Rezension von Eberhard Fromm


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Zwischen Verheißung und Katastrophe

 

Fritz Stern: Der Traum vom Frieden und die Versuchung der Macht
Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert.

Siedler Verlag, Berlin 1999, 331 S.

 

Der bereits 1988 erschienene Band mit Essays des deutsch-amerikanischen Historikers Fritz Stern (1926) liegt nun, anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels von 1999, in einer um einige Beiträge erweiterten Neuauflage vor. Die elf Essays sind in fünf Gruppen zusammengestellt. „Der Traum vom Frieden” (I) enthält neben einem Beitrag zum deutschen Judentum drei Untersuchungen zu Persönlichkeiten unseres Jahrhunderts: Albert Einstein, Fritz Haber und Ernst Reuter. Hier wird die Vorliebe des Autors für eine biographisch orientierte Zeitanalyse sichtbar. „Ich neige dazu”, schreibt er in der Einleitung des Sammelbandes, „frühere Perioden zu untersuchen, indem ich mich auf Einzelpersonen konzentriere, die an sich oder als Repräsentanten ihrer Epoche wichtig sind.” Bei Einstein und Haber klammert er ihre wissenschaftlichen Leistungen weitestgehend aus, um sich stärker der politisch-moralischen Seite zuzuwenden. Bei Einstein betont er den Pazifisten und Europäer der ersten Stunde; bei Haber weist er darauf hin, daß er einer der ersten Wissenschaftler im 20. Jahrhundert war, der Macht ausüben und öffentliche Verantwortung übernehmen konnte. In Ernst Reuter sieht Stern einen der letzten Politiker, der über einen „eisernen moralischen Imperativ” verfügte.

„Die Verlockung der Macht” (II) enthält zwei Arbeiten über den Nationalsozialismus, der als das „moralische Drama unserer Zeit” gekennzeichnet wird: „Nach Hitler ist nichts mehr so, wie es vorher war - weder in der Welt des Geistes noch der der Politik, weder in Europa noch außerhalb.” Vor allem geht der Autor der Frage nach, warum die Eliten in Deutschland zum Nationalsozialismus nicht nur geschwiegen haben, sondern ihn sogar unterstützten.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sowie seine Rede zum 17. Juni 1953 vor dem Bundestag 1987 bietet der Verfasser als „Die Erlösung von der Größe” (III) an. Die Abgeordneten des Bundestages werden sicher nicht wenig gestaunt haben, wie der Historiker Stern den 17. Juni behandelte: mit einer großen Würdigung des Dichters Freiligrath und der revolutionären Ereignisse um 1848.

Der Aufsatz „Der Kapitalismus und der Kulturhistoriker” (IV) aus dem Jahre 1976 steht allein und enthält heute noch interessante Überlegungen und ungelöste Aufgabenstellung zur kulturhistorischen Analyse des Kapitalismus, die Stern als arg vernachlässigt ansieht. Dabei geht er in seiner Darstellung von der Biographie Gerson Bleichröders aus, der für ihn als Homo novus das Leben des 19. Jahrhunderts verkörperte.

Im abschließenden Teil V sind eine Rede über das Leben in Diktaturen - vor allem im Vergleich der NS-Zeit und der DDR - sowie eine kritische Auseinandersetzung mit Daniel Goldhagens Buch über den Holocaust (Deutschlands willige Vollstrecker) zusammengefaßt. Das Urteil zu Goldhagen ist überaus distanziert: Das Buch sei zutiefst unhistorisch, ein „Potpourri aus Halbwahrheiten und Behauptungen”. Aber auch diese Behandlung eines einzelnen Buches nutzt der Autor für sein generelles Anliegen, nämlich unsere Zeit besser zu verstehen, wenn er zusammenfassend feststellt: „Vielleicht offenbart Goldhagens manipulierter, geschickt orchestrierter Public-Relations-Erfolg mehr über die Kultur der Gegenwart als das Buch selbst über die Schrecken der Vergangenheit.”

So unterschiedlich auch die behandelten Themen der verschiedenen Beiträge sind, in ihrer Gesamtheit belegen sie, daß der Autor nicht nur ein ausgewiesener Fachmann der großen historischen Untersuchung ist - ich denke an Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder oder Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland -, sondern auch ein Könner auf dem Gebiet der kleinen essayistischen Form.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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