Annotation von Horst Möller


 

Drögemüller, Hans Peter:
Die Freiheit der Griechen und ihr Sänger
Dionysios Solomos

Romiosini Verlag, Köln 1999, 223 S., 12 Abb.

Bis die „Hymne an die Freiheit” des griechischen Nationaldichters Dionysios Solomos (1798-1857) erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt worden ist, mußten seit dem Erstdruck in Messolonghi sage und schreibe 175 Jahre vergehen. Was stand einer früheren Kenntnisnahme im Weg? In keiner der 158 Strophen, deren erste als griechische Nationalhymne gesungen wird, findet sich eine Zeile von der Art „Griechenland, Griechenland über alles” oder „Qu'un sang impur abreuve nos sillons! - Das unreine Blut tränke unserer Äcker Furchen!” Im Gegenteil: Mit den Worten „Oh, genug, genug; wie lange noch das Töten?” (Str. 66) wird aufgerufen, endlich von jeglichem Blutvergießen abzulassen.

Als Dionysios Solomos mit einem ähnlichen hochpatriotischen Werk, dem Dialog „Neugriechisches Gespräch”, hierzulande publik gemacht werden sollte, war Griechenland im letzten Weltkrieg längst die Freiheit entrissen und ein hoher Blutzoll abgepreßt worden. Noch im Jahr der Kriegswende 1943 räsonierte ein deutscher Professor auf seinem Lehrstuhl in Athen: „Den Deutschen und mit ihnen den anderen Europäern bleibt zu bedenken, was es bedeutet, daß der Dichter des neuen griechischen Volkes, des jüngsten Geschwisters der europäischen Kulturvölker, ihnen bisher fast unbekannt geblieben ist.” Dieser Einvernahme, den Tatbestand intellektueller Notzucht erfüllend, war als mythische Beschwörung vorausgegangen, daß „das 20. Jahrhundert im Zeichen der großen Wiedergeburt jener Kräfte steht, die, einmal entfaltet, ihre Echtheit und Unvergänglichkeit allen jenen offenbaren, welche ähnlichen Wesens sind” (Alfred Rosenberg in: Unsterbliches Hellas. Herausgegeben von Charilaos Kriekoukis und Karl Bömer, Berlin 1938).

Den Sänger der griechischen Freiheit zu mißbrauchen, um „das tiefere Verstehen zwischen Hellas und Germanien zu stärken” (Rosenberg), markiert den toten Punkt der Solomos-Rezeption. Daß Hans-Peter Drögemüller, klassischer Philologe und Griechenlandverehrer, es auf sich genommen hat, diesen von Schillers „Ode an die Freude” inspirierten Text zu übersetzen und zu kommentieren, läßt nun auf eine längst fällige Solomos- Renaissance hoffen.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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