegründet. Auch wenn es dem Band an einer Themenvielfalt mangelt, so sind doch die Sichtweise, die Annäherung, der Zugriff auf das e i n e Thema immer wieder neu, immer wieder anders.

Wie schon gesagt, Foelske erklärt diese Obsession nicht, und das ist gut so. Wie will man versuchen, ein Phänomen zu erklären? Dem Kölner Autor geht es vielmehr darum, die Obsession da zu lokalisieren, wo sie stattfindet, in seinen verschiedenen Protagonisten nämlich, offengelegt auch aus ihrer Sicht, nicht durch einen Blick von außen, der dabei womög lich etwas Befremdliches entdeckt. Die Lust auf männliche schwarze Körper wird gar nicht in Frage gestellt, sie ist vorhanden. Die Frage ist nur: Wie damit umgehen? Wie mit diesem Begehren leben, es ausleben? Schließlich laufen so viele schwarze Männer nun auch nicht in diesem Land umher, und selbst wenn einer gefunden ist, heißt das noch längst nicht, daß das Begehren Gegenliebe findet und gestillt werden kann, wie Kargk, der Protagonist der ersten Erzählung „Menschenfleisch“, erfährt. Etwas orientierungslos, besucht der „ewige Student“ einen Kölner Park, um Musik zu hören, zu lesen. Aber: „Später, als er vom Buch aufschaut, sieht er den Mann mit dem Jungen.“ Und die Haut des Jungen „ist schwarz, tiefschwarz, sie schimmert in diesem von Baumschatten gedämpften Licht wie Ebenholz“. Es scheint anscheinend nur diesen Vergleich zu geben, der das ausdrückt, was die Leidenschaft brennen läßt. Der Anblick reicht, die Begierde ist erwacht und sehnt sich nach Erfüllung. Was bleibt Kargk anderes übrig, als sich Informationen zu beschaffen, um dem Jungen zumindest räumlich immer näher zu kommen. Mit kriminalistischer Energie sozusagen kreist er den Jungen ein. Beobachtet ihn auf dem Sportplatz, findet heraus, wo er wohnt. In diesem Haus nistet er sich letztendlich ein, wartet. Aber niemand hat dort je einen schwarzen Jungen gesehen. Kargk sucht weiter, kehrt jedoch immer wieder zu dem Haus zurück. Über die Sehnsucht nach dem Jungen vergißt er alles andere, selbst das Essen. „Einmal rafft er sich auf und schleift und schlört sich von oben nach unten, aus seinem Schlafsack in die Tonnen hinten im Hausflur, und er wühlt sich hinein und röchelt drin rum und findet den fettigen Packen Papier mit dem noch warm dünstenden Fleisch...“ Ganz anders die dritte Erzählung, „Nevil“. Allein schon die Erzählperspektive. „Nevil“ ist als Bericht eines Erziehers, eines Lehrers gehalten, den sein Heimleiter aufgefordert hat, „die Vorfälle“ schriftlich darzustellen. Stein des Anstoßes ist die Beziehung des Lehrers zu einem vierzehnjährigen Schwarzen, dem er verfallen ist. Ihm wird vorgeworfen, ihn sexuell ausgenutzt zu haben. Es ist gar nicht so wichtig zu wissen, ob es nun zu einem sexuellen Kontakt gekommen war und wie er stattgefunden hat. Es geht allein um den Wunsch, die Begierde danach. „Die Hände schwarzer Vierzehnjähriger sind die empfindlichsten. Berührt man sie mit dem kleinen Finger, wollen sie die ganze Hand. Natürlich habe ich seine schwarze mit meiner weißen nur kurz, nur augenblicksweise berührt.“

Je länger Kramp schreibt, desto näher kommt er sich selbst, um so mehr Erkenntnisse gewinnt er über sich. „Ich weiß“, schreibt Kramp, „ich begehe mit diesen Enthüllungen eine Art Selbstmord, ich grabe mir mit diesen Geständnissen das Wasser, also das schmale Rinnsal baren Geldes ab, das mich, notdürftig, Herr Heimleiter, noch am Leben hält. Doch gelogen habe ich ein Leben lang; meine Liebe zu Knaben und Bengeln hat mich, immer die Knute des angeblich liberalsten Strafrechts der Welt, des deutschen, im Nacken.“ Das ist die eine Seite, der er ausgesetzt ist, die andere ist, wie schon in der ersten Erzählung, das eigene Verfallensein. In dem Schlußsatz „Ich komme zurück, morgen, übermorgen, ich hol dich hier raus, ich sage die Wahrheit, denn ich hab dich lieb“ - man kann ihn als kitschig kritisieren oder als naiv bezeichnen - wird deutlich, wie wirr und ambivalent Kramp trotz wachsender Fähigkeit, die Situation analytisch zu durchdringen, zu dem Jungen, zu seiner Leidenschaft, vielleicht auch zu seiner sexuellen Orientierung steht. Und Foelske macht auch nicht einen Ansatz, hier für eine Klärung sorgen zu wollen, womit Foelske seiner „Radikalität“ treu bleibt.

Jede Geschichte erzählt von der gleichen Leidenschaft, und jede endet ohne ein glückliches Happy-End, dem Sichfinden. Foelske gelingt es jedoch immer wieder, die Einzigartigkeit der Obsession zu erfassen, sie in ihrer Einmaligkeit darzustellen. Und am Rande sei bemerkt, daß er homosexuelle Beziehungen nicht als Problem sieht, sondern als eine Art und Weise sexueller Kontakte. Und wenn auch hier der Mann den schwarzen, männlichen Körper begehrt, so heißt das nicht, daß es ein Schwulenbuch ist. Diese Ansicht nämlich würde einem die Sicht auf das nehmen, wovon Foelske schreibt.

Man kann spekulieren, warum die Erzählungen nicht glücklich enden, warum die Sehnsucht immer offen, unbefriedigt bleibt. Wer den Wunsch nach „schönen“ Erzählungen verspürt, dem sei der Band nicht empfohlen (und trotzdem angeraten), wer aber bereit ist, nicht von Anfang an zu sagen: So bin ich nicht, das sind nur die anderen, der wird in diesem Buch seine Entdeckungen machen können.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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