Eine Rezension von Volker Strebel


Mißglückte Heimkehr

Karel Capek: Hordubal/Der Meteor/Ein gewöhnliches Leben
Aus dem Tschechischen übersetzt und mit einem Nachwort von Eckhard Thiele.
Mit einem Vorwort von Arthur Miller.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, 606 S.


ders.: Fotografie
Herausgegeben von Peter Spielmann.
Braus-Druck Verlag, Bochum 1990

 

Karel Capek war ein vielseitiger und begabter Autor, Fotograf, Zeichner und Übersetzer. Die erste, 1918 gegründete, tschechische Republik war von ihm mitgeprägt. Seine politisch-philosophischen „Gespräche mit Masaryk“, dem legendären Präsidenten und Philosophen, spiegelte das Profil dieser bürgerlich-demokratischen Republik - und das zu einer Zeit, in welcher sich beiderseits des kleinen Landes totalitäre Varianten von links und rechts zu etablieren begannen.

Die vorliegende Roman-Trilogie, von Karel Capek selbst mit der Bezeichnung „noetische Romane“ versehen, eint bei aller Verschiedenheit der Handlungsorte ein philosophisch-psychologischer Grundzug - es geht um die Möglichkeiten und auch Grenzen menschlicher Erkenntnis. Die Lektüre gerät zum intellektuellen Vergnügen, da Karel Capek seine Feder wie ein Florett zu führen versteht, welches mit scheinbar müheloser Geste zielsichere Treffer setzt. Die Kraft der literarischen Moderne begegnet dem Leser in ihrer noch unverbrauchten jugendlichen Frische.

Das in der tschechischen Literatur bekannte Motiv der Heimkehr wird auch in dieser vorliegenden Trilogie entfaltet. Juraj Hordubal kehrt aus der amerikanischen Fremde zurück, die Taschen voller Dollars, und er freut sich auf das Wiedersehen mit seiner geliebten Frau Polana. Eine gründlich mißratene Heimkehr. Hordubal stößt in seinem Hof auf einen Knecht, Stepán, der ganz offensichtlich die Fäden zieht. Auf sein Anraten hatte die Bäuerin Hordubals steinige Äcker verkauft und mit einer Pferdezucht begonnen. Hordubal nimmt dies alles zur Kenntnis und will es doch nicht wahrhaben. Abends erfüllte sich die Luft mit Gebimmel, und die Kühe kehren mit nickenden Köpfen ins Dorf zurück. Hordubal hört und sieht lange Vermißtes, er atmet vertraute Gerüche ein, und ihm scheint, als sei er jetzt erst richtig heimgekehrt. Ein Trugschluß. Die Unbehaustheit wird von Menschen erzeugt, sie kann sowohl in der Fremde wie in der Heimat eintreten.

Die Intensität, mit welcher Karel Capek diese ländlichen Motive beschreibt, verrät einen Kenner. In einer Fotoserie hatte Capek einst Orava, ein slowakisches Dorf, porträtiert, und 1930 notierte er: „Bei uns gibt es noch viel Unentdecktes: aber diese Ecke unserer Welt ist für besonderen Ruhm vorbehalten. Ewig alt.“ Zum hundertsten Geburtstag organisierte Peter Spielmann mit dem Museum Bochum eine Ausstellung der Fotografien von Karel Capek und gab einen zeitlos wertvollen Katalog heraus. 1946 hatte Capeks Witwe, die Schauspielerin Olga Scheinpflugová, die ungeordneten Negative in einer Margarineschachtel ihrem Kollegen vom Nationaltheater Karel Pech übergeben. Die noetische Ader des aufgeschlossenen Karel Capek hatte ihn zur Kamera greifen lassen, um den Dingen um uns herum mit einer weiteren Perspektive beikommen zu können. Freilich behielt der Humanist Capek auch auf fotografischem Gebiet den Kern seiner Erkundungen bei: das „gewöhnliche Leben“.

Im Nachlaß Karel Capeks fand sich ein Brief an einen unbekannten Leser des Romans Meteor, welcher wie ein philosophisches Programm des ungewöhnlich begabten Künstlers gelesen werden kann: „Die unerhörte Kompliziertheit der Wirklichkeit anzuerkennen ist für mich eine Sache des Respekts vor der Wirklichkeit, eines Respekts, der sich zum Staunen steigert. Uns Menschen ist ein Stück Weltall gegeben, damit wir es erobern; wir gelangen nicht nur auf einem Weg in seine Tiefen; wir sondieren sie mit unseren Taten, mit der Wissenschaft, der Poesie, der Liebe und auch der Religion; wir brauchen verschiedene Methoden, um mit ihrer Hilfe unsere Welt zu durchmessen. Der ungeheure Wert des Lebens kann nicht nur von einer einzigen Seite beurteilt werden. Ich meine, daß wir hier irgendwo den nicht lokalisierten, aber quälenden Schmerz der heutigen Menschen berühren.“

Capeks psychologische Beobachtungen scheinen eher beiläufig in seine Texte einzufließen, als entbehrliches Beiwerk. Dabei bilden sie ein Herzstück seiner Prosa. Seine Bescheidenheit hatte Capek zu einer realistischen Einschätzung der Dinge verholfen. 1938, im sich abzeichnenden Schatten der Bedrohung der Tschechoslowakischen Republik durch einen aggressiven deutschen Nachbarn, starb Capek, verfemt auch von tschechischen Gegnern der masarykschen Republik, an einer Lungenentzündung. Seine Heimkehr war ebenfalls eine unglückliche Heimkehr.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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