Rezension von Gerhard Keiderling


Die „finnische Balance” in der deutschen Frage

Dörte Putensen: Im Konfliktfeld zwischen Ost und West
Finnland, der Kalte Krieg und die deutsche Frage (1947-1973).
Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 2000, 457 S.

In der Zeit des schärfsten Gegensatzes zwischen Ost und West nahm Finnland eine singuläre Haltung gegenüber den beiden deutschen Staaten nach 1949 ein. Während die anderen nordischen Staaten ihre Beziehungen nur zur BRD normalisierten, mußte Finnland bei der Gestaltung seines Verhältnisses zu Deutschland in besonderem Maße auf seinen übermächtigen Nachbarn im Osten, der ihm im April 1948 einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand aufnötigte, Rücksicht nehmen. Dem Verhandlungsgeschick des damaligen Präsidenten J. K. Paasikivi war es zu verdanken, daß Finnland einerseits dem sowjetischen Sicherheitsbedürfnis Rechnung trug, andererseits die angestrebte Neutralitätspolitik betreiben konnte. So vermochte Finnland, an der Scheidelinie zwischen Ost und West gelegen, einen vorsichtigen, doch selbstbewußten Kurs einzuschlagen: „Rücksichtnahme und Kompromißbereitschaft gegenüber der östlichen Großmacht war zur politischen Lebensphilosophie Finnlands geworden, andererseits fühlte sich dieses Land von seinem Gesellschaftssystem, seinen ideologischen Grundpositionen und seinen traditionellen demokratischen Werten her klar zum Westen zugehörig.”

Demgemäß machte sich Helsinki den Grundsatz zu eigen, nach 1949 die Beziehungen zu beiden deutschen Staaten auf gleichem Niveau zu halten. „Nichtanerkennung und Gleichbehandlung” lautete die Maxime. Die Beziehungen gingen zunächst nicht über den handelspolitischen Bereich hinaus. Nach 1955 und vor allem nach dem sowjetischen Friedensvertragsvorschlag vom Januar 1959 nahmen sowohl der Druck Moskaus als auch die deutsch-deutsche Konkurrenz um die Gunst Finnlands zu. Anhand umfangreicher Studien in den Archiven der früheren DDR belegt die Verfasserin die hartnäckigen Bemühungen Ostberlins, um Finnland von der Notwendigkeit einer DDR-Anerkennung und eines Friedensvertrages à la Moskau zu überzeugen. Sie schildert detailliert den „deutsch-deutschen Kleinkrieg auf neutralem Boden” und analysiert die Krise in den finnisch-sowjetischen Beziehungen Ende 1961 wegen der deutschen Frage. Der damals oft gebrauchte Begriff einer „Finnlandisierung” der deutschen Frage wird kritisch hinterfragt.

Trotz ihrer Zielerwartungen kamen beide deutsche Staaten seit den sechziger Jahren zur Erkenntnis, daß eine völlige Normalisierung der Beziehungen aufgrund der finnischen Neutralitätspolitik in der nächsten Zeit nicht erreicht werden könne. Diese Einsicht erleichterte den Weg zur europäischen Sicherheit, wobei Helsinki eine herausragende Rolle spielte. Die Untersuchung endet mit der Herstellung normaler staatlicher Beziehungen der Republik Finnland zur DDR am 8. Dezember 1972 und zur BRD am 7. Januar 1973. Ein Ausblick skizziert die weiteren Etappen über die KSZE-Abschlußkonferenz 1975 in Helsinki bis zur deutschen Einheit 1990.

Die Arbeit von Dörte Putensen ist sehr gut recherchiert, klar gegliedert und überzeugend geschrieben. Sie füllt eine lang bestandene Lücke über den Bilateralismus zwischen Finnland und Deutschland in der Nachkriegsperiode aus. Ein umfangreicher Dokumentationsteil, Verzeichnisse des diplomatischen Personals und ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sind dem durch zahlreiche Fotos vom Verlag ansprechend gestalteten Band beigefügt.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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